# taz.de -- Anschläge in Israel: Terror als Alltag | |
> In Israel hat man sich auf Anschläge eingestellt, Kontrollen und | |
> Wachposten sind üblich. Die EU könnte von den Erfahrungen noch lernen. | |
Bild: Auch wenn der Terror zum Alltag gehört, wird dennoch gefeiert – bei Pu… | |
Jerusalem taz | „Menschenmengen meiden“, ist der Ratschlag der Fotografin | |
Debbie Hill an alle, die Terror fürchten müssen. Wenn sie unterwegs sein | |
muss, greift die agile 60Jährige lieber zum Kaffee im Einmalbecher, um dann | |
rasch auf Abstand zu Restaurant oder Kiosk zu gehen. Ähnlich vorsichtig | |
unternehmen Autofahrer in Zeiten der Gefahr die umständlichsten Manöver, um | |
an der Ampel nicht direkt hinter einem Bus zu halten. Wer kann, so rät | |
Hill, meide den öffentlichen Verkehr. | |
In den Jahren der Bombenattentate organisierten israelische Eltern | |
Car-Pools zur Schule oder zahlten, wenn sie es sich leisten konnten, lieber | |
eine teure Taxifahrt, als ihre Kinder der Gefahr auszusetzen, in die Luft | |
gesprengt zu werden. Die Suche nach einem Partner verlagerte sich über | |
Jahre von der Party oder Kneipe ins Internet, „Blind Dates“ fanden eher bei | |
einem der Singles zu Hause statt, nur nicht in der Öffentlichkeit. | |
Seit Jahrzehnten ist Terror Alltag in Israel. Niemanden stört sich daran, | |
wenn er den Kofferraum öffnen muss an der Einfahrt zu einem Parkhaus, noch | |
an der Frage, ob er eine Waffe dabeihabe. Fast alle Bürohäuser, Theater, | |
Kinos, Bibliotheken und Krankenkassen in Israel sind streng bewacht. Am | |
Eingang zu öffentlichen Gebäuden die Tasche öffnen zu müssen, ist so | |
selbstverständlich wie die Metalldetektoren. Bis zu drei Wachposten muss | |
passieren, wer das Warenhaus oder einen Supermarkt im Einkaufszentrum | |
besucht. | |
Pini Schiff, ehemals Sicherheitschef am Flughafen Ben Gurion findet, dass | |
die jüngsten Terroranschläge in Brüssel die europäischen Staaten | |
wachrütteln sollten und dazu veranlassen, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu | |
überdenken. Der Flughafen unweit von Tel Aviv gilt als einer der sichersten | |
weltweit. Schon an der Auffahrt zum Flughafengelände, stoppen | |
Sicherheitsleute jeden einzelnen Wagen, wechseln mit den Insassen ein paar | |
Worte und lassen sich im Zweifelsfall die Papiere zeigen. | |
## Prinzip des „Profiling“ | |
„Das System von Sicherheitszirkeln ermöglicht es, einen verdächtigen | |
Passagier schon sechs Kilometer vor dem Terminal abzufangen“, erklärt | |
Schiff in der Jerusalem Post. Besonders effektiv sei das Prinzip des | |
„Profiling“. Der Sicherheitsapparat ginge dabei davon aus, dass „99.9 | |
Prozent der Passagiere keine Terroristen sind“. Sämtliche Fahrgäste zu | |
kontrollieren, sei Zeitverschwendung. | |
Araber, Alleinreisende und Männer bergen offiziell das größte | |
Gefahrenpotential, und die Aufmerksamkeit der Wachleute konzentriert sich | |
auf die Schnittmenge der drei Gruppen. Frauen mit Kleinkindern oder ältere | |
jüdische Israelis werden hingegen kaum befragt. In Tel Aviv funktionieren | |
die Kontrollen anders als in Berlin oder Brüssel, wo man sich vor dem | |
Vorwurf scheut, rassistisch vorzugehen bei dem Kampf gegen den Terror. „50 | |
Jahre Erfahrung“, so schreibt der Geheimdienstexperte Jossi Melman in der | |
Jerusalem Post, führten zu dem Ergebnis „einer holistischen | |
Sicherheitsdoktrin“. Israels Flughafensicherheit lässt sogar Passagiere mit | |
Colaflaschen durch, während in Schönefeld Leberwurst und Gesichtscreme | |
direkt aus dem Handgepäck in den Mülleimer fliegen. | |
Gideon Levy, linkspositionierter Reporter für palästinensische | |
Angelegenheiten von Haaretz, erinnert bei der Debatte, was Europa von | |
Israel lernen kann, daran, dass „Terror nicht gleich Terror ist“. Während | |
der „Islamische Staat“ „weder für die Ziele noch die Methoden irgendeine | |
Legitimation genießt“, sei der palästinensische Terror „in der Methode zw… | |
kriminell, aber in der Sache gerechtfertigt“. | |
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, der sich beeilte den Regierungen | |
in Ankara, Paris und Brüssel Israels Mitgefühl für die Opfer der Anschläge | |
auszudrücken, zieht gern einen Vergleich zwischen dem „Islamischen Staat“ | |
und Hamas, die, wie er sagt, beide „einzig vom Haß getrieben sind“. | |
Wissenschaftsminister Ofir Akunis zog gar eine Verbindung zwischen den | |
Anschlägen in Brüssel und Europas Israelpolitik. Während „Tausende | |
islamistische Terrorzellen“ heranwuchsen, so schreibt Akunis auf seiner | |
Facebook-Seite, habe Europa nichts besseres zu tun, als „dummerweise Israel | |
zu verurteilten und Produkte (aus Siedlungen) zu kennzeichnen“. | |
## Problem Messerattentate | |
So wenig sich die Motivation der Terroristen in Europa mit denen in Israel | |
vergleichen lässt, so unpraktibal dürften für Brüssel oder Paris zahlreiche | |
Maßnahmen sein, die Israels Verteidigungsapparat vorantreibt. Eine | |
Konsequenz der Terrorwelle vor 16 Jahren war Israels Entscheidung, | |
Trennanlagen zwischen Israel und den Palästinensergebieten zu errichten. | |
Derzeit kämpft der Sicherheitsapparat mit dem neuen Phänomen der | |
„Lone-Wolf“-Anschläge, meist mit Messern verübte Terrorüberfälle von | |
Einzeltätern, die über die letzten sechs Monate verteilt 30 Menschen | |
ermordeten. Bislang zeigen sich Armee, Polizei und Geheimdienste | |
überfordert. Die Welle der Überfälle reißt nicht ab. Vor der Altstadt | |
Jerusalems beobachtete die Fotografin Hill einen Palästinenser, der die | |
Hände vor sich ausstreckte, um zu demonstrieren, dass er kein Messer bei | |
sich trägt. „Es ist für uns nicht leicht, aber für sie (die Palästinenser) | |
auch nicht“, sagt Hill. | |
Das Mossawa Center, das sich um Rechtsbeistand für arabische Bürger in | |
Israel kümmert, berichtete diese Woche von einer „Verdopplung rassistischer | |
Übergriffe“ gegen Araber allein in diesem Jahr. Einer aktuellen Umfrage | |
zufolge, fürchten sich 85 Prozent der arabischen Staatsbürger vor einem | |
weiteren Anstieg von Übergriffen und Rassismus. Schon jetzt fürchteten sich | |
78 Prozent, in Einkaufszentren zu gehen, berichtet das israelisch-arabische | |
Nachrichtenportal Bokra.net. | |
27 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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