# taz.de -- Glaube in der Öffentlichkeit: Wie hast du’s mit der Religion? | |
> Wo Christen, Juden und Muslime beten, entscheidet auch der Staat. Am BER | |
> wurde eine Kapelle eingerichtet, an der TU ein muslimischer Gebetsraum | |
> geschlossen. taz stellt die Gretchenfrage. | |
Bild: Gläubige Muslime im Gebetsraum einer Moschee | |
Manchmal tut man dem Pannenflughafen BER unrecht. Etwa, wenn man ihm | |
unterstellt, bisher sei nichts rechtzeitig fertig geworden. Eine Ausnahme | |
ist die Flughafenkapelle. Sie war schon fertig, als die Eröffnung des | |
Flughafens 2012 zum zweiten Mal verschoben wurde. Die längst einsatzbereite | |
Kapelle ist aber aus einem anderen Grund bemerkenswert. Sie gibt es nur, | |
weil Staat und Kirche einen Deal vereinbarten. | |
Ursprünglich war eine Kapelle gar nicht vorgesehen. Stattdessen hatte die | |
Flughafengesellschaft einen Ort der Stille geplant. Keinen ausgewiesenen | |
Gebetsraum also, sondern einen Rückzugsort für alle Fluggäste, seien sie | |
nun Christen, Juden, Muslime oder Atheisten. Ein weltanschaulich neutraler | |
Ort, passend zum kosmopolitischen Berlin. Doch dann machten die Berliner | |
Kirchen ein Angebot, dass die Flughafenbetreiber nicht ausschließen | |
konnten. | |
Wenn sich der Raum für eine Kapelle fände, würden sie die Seelsorger für | |
den ganzen Flughafen stellen, trugen das Erzbistum Berlin und die | |
Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz im | |
BER-Aufsichtsrat vor. Dort sind der Bund und die Länder Brandenburg und | |
Berlin vertreten. Kurz: der Staat. Und der willigte ein. Denn die für ihn | |
kostenlosen Flughafenseelsorger werden nicht nur geistlichen Beistand | |
leisten, sondern sich auch um trauernde Angehörige oder panische Fluggäste | |
kümmern. Ein Plus, das allen Christen eine Flughafenkapelle eingebracht | |
hat. Juden, Muslime oder Hindus müssen sich mit Atheisten den gemeinsamen | |
Raum der Stille teilen. | |
Die Episode zeigt, wie der Staat darüber entscheidet, ob er der Religion an | |
öffentlichen Orten Raum gibt: Er orientiert sich an eigenen Interessen. Wer | |
sich in Berlin auf die Suche nach Kapellen begibt, findet sie an | |
verschiedensten anderen öffentlichen Einrichtungen: in staatlichen und | |
kirchlichen Krankenhäusern, in Justizvollzugsanstalten, Kasernen und – in | |
Form von Missionen – in den Bahnhöfen. Teilweise liegt der Grund dafür an | |
den Konventionen der Bauzeit. In der JVA Moabit, 1881 als „Königliches | |
Untersuchungsgefängnis“ eröffnet, war selbstverständlich auch eine Kapelle | |
vorgesehen. | |
## Christliche Andachten im Reichstag | |
Auch im Gebäude höchster Staatlichkeit – dem Reichstag – hat sich die | |
Religion eingenistet. Immer donnerstags und freitags um 8.40 Uhr findet | |
eine christliche Andacht statt. Ein Relikt aus der Bonner Republik, | |
initiiert von einem bekennenden Katholiken: Bundesanzler Konrad Adenauer | |
persönlich entschied 1949, das zu den Andachten das Glockengeläut des | |
Kölner Domes klingen solle. Auch wenn sich heute in Berlin nur noch eine | |
Handvoll Abgeordnete einfindet: Die Religionsausübung an ihrem Arbeitsplatz | |
steht ihnen offen. | |
Dass der Staat sie nicht überall gewährleisten muss, zeigt ein Urteil des | |
Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2011. Es wies die Klage eines | |
Weddinger Gymnasiasten ab, der einen muslimischen Gebetsraum an der Schule | |
einklagen wollte. Den könne die Schule aus organisatorischen Gründen nicht | |
bereitstellen. Das Gericht stellte aber klar: Außerhalb der Unterrichtszeit | |
dürfe der Schüler sehr wohl an der Schule beten. Das garantiere die | |
Glaubensfreiheit im Grundgesetz. Seither fragen sich viele Schulen: Sollten | |
wir muslimischen SchülerInnen einen Gebetsraum einrichten? | |
Eine ähnliche Debatte tragen derzeit auch Hochschulleiter und Studierende | |
aus. Mitte März schloss die Technische Universität Berlin zwei Gebetsräume. | |
Mehr als 50 Jahre hatten muslimische Studierende dort ihre täglichen Gebete | |
verrichtet. Die Hochschule pocht auf die Trennung von Staat und Religion, | |
Kritiker sehen die Freiheit der Religionsausübung beschränkt. Ist Religion | |
Privatsache und hat im öffentlichen Raum nichts zu suchen? Oder muss der | |
Staat darüber wachen, dass seine Einrichtungen die Religion nicht gänzlich | |
ins Private verbannen? Eine klare Linie ist nicht zu erkennen, außer: dass | |
der Staat der Religion geneigt ist, wenn es ihm selbst dient. | |
Dieser Text ist Teil des aktuellen Wochenendschwerpunktes zum Thema | |
„Religion an Berliner Hochschulen“. Darin außerdem ein Interview mit dem | |
Landesbischof Markus Dröge zur Frage, inwieweit Religion Privatsache ist. | |
2 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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