| # taz.de -- Robert Habeck über seine Kandidatur: „Ich habe keine Angst“ | |
| > Der Grünen-Politiker Robert Habeck ist stellvertretender | |
| > Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Nun will er Spitzenkandidat der | |
| > Grünen im Bund werden. | |
| Bild: „Ich kann mit Kategorien wie bürgerlich oder links zunehmend weniger a… | |
| taz.am wochenende: Herr Habeck, langweilen Sie sich in Kiel? | |
| Robert Habeck: Kein Stück. Ich bin als Minister verantwortlich für | |
| Energiewende, Umweltschutz und Landwirtschaft. Aber gerade diese Themen | |
| zeigen: Vieles wird im Bund entschieden, deshalb müssen die Grünen auch | |
| dort Einfluss haben. Das ist der Ansporn, warum ich Spitzenkandidat der | |
| Grünen werden will. | |
| Fürchten Sie sich nicht vor dem Haifischbecken in Berlin? | |
| Als ich vor zwölf Jahren Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein wurde, | |
| haben mich viele gefragt, ob ich keine Angst habe, in die Politik zu gehen. | |
| Als ich in den Landtag kam, sagten manche: Da musst du dich warm anziehen, | |
| da bekommst du es mit Ralf Stegner und Wolfgang Kubicki zu tun. Als ich | |
| Minister wurde, fragten sie, ob ich nicht Angst vor den vielen | |
| Entscheidungen habe. Nein, ich hab keine Angst. | |
| Sie sind seit vier Jahren Minister. Hat Sie das verändert? | |
| Ich bin idealistischer geworden. | |
| Ach. Warum? | |
| Hat mich auch überrascht. Ich hab gedacht, dass ich mich als Minister | |
| aufreibe: Lauter Kompromisse, nie macht man es allen recht. Aber in der | |
| Flüchtlingsfrage, beim Stromnetzausbau, bei der Agrarwende gibt es enorm | |
| viel Gemeinsinn. Menschen handeln im Konkreten oft nicht nur im | |
| Eigeninteresse. Das beflügelt, finde ich. | |
| Was haben Sie noch im Amt gelernt? | |
| Ich kann mich nicht wegducken. Meine Entscheidungen verändern das Leben von | |
| Menschen. Im besseren Fall stinkt es weniger nach Gülle. Oder aber jemand | |
| bekommt eine Stromtrasse vor die Tür gesetzt. Wenn ich im Büro den | |
| Knickerlass unterschreibe, stehe ich zwei Tage später mit Landwirten auf | |
| dem Feld, die fragen: Wie soll ich jetzt mit meinem Trecker wenden? | |
| Knickerlass? | |
| Knicke sind Wallhecken und ein wichtiges Biotop in Schleswig-Holstein für | |
| Insekten und Vögel. Ich habe dafür gesorgt, dass sie breiter wachsen dürfen | |
| – und besser geschützt sind. Das mag, von Berlin aus gesehen, niedlich | |
| klingen. Aber das war mein erster harter Konflikt mit den Landwirten. Denen | |
| geht damit Ackerfläche verloren. | |
| Wenn Ihnen das Kleinteilige so viel wert ist, warum wollen Sie in den | |
| Bundestag? Wollen Sie Minister werden? | |
| Mit „kleinteilig“ tun Sie das ab. Wir waren im Bund lange genug in der | |
| Opposition. Wir sollten regieren wollen – nicht zum Selbstzweck, sondern um | |
| zu gestalten. | |
| Müssen die Grünen sich 2017 bürgerlicher präsentieren? | |
| Ich kann mit Kategorien wie bürgerlich oder links zunehmend weniger | |
| anfangen. Wer hat denn applaudiert, als Merkel im letzten Herbst die Grenze | |
| öffnete? Das war die 75-jährige gestandene Bürgerin – und der Autonome mit | |
| Dreadlocks. Es gibt ein Verlangen in der Gesellschaft danach, dass sich | |
| Engagement lohnt. Wenn die Grünen das aufnehmen, werden wir Erfolg haben. | |
| 2013 sind die Grünen mit ihrem Steuerwahlkampf auf die Nase gefallen. Kann | |
| es sein, dass grüne Klientel die Illusion liebt, dass sie selbstlos mehr | |
| Steuern zahlen würde – aber nur, solange es nicht konkret wird? | |
| Das sehe ich anders. Die grünen Wähler wollen ihren Beitrag leisten – aber | |
| wir haben uns 2013 in Widersprüchen verheddert. Wir haben gefordert, dass | |
| Leute ab 60.000 oder 70.000 Euro Jahreseinkommen als Reiche bezeichnet | |
| wurden und mehr Steuern zahlen sollten – während Milliardäre wie die | |
| Quandts steuerfrei ihren Reichtum vererben. Und wir haben das mit dem | |
| Bedarf nach höheren Staatseinnahmen begründet, während die Steuern | |
| sprudelten. Das haben die Leute nicht verstanden. | |
| Wenn Sie Spitzenkandidat werden, dann lassen die Grünen also die Finger von | |
| Steuererhöhungen? | |
| Wachsende Ungleichheit zu verhindern ist für sich ein politisches Ziel. | |
| Großer Reichtum muss höher besteuert werden. Die Panama Papers zeigen das | |
| doch. Konzerne wie Amazon und Ikea machen sich europaweit legal einen | |
| schlanken Fuß. Das müssen wir ändern. Ökologisch schädliche Subventionen | |
| sollten abgebaut und Kapitalerträge nicht mehr pauschal mit nur 25 Prozent | |
| besteuert werden. Arbeit höher als Kapital zu besteuern war immer falsch. | |
| Über die Erbschaftsabgabe verhandelt Monika Heinold, die grüne | |
| Finanzministerin in Schleswig-Holstein, gerade im Bundesrat. | |
| Aber bei der Erbschaftsteuer hat das grün-rot regierte Baden-Württemberg | |
| die Pläne von CDU-Finanzminister Schäuble ausgebremst. Der wollte, dass | |
| Unternehmen ab 20 Millionen Euro Erbschaftsteuer zahlen müssen. | |
| Baden-Württemberg fand, das sei eine zu große Belastung für Unternehmen. | |
| Was wollen die Grünen denn jetzt? | |
| Schleswig-Holstein hat damals den Schäuble-Vorschlag unterstützt. Davon | |
| wären nur zwei Prozent der Betriebe betroffen gewesen. Ich glaube, die | |
| rot-grüne Seite hat sich damals taktisch ins Knie geschossen. Man wollte | |
| einfach keinem CDU-Mann recht geben. Das ist so ein blödes Ritual. | |
| Die Bundesrepublik ist ungleicher als die meisten OECD-Staaten. Die Hälfte | |
| der Bevölkerung hat kein Vermögen, wer arm ist, bleibt arm. Ihre | |
| Steuervorschläge sind viel zu zaghaft, um daran etwas zu ändern. | |
| Das stimmt. Ein System, das ständig Ungleichheit produziert, kann man | |
| allein mit Steuern nicht korrigieren. Bessere Schulen, bessere Kitas, | |
| höhere Reallöhne sind für eine gerechte Gesellschaft wichtiger, als | |
| nachträglich mit Steuern und Sozialtransfers die Unwucht auszutarieren. | |
| Auch Fraktionschef Toni Hofreiter und wohl ebenso der Parteivorsitzende Cem | |
| Özdemir wollen 2017 Spitzenkandidat werden. Was können Sie besser als die | |
| beiden? | |
| Cem kennt den Berliner Politbetrieb und die Partei aus dem Effeff, Toni | |
| ist ein kerniger Fraktionsvorsitzender. Die beiden sind bekannter als ich | |
| und bespielen die Berliner Bühne. Ich weiß aber, wie man in Konflikten | |
| Mehrheiten schafft und Politik konkret umsetzt. Ein linker | |
| Fraktionsvorsitzender, ein Realo als Bundesvorsitzender und ich mit meiner | |
| Knick- und Stromtrassenerfahrung – das ist doch ein spannendes Angebot für | |
| die Grünen. | |
| Werden Sie gewinnen? | |
| In der Poleposition sind die anderen. | |
| Sie wollen, falls Sie nicht Spitzenkandidat werden, auch nicht mehr für den | |
| Landtag kandidieren. Warum? | |
| Es wäre unfair und eigennützig, wenn ich die Grünen in Schleswig-Holstein | |
| als Versicherung benutze. Der Landesverband braucht Klarheit, um planen zu | |
| können. Außerdem verliere ich meine Kraft. | |
| Inwiefern? | |
| Ich habe als Minister gelernt, dass ich erfolgreicher bin, wenn ich nicht | |
| taktiere. Wenn ich bei Konflikten mit Bauern oder Naturschützern Angst | |
| hatte, Wählermilieus zu verschrecken oder parteiintern anzuecken, habe ich | |
| meine Kraft verloren. Wenn ich gesagt hab, was ich finde und will, gab es | |
| meist gute Lösungen. | |
| Herr Habeck, dann ist Ihre politische Karriere zu Ende. | |
| Vielleicht. | |
| Schade, oder? | |
| Na ja, der Sinn von Politik in der Demokratie ist doch, dass jeder | |
| Politiker werden kann. Und dass man auch wieder kein Politiker sein kann. | |
| Ich mache das ja gerade alles aus demokratischer Leidenschaft. Die erlischt | |
| nicht, wenn ich scheitere. Dann trete ich nicht beleidigt aus der Partei | |
| aus, sondern werde mich weiter einbringen, Flyer verteilen oder | |
| Kreisvorsitzender werden. Was ich nicht will, ist, dass für mich ein Stuhl | |
| warmgehalten wird. | |
| Das ist eine heroische Geste. Aber auch vernünftig? | |
| Wenn vernünftig bedeutet, tue bloß nichts, was du vielleicht bereust, dann | |
| ist es unvernünftig. Aber es gibt die Freiheit, nur nach vorne zu gucken. | |
| Die kann man eben nicht ohne Risiko haben. Ich kann schlecht von einer | |
| mutigeren Gesellschaft reden und selbst ängstlich handeln. | |
| Sie erhöhen mit der Ankündigung, im Fall einer Niederlage vielleicht ganz | |
| aus der Politik auszusteigen, den Druck auf die Partei, Sie zu wählen. | |
| Die Grünen sind selbstbewusst. Wenn sie sich erpresst fühlen, wählen sie | |
| mich nicht. Ich hoffe aber, dass meine Entscheidung nicht als Druck | |
| aufgefasst wird, sondern als Klarheit. Vielleicht ist das taktisch falsch. | |
| Aber es war auch taktisch falsch, schon vor einem Jahr meine Kandidatur | |
| anzukündigen. Ich will nicht alles nur taktisch abzirkeln, auch darum dreht | |
| sich meine Kandidatur. | |
| Sie sind Vizeministerpräsident in Kiel. Und grüne Nachwuchshoffnung. Warum | |
| werfen Sie das weg? | |
| Vielleicht gewinne ich ja. Wolfsburg hat auch Real Madrid geschlagen. | |
| 8 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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