# taz.de -- Bundespräsidentenwahl in Österreich: Eine historische Abstimmung | |
> In der zweiten Runde könnten ein Grüner und ein Vertreter der rechten FPÖ | |
> aufeinandertreffen. Das wäre ein Debakel für die Regierungsparteien. | |
Bild: Wahlwerbung für den Grünen Alexander van der Bellen | |
Wien taz | Massenhysterie sieht anders aus. Wenn die Kandidatin und die | |
fünf Kandidaten, die sich um das Amt des Bundespräsidenten bewerben, auf | |
Tour sind, bilden sich keine Menschentrauben. Manche müssen sich sogar | |
vorstellen, wenn sie mit Kamerateams im Schlepptau auf einem | |
Provinzhauptplatz auf die Tribüne klettern. Doch hinter dem verhaltenen | |
Wahlkampf verbirgt sich ein Epochenwandel. | |
Ein Match linksliberal gegen rechts, weltoffen gegen fremdenfeindlich, | |
Bildungsbürger gegen Proletariat steht Österreich bevor. Wenn am Sonntag | |
der Bundespräsident gewählt wird, geht es um mehr als die Nachbesetzung | |
eines Grüßaugusts. Vielmehr steht eine ideologische Richtungsentscheidung | |
an, die auch die Regierung ins Wanken bringen kann. | |
Österreichs Bundespräsident ist von der Verfassung mit wenig Macht | |
ausgestattet worden. Anders als in Deutschland wird er aber vom Volk | |
gewählt. Das macht diesmal einen entscheidenden Unterschied. Will man den | |
Umfragen glauben, wird dieses Volk die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP | |
gehörig abstrafen. Denn deren Kandidaten, der ehemalige Sozialminister | |
Rudolf Hundstorfer und der ÖVP-Seniorensprecher Andreas Khol, dürften es | |
nicht einmal in die Stichwahl schaffen. Das ist ein absolutes Novum und der | |
ungewohnten Vielzahl an wählbaren Kandidaten geschuldet. | |
Da ist Alexander van der Bellen, der ehemalige Parteichef der Grünen, der | |
die Umfragen anführt. Demoskopen sehen ihn bei 24 bis 27 Prozent der | |
Stimmen. Knapp hinter ihm liegt der Kandidat der rechten FPÖ. Die schickt | |
mit dem dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer einen Mann ins | |
Rennen, der sich durch seine höflichen Umgangsformen und die sanfte Stimme | |
deutlich von Parteichef Heinz Christian Strache abhebt. | |
Nicht chancenlos ist die ehemalige Höchstrichterin Irmgard Griss, die sich | |
2015 einen Namen machte, als sie eine Kommission zur Untersuchung der | |
Fehlleistungen rund um den Bankrott der ehemaligen Kärntner Hausbank Hypo | |
Alpe Adria leitete. Sie tritt als Unabhängige an und liegt deutlich vor den | |
Kandidaten des Regierungslagers. Eher folkloristischer Natur ist die | |
Kandidatur des Baumeisters Richard Lugner, 83, der mit seiner 26-jährigen | |
Frau Cathy durch die Lande zieht. Er erfreut sich zwar dank zahlreicher | |
Auftritte in Reality Shows hoher Bekanntheit, wird aber mehr als Clown denn | |
als Staatsmann gesehen. | |
Van der Bellen, der ehemalige Wirtschaftsprofessor, präsentiert sich als | |
parteiunabhängig, um auch über das linksalternative Lager hinaus Akzeptanz | |
zu finden. Er sandte Signale in Richtung Sozialdemokraten, von denen viele | |
von ihrer Partei enttäuscht sind. Er weiß, dass sein bürgerlicher | |
Lebensstil, sein bedächtiges Auftreten und sein Appell an die | |
Heimatverbundenheit auch im konservativen Lager punkten können. Polarisiert | |
hat er durch die Ansage, er würde eine FPÖ-geführte Regierung nicht | |
vereidigen, wenn er fürchten müsse, dass sie Österreichs Einbettung in die | |
EU gefährde. | |
## Eine Million Unentschiedene | |
FPÖ-Mann Hofer warnt daher vor einem „grünen Diktator“. Umstritten ist, ob | |
der Präsident so viel Gestaltungsmöglichkeiten hat. Bisher haben | |
Staatsoberhäupter ihr Missfallen mit einem neuen Kabinett mit der | |
Streichung einzelner Namen kundgetan. So Thomas Klestil 2000, als er eine | |
FPÖ-ÖVP-Regierung vorgesetzt bekam. | |
Bemerkenswert ist, dass der 72-jährige Professor vor allem bei der Jugend | |
Anklang findet. Von den Wählerinnen und Wählern zwischen 16 und 29 Jahren | |
würde er mit beachtlichen 42 Prozent gewählt werden. Vor allem unter den | |
besser Gebildeten liegt er weit vorn, während Hofer bei Lehrlingen und | |
Facharbeitern besser ankommt. Hofer, der seit einem Unfall beim | |
Gleitschirmfliegen am Stock geht, meidet anstrengende Wahlkampftouren. Die | |
FPÖ ist aber unübertroffen bei der Mobilisierung im Netz. | |
Eine Million Wähler, die bisher noch keine Präferenz geäußert haben, wären | |
noch zu haben. Auf sie und die oft unzutreffenden Prognosen der Demoskopen | |
verweisen die Regierungskandidaten, wenn sie Optimismus heucheln. Die | |
Nervosität ist aber spürbar. Für SPÖ und ÖVP geht es um mehr als das | |
Präsidentenamt. Sollte keiner ihrer Kandidaten in die Stichwahl kommen, | |
steht die Legitimität der Regierung in Frage. An den Sesseln der | |
Parteichefs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold | |
Mitterlehner (ÖVP) wird bereits gesägt. | |
21 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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