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# taz.de -- Wagenknecht über Rechtspopulisten: „Dämonisierung nutzt der AfD…
> Die Regierung treibt der AfD die Stimmen zu, sagt Sahra Wagenknecht. Die
> Linken-Politikerin will die Sorgen der Bürger ernst nehmen.
Bild: Rot: Sahra Wagenknecht
taz: Frau Wagenknecht, Bodo Ramelow will bis zu 2.000 Flüchtlinge aus
Idomeni nach Thüringen holen. Unterstützen Sie das?
Sahra Wagenknecht: Natürlich müssen die Menschen raus aus diesem
Schlammloch. Und 2.000 Flüchtlinge sind für Deutschland kein Problem, auch
mehr.
Sie haben vor einem Monat gesagt, dass es „Grenzen der Aufnahmebereitschaft
der Bevölkerung“ für Flüchtlinge gibt. Diese Aussage klang wie: Das Boot
ist voll.
Ich habe nur darauf hingewiesen, dass die Stimmung vorherrscht: „Wir können
nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen.“
Wer sagt „Das Boot ist voll“, weist auch nur auf eine Stimmungslage hin.
Nein. Der sagt: „Es soll keiner mehr kommen.“
Das haben Sie nicht gemeint?
Weder gesagt noch gemeint.
Als Merkel im Herbst die Grenzen öffnete, wie fanden Sie das?
Es war richtig, die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu holen. Aber
dann hätte Merkel auf die europäischen Partner zugehen und eine gemeinsame
Lösung suchen müssen, statt im Alleingang zu entscheiden. Und sie hatte
keine Strategie. Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer wäre im Herbst das
Chaos ausgebrochen. Bis zu eine Million Menschen zu integrieren, ist eine
Mammutaufgabe. Aber die Regierung hält weiter an der Schwarzen Null fest
und lehnt Reichensteuern ab. Mit den meisten Kosten werden die Kommunen
allein gelassen. Also müssen die zusätzlichen Ausgaben durch Kürzungen an
anderer Stelle finanziert werden. So hat Merkel dafür gesorgt, dass die
Stimmung kippt.
Wollen Sie eine Obergrenze für Flüchtlinge?
Die Debatte über Obergrenzen ist verlogen, solange Fluchtursachen nicht
bekämpft, sondern gefördert werden. Durch Waffenexporte in Kriegsgebiete.
Durch subventionierte Agrarexporte. Da muss man sich nicht wundern, dass
sich immer mehr Verzweifelte nach Europa aufmachen.
Soll Deutschland nun freiwillig Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen?
Wir haben immer legale Wege für Asylsuchende gefordert. Aber wir brauchen
eine europäische Lösung. Und die gibt es auch deshalb nicht, weil Merkel
seit der Eurokrise viele Länder so vor den Kopf gestoßen hat, dass sie sich
jetzt revanchieren. Auch der Deal mit dem Despoten Erdoğan war ein
Alleingang. Wer so agiert, muss sich nicht wundern, dass keiner mitzieht.
Also nein?
Wir müssen Menschen, die vor politischer Verfolgung und Krieg fliehen,
Schutz gewähren. Vor allem aber muss Deutschland etwas dafür tun, dass
nicht immer mehr Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Durch den
schäbigen Türkei-Deal unterstützt Merkel ein Regime, das islamistische
Terrorbanden wie al-Nusra hochrüstet und einen brutalen Krieg gegen die
Kurden führt.
Sogar Horst Seehofer hat davon geredet, 200.000 Flüchtlinge aufzunehmen.
Warum jetzt freiwillig Kriegsflüchtlinge aufnehmen?
Das Asylrecht ist inzwischen faktisch abgeschafft, weil die Eilverfahren in
den griechischen Hot Spots keine faire Prüfung gewährleisten. Das ist ein
Skandal. Auch in Deutschland wurde das Asylrecht geschleift.
Bedauerlicherweise mit Unterstützung eines Teils der Grünen. Nur die Linke
hat das geschlossen abgelehnt. Aber richtig ist auch: Es gibt weltweit 60
Millionen Flüchtlinge und Millionen Hungernde. Jeder weiß, dass wir diesen
Menschen nicht dadurch helfen können, dass wir sie alle nach Deutschland
holen, aber Deutschland könnte viel mehr tun, um ihre Lebensbedingungen vor
Ort zu verbessern.
Ist es aus humanitären Gründen nicht zwingend, dass Deutschland Flüchtlinge
aus Syrien aufnimmt?
Ja, aber warum nur aus Syrien? Warum nicht aus Afghanistan, wo die
Bundeswehr am Krieg seit 2001 beteiligt ist? Warum nicht aus dem Irak oder
Libyen, deren Staatsgefüge durch westliche Bomben zerstört wurde?
Ein Drittel der Linksparteiwähler in Sachsen-Anhalt findet, dass die Partei
zu flüchtlingsfreundlich ist. Was folgt daraus?
Das ist nicht erstaunlich. Es gibt kaum noch sozialen Wohnungsbau.
Flüchtlinge suchen Wohnraum in der Regel in ärmeren Gegenden und werden
dort als Konkurrenz wahrgenommen. Und die Regierung erleichtert es den
Unternehmen, Flüchtlinge für Lohndumping zu missbrauchen. So treibt sie der
AfD die Stimmen zu.
In Sachsen-Anhalt gibt es kaum 30.000 Flüchtlinge. Kann man da von
begründeten Ängsten der Bürger reden?
Es gibt in Sachsen-Anhalt Orte mit Wohnungsleerstand, ja. Aber dort ist die
Arbeitslosigkeit und damit die Konkurrenz um Jobs größer.
Muss die Linkspartei ihre Flüchtlingspolitik ändern?
Wir müssen die Ängste ernst nehmen. Es ist falsch, alle AfD-Wähler als
rassistisch zu denunzieren. Aber nicht die Flüchtlinge sind schuld, sondern
Merkels Politik.
Die Linkspartei hat in Sachsen-Anhalt verloren, im Westen den Einzug in die
Parlamente schon wieder verfehlt. Wie tief ist die Krise ihrer Partei?
Wir hatten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bei Landtagswahlen
leider noch nie bessere Ergebnisse. Wer noch nie im Landtag war, hat es
schwer, die Menschen landespolitisch zu überzeugen. Dramatisch verloren
haben wir in Sachsen-Anhalt. Offensichtlich wird ein zu stark
regierungsorientierter Wahlkampf von den Wählern nicht honoriert.
Und nun?
Orientieren wir uns an dem Wahlkampf 2009. Wir waren erfolgreich, weil wir
knappe, klare Botschaften hatten.
Die Protestpartei mit den knappen, klaren Slogans ist nun die Alternative
für Deutschland.
Die AfD hat es geschafft, sich als die Opposition gegen alle anderen zu
inszenieren. In der Realität steht die AfD für Sozialabbau und
Interventionskriege, und so gesehen sind alle Parteien außer der Linken
AfD-nah, denn sie stimmen in diesen Grundsatzfragen mit ihr überein. Bei
der Vizepräsidentenwahl in Sachsen-Anhalt hat man ja auch gesehen, welche
politischen Bündnisse gerade entstehen. Dass die neue Kenia-Koalition dort
eher einen AfD-Mann wählt als einen Linken, zeigt, wer wem nahesteht.
Also keine Angst vor der AfD?
Es nutzt der AfD, wenn man sie dämonisiert. Man muss sich mit ihr
inhaltlich auseinandersetzen. Die AfD hat nicht das Ziel, sozialen
Wohnungsbau zu fördern, Altersarmut zu bekämpfen oder Leiharbeit
abzuschaffen. Sie will weder Erbschafts- noch Vermögenssteuern, sondern
Steuersenkungen für Millionäre.
AfD-Chefstratege Alexander Gauland findet viele Ihrer politischen
Positionen gut – und dass Sie in der falschen Partei sind.
Letzteres gebe ich gern zurück. Es ist schwer verständlich, dass Herr
Gauland, der früher in der taz publiziert hat, sich heute an der Seite von
Halbnazis wie Björn Höcke und anderen völkischen Nationalisten wohlfühlt.
Umso erstaunlicher, dass es Schnittmengen bei Eurokritik und beim
Nationalstaat zwischen Gauland und Ihnen gibt.
Wenn es regnet, und die AfD sagt, es regnet, werde ich nicht behaupten,
dass die Sonne scheint. Dass der Euro Europa spaltet und den deutschen
Exportnationalismus fördert, habe ich thematisiert, als es die AfD noch gar
nicht gab. Und dass die aktuellen europäischen Institutionen Demokratie
zerstören, konnte im letzten Jahr jeder in Griechenland besichtigen.
Natürlich fordert die Linke nicht mehr Troika, sondern mehr Demokratie.
Aber die Forderung ist die gleiche – weniger EU?
Wir fordern weniger Sozialdumping, weniger Steuerdumping und weniger
Lohndumping. In Brüssel funktioniert die Demokratie nicht, weil sie viel zu
weit von den Bürgern entfernt ist. Deshalb haben dort Lobbygruppen und
Konzerne ein leichtes Spiel. Es ist falsch, noch mehr Kompetenzen auf die
europäische Ebene zu verlagern.
Fordern Sie ein Europaparlament mit mehr Kompetenzen – als Schritt zu mehr
Demokratie in der EU?
Leider haben die Lobbyisten im europäischen Parlament noch mehr Einfluss
als im Bundestag. Zudem gilt das demokratische Prinzip „one man one vote“
dort nicht, aus guten Gründen. Aber das zeigt, dass Europa eben kein Staat
ist, sondern ein Bund von verschiedenen Staaten und Kulturen.
Gauland scheint nicht so falsch zu liegen, wenn er viel Übereinstimmung mit
Ihnen sieht.
Wie bitte? Die AfD will zurück zum Blut-und-Boden-Prinzip, das in
Deutschland geborenen Kindern von Migranten die Staatsbürgerschaft
vorenthält. Wenn sie von Nationalstaat redet, geht es nicht um Demokratie,
sondern um Ethnien und Abstammung. Mit solchen Thesen habe ich nichts zu
tun.
Katja Kipping, Chefin Ihrer Partei, will die Vereinigten Staaten von
Europa. Sie auch?
Wir brauchen europäische Abstimmung und Zusammenarbeit. Aber das heutige
Europa basiert auf den Konzepten des beinharten Neoliberalen von Hayek.
Seine Kernidee war, dass ein europäischer Bundesstaat sehr viel schwächer
und daher weniger in der Lage ist, dem Kapitalismus soziale Regeln
aufzuzwingen, als einzelne Staaten. Tatsächlich hat Brüssel meist so
interveniert, dass soziale Standards gesenkt und Privatisierungen
vorangetrieben wurden.
17 Apr 2016
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Pascal Beucker
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