# taz.de -- Debatte Geldpolitik: Billiges Geld, billige Sprüche | |
> Ist EZB-Chef Draghi für die niedrigen Zinsen verantwortlich? Schön wär’s. | |
> Das Thema könnte die nächste Bundestagswahl beeinflussen. | |
Bild: Nichts drin? Hat der Draghi wieder zugelangt? Ach was, das sind nur deuts… | |
Keine Behauptung ist zu doof, wenn es gilt, einen Sündenbock zu finden. | |
Finanzminister Wolfgang Schäuble hat jetzt EZB-Chef Mario Draghi frontal | |
attackiert. Angeblich ist nämlich Draghi schuld, dass die AfD so stark | |
zugelegt hat. Seine Geldpolitik hätte den Rechtspopulisten etwa die Hälfte | |
ihrer Stimmen beschert. Schäuble bissig: Darauf könne Draghi „stolz“ sein. | |
Konkret geht es um die niedrigen Zinsen, die in Deutschland auch gern als | |
„Enteignung der Sparer“ firmieren. Denn Schäuble ahnt, dass die Flüchtlin… | |
nicht das Thema sind, welches die nächsten Bundestagswahlen entscheidet – | |
vielmehr droht wirtschaftliches Ungemach. Also muss frühzeitig klargestellt | |
werden, dass die Bundesregierung unschuldig ist und der Verantwortliche im | |
EZB-Tower in Frankfurt sitzt. | |
Unterschwellig schwingt Rassismus mit. Nach dem Motto: Draghi sei ein | |
„typischer“ Italiener, der am liebsten das Geld der Deutschen mit vollen | |
Händen ausgibt. Die billigen Zinsen, so die Idee, sollen auf deutsche | |
Kosten das dolce far niente im Süden finanzieren. Um die Debatte zu | |
verstehen, sind zwei Themen auseinanderzuhalten: Welche Schäden richten | |
niedrige Zinsen an? Und welchen Einfluss hat die EZB? | |
Um zunächst bei den niedrigen Zinsen zu bleiben: Ein erstes Opfer ist schon | |
zu beklagen – die Riester-Rente. CSU-Chef Horst Seehofer hatte | |
ausnahmsweise recht, als er kürzlich verkündete, „Riester ist gescheitert.�… | |
Man muss kein Rechenkünstler sein, um festzustellen, dass sich Riestern | |
nicht rechnet, wenn die Rendite bei null liegt. Die Schröder-Regierung | |
hatte optimistisch angenommen, dass jährlich 4 Prozent herauskommen. | |
## Riester-Rente unter den Opfern | |
Zwar war die Riester-Rente schon immer ein schwachsinniges Produkt, weil | |
die staatlichen Zulagen von bisher mehr als 25 Milliarden Euro letztlich | |
dazu dienten, die üppigen Provisionen der Banken und Versicherungen zu | |
finanzieren. Insofern kann man sich freuen, wenn dieser Schwindel | |
verschwindet. | |
16,5 Millionen Bundesbürger haben allerdings ihr Geld schon dort versenkt. | |
Die Riester-Pleite ist zudem nur der Spezialfall eines umfassenden | |
Problems: Wenn die Zinsen niedrig bleiben, geraten sämtliche | |
Versicherungskonzerne in die Bredouille. Alle Lebensversicherungsverträge | |
sind kapitalgedeckt; wenn aber diese Kapitalanlagen keine Renditen mehr | |
abwerfen – dann wird es schwierig. Schon jetzt müssen viele Kunden | |
feststellen, dass ihnen die Versicherer weniger auszahlen, als einst | |
versprochen war. | |
Die Garantierente bei den Lebensversicherungen sinkt unablässig und liegt | |
derzeit bei 1,25 Prozent. Demnächst dürften es nur noch 1,0 Prozent sein. | |
Selbst diese bescheidene Rendite klingt besser, als sie ist, denn die | |
Garantierente wird nur auf den „Sparanteil“ der Versicherungsverträge | |
gezahlt. Bekanntlich geht aber ein großer Teil der monatlichen Raten dafür | |
drauf, die teuren Provisionen der Versicherungskonzerne zu decken. | |
Die wahre Rendite ist eine Katastrophe, wie die Ratingagentur Assekurata | |
ausgerechnet hat: „Wer heute eine private Rentenversicherung mit 1,25 | |
Prozent Garantiezins abschließt, hat aus heutiger Sicht nach 25 Jahren eine | |
garantierte Beitragsrendite von 0,42 Prozent.“ Da kann man sein Geld auch | |
gleich unter die Matratze legen, was den Vorteil hat, dass man seinen | |
Vertrag nicht erst kündigen muss, um an das eigene Vermögen heranzukommen: | |
Fast 80 Prozent aller Kunden beenden ihren Lebensversicherungsvertrag | |
vorzeitig – und verlieren dabei viel Geld. | |
## Am besten unter die Matratze | |
Bei niedrigen Zinsen ist das Geschäft mit den Lebensversicherungen also | |
tot. Aber von Haftpflicht- oder Kaskoverträgen allein können die | |
Versicherungskonzerne nicht leben. Das wird noch schmerzhaft, sehr | |
schmerzhaft. | |
Extrem gefährdet sind auch die Banken, wenn die Zinsen nicht bald steigen. | |
Selbst für einen 10-jährigen Kredit können die Institute heute nur noch 2 | |
Prozent Zinsen verlangen, wenn keine besonderen Risiken vorliegen. Doch mit | |
diesen niedrigen Zinsen lassen sich kaum die Kosten decken. Das klassische | |
Geschäftsmodell der Banken funktioniert nicht mehr, das da hieß: Einlagen | |
rein, Kredite raus. Der Chef der alternativen GLS-Bank, Thomas Jorberg, | |
gehört zu den Vordenkern seiner Branche und sagte schon vor mehr als einem | |
Jahr: „Wir wissen nicht, wie eine Bank in zehn Jahren aussieht. Wir wissen | |
nur, dass sie nicht mehr so aussieht wie heute.“ | |
Gerade Großbanken wie die Deutsche Bank dürften existenziell bedroht sein, | |
wenn sich mit dem Zinsgeschäft kein Geld mehr verdienen lässt. Die | |
Finanzaufsicht Bafin warnte schon sehr deutlich, dass die Banken ihre | |
Kosten radikal zusammenstreichen müssen: „Nichts zu tun und nur zu warten, | |
bis sich das Schreckgespenst Niedrigzins verzogen hat, wäre – für einige | |
Institute zumindest – Selbstmord auf Raten.“ | |
## Ein Schuldiger muss her | |
Für Schäuble und die Finanzbranche ist das Szenario also denkbar | |
unerfreulich, wenn die Zinsen niedrig bleiben: Versicherungskonzerne und | |
Banken schlingern; die Wählern erwarten Antworten, warum die Riester-Rente | |
ein Rohrkrepierer ist. Ein Schuldiger muss her: Draghi. Angeblich ist ganz | |
allein die EZB schuld, dass die Zinsen bei null liegen. | |
Was stimmt: Die EZB versucht die Kreditzinsen zu senken, indem sie die | |
Banken mit Geld flutet – und neuerdings sogar Strafzinsen verlangt, wenn | |
Banken Geld auf ihren Zentralbankkonten parken. Aber es wäre Quatsch, dies | |
als den bösartigen Einfall eines leichtlebigen Italieners zu deuten. Auch | |
die Zentralbanken von Dänemark, Schweden, Japan und der Schweiz | |
experimentieren mit Negativzinsen. Was zeigt: Nicht einmal die Eurokrise | |
ist wirklich schuld, dass die Zinsen im Keller sind. Auch in | |
Nicht-Euro-Ländern ist das Geldsystem völlig aus den Fugen. Was ist los? | |
Es gibt zu viel Geld. Aber fast niemand nimmt Kredite auf. Es gilt das | |
normale Gesetz von Angebot und Nachfrage. Weil Geld im Überfluss vorhanden | |
ist, sinkt der Preis, also der Zins, ins Bodenlose. Für die deutschen | |
Sparer wird es noch sehr ungemütlich – und damit auch für Schäuble. | |
16 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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