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# taz.de -- Debatte Präsidentenwahl in Österreich: Rechtsradikale wenigstens …
> Den Sieg der FPÖ bei der Präsidentenwahl kann nur ein breites
> demokratisches Bündnis abwenden. Das Land ist ohnehin in einer Krise.
Bild: Typus Hofer: Ein Rechtsradikaler, vor dem man sich nicht fürchten muss
Es war dann doch ein Schockmoment, als der blaue Balken am vergangenen
Sonntag um 17 Uhr am TV-Schirm nach oben schoss: 35 Prozent der Stimmen für
den [1][rechtsradikalen FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer, der
nächstplatzierte Kandidat – der ehemalige grüne Parteivorsitzende Alexander
van der Bellen] – mit 21 Prozent deutlich zurück.
Und die Kandidaten der beiden regierenden Exgroßparteien, der
Christdemokraten und der Sozialdemokraten, nur mehr knapp über 10 Prozent.
In dieser Dimension hatte das niemand auf dem Zettel, kein Politikexperte,
kein Meinungsbefrager.
Für die FPÖ ist dieser erste Durchgang der Präsidentschaftswahl der größte
Durchbruch, der ihr bei einer bundesweiten Wahl je gelang. Dafür sind eine
Reihe von Gründen ausschlaggebend. Zunächst einmal der Kandidat und sein
Wahlkampf. Aus Sicht der FPÖ waren Kandidat und Kampagne regelrecht genial.
Man setzte auf „Österreich zuerst“, auf Anti-EU, auf Anti-Flüchtlinge und
auf die alles grundierende gewohnte Botschaft, auf Anti-Establishment.
## Ein harmloser Extremist
Mit Hofer hatte man aber einen Kandidaten, der vom Habitus
vertrauenerweckend daherkommt, ein bisschen streberhaft, ein wenig
milchbubihaft wirkt. Typus: Ein Rechtsradikaler, vor dem man sich nicht
fürchten muss. Ein Extremist, aber ein harmloser. Damit war er die ideale
Figur, um das Potenzial seiner Partei so dramatisch zu überschreiten. Ist
Parteichef Strache der Scharfmacher, der auch abschreckend wirkt, so ist
Hofer der brav-biedere Schwiegersohntyp, den man schon auch einmal aus
reiner Unzufriedenheit wählt.
Das erklärt, warum Hofer so deutlich über dem erwarteten Potenzial seiner
Partei lag. Das Potenzial selbst ist natürlich ohnehin erschreckend hoch
und wird genährt durch all das, was generell in Europa heute für
Rechtspopulisten günstig ist: der Verdruss an den politischen und
ökonomischen Eliten, dem Gefühl der „einfachen Bürger“, dass sich ohnehin
für sie niemand interessiert. In Österreich kommt dazu: die Wut auf eine
große Koalition jener Parteien, die das Nachkriegsösterreich geprägt haben,
die in den Augen der Leute „seit immer schon“ das Land als ihren Besitz
ansehen und heutzutage nur mehr haarsträubend unfähige Apparatschiks in
Spitzenfunktionen haben. Personifiziert wird all das durch die Person des
Kanzlers, Werner Faymann. Die Kandidaten der beiden etablierten
Exgroßparteien erlebten dementsprechend einen Absturz, der seinesgleichen
sucht. Dass Faymann nach diesem Debakel noch immer verantwortungslos an
seinem Sessel klebt, ist unfassbar.
Die nächsten vier Wochen wird es nun tricky. Der FPÖ-Mann Hofer hat
beileibe noch nicht gewonnen. Freilich, der deutliche Abstand, mit dem er
vor dem Zweitplatzierten liegt, dem eigentlich favorisierten Alexander van
der Bellen, steckt dem Mitte-links-Lager wie ein Schock in den Knochen. Und
dabei bräuchte es gerade jetzt Mut und Schwung, wenn dieser Vorsprung noch
aufgeholt werden soll. Ein Schulterschluss der Demokraten wird jetzt
gefordert – der wird aber auch noch kompliziert durch die Angst, es könnte
Hofer womöglich auch noch nützen, wenn sich jetzt das gesamte Land, vom
Kanzler bis zum Kardinal, auf seine Seite schlägt, weil dann die FPÖ
trommeln kann: „Seht her, das ganze Establishment tut sich zusammen, um den
Kandidaten der einfachen Leute zu verhindern.“
## FPÖ hat Potenzial ausgeschöpft
Aus heutiger Sicht steht es für die Entscheidungswahl in vier Wochen Spitz
auf Knopf. Hofer hat das Potenzial der FPÖ-affinen Wählerschaft weitgehend
ausgeschöpft, kann aber aus dem konservativen Lager noch Stimmen fischen.
Bisherige grüne und sozialdemokratische Wähler sind dagegen im ersten
Durchgang in höherer Zahl daheimgeblieben.
Das heißt, van der Bellen könnte aus dem Nichtwählerbereich gewinnen.
Gewinnt er den Großteil der Wähler der unabhängigen, liberal-demokratischen
Kandidatin Irmgard Griss und dazu auch noch die Hälfte jener, die im ersten
Durchgang für den SPÖ-Kandidaten gestimmt haben, dann sind die notwendigen
50-Prozent-plus-1 durchaus möglich. Zugleich hat natürlich die FPÖ nach
diesem Ergebnis im ersten Durchgang ein erhebliches Momentum – sie strotzt
vor Selbstbewusstsein.
## Abgestrafte Altparteien
Die Verhinderung von Hofer als Bundespräsident ist ohnehin nur das
unmittelbare Minimalprogramm, das, selbst wenn es gelänge, an der tiefen
Krise des politischen Systems nichts ändern wird. Die Regierung hat
abgewirtschaftet, die Sozialdemokraten sind ein lebloser Torso mit einem
Kanzler und Parteivorsitzenden Werner Faymann, dem nach dutzenden Schwenks
und ewigem haltungslosen Herumtaktieren überhaupt niemand mehr irgend etwas
glaubt. Die Regierungsparteien haben nicht die Spur einer positiven Idee,
wie man das Land vorwärts bringen kann. Seit Monaten schon zeigen Umfragen,
dass die Freiheitlichen stärkste Partei würden, wenn es Nationalratswahlen
gäbe. Und zwar mit Abstand: Die Rechtsradikalen liegen stabil bei 32
Prozent, Christ- und Sozialdemokraten liegen zehn Prozent zurück.
Die gewohnte politische Welt zerbröselt. Wenn die Wende in Österreich
Richtung Orbanistan noch gestoppt werden sollte, bräuchte es eine
Notoperation am offenen Herzen: Insbesondere die Sozialdemokraten müssten
einen Großteil ihres politischen Führungspersonals austauschen, und das,
während sie in einer Regierung gefesselt sind, deren Akteure sich nur mehr
gegenseitig blockieren. Es ist nicht völlig unmöglich, dass das gelingen
kann, aber sagen wir so: Es sind nicht die günstigsten Bedingungen für eine
solche Operation.
Das Land kippt nach rechts, und eine linke Alternative, die den Verdruss
und die Unzufriedenheit auf ihre Mühlen lenken kann, existiert auch nicht.
Wenn die Sozialdemokraten den U-Turn nicht schaffen, müsste eine solche
Alternative in Windeseile geschaffen werden. Regulär stehen die nächsten
Parlamentswahlen 2018 an, aber kaum jemand wettet noch darauf, dass sich
die Koalitionäre nach diesem Debakel noch so lange durchschleppen können.
1 May 2016
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## AUTOREN
Robert Misik
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