# taz.de -- Gebetsräume an Universitäten: Bitte in den Keller gehen | |
> Wo sollen muslimische Studierende beten? In einem neutralen Raum der | |
> Stille, sagen viele Hochschulen. Nutzbar auch für Yoga. | |
Bild: Für Muslime, Christen, Nichtgläubige, Yoga-Fans: Der Raum der Stille in… | |
KÖLN taz | In Dortmund hat es nicht funktioniert. Die Technische | |
Universität (TU) hat den Raum im dritten Stock geschlossen. Grund: Verstöße | |
gegen die Nutzungsordnung. Was haben die Studierenden da veranstaltet? | |
Orgien, Drogenexzesse, Sektentreff, ein Feuerwerk? | |
Nein, Geschlechterdiskriminierung, sagt die Hochschule. Muslimische | |
Studierende hatten den Raum in zwei Bereiche aufgeteilt: Frauen – alle | |
Frauen, egal welchen Glaubens – sollten nur noch den kleineren Teil nutzen | |
dürfen. Außerdem fand man Gebetsteppiche und einen Koran, obwohl religiöse | |
Symbole im Raum der Stille verboten waren. | |
Alle Religionen und Nicht-Religionen unter einem Dach zu beherbergen ist | |
keine leichte Aufgabe – selbst wenn das Haus groß ist. Aber in nur einem | |
Raum? Schaut man auf die Weltgeschichte, dann scheint, was sich die | |
Universitäten vorgenommen haben, nicht weniger zu sein als ein Wunder. | |
Trotzdem versuchen es immer mehr. Ob Hamburg, Dresden, Trier oder Köln: Der | |
Raum der Stille ist ein deutschlandweiter Trend. | |
Ausgelöst hat ihn die Debatte um die Frage, ob säkulare Hochschulen | |
muslimischen Studierenden einen Gebetsraum zur Verfügung stellen sollten. | |
Gläubige MuslimInnen beten fünfmal am Tag; wer nur eine halbe Stunde Pause | |
zwischen Vorlesungen hat, kann nicht 15 Minuten bis zur nächsten Moschee | |
wandern. So das Argument – und in der Vergangenheit haben viele | |
Universitäten ihren Studierenden unkompliziert einen Raum überlassen. | |
## Der Verweis auf Neutralität | |
Doch vor zwei Jahren begann eine Schließungswelle: Die TU Berlin | |
beispielsweise [1][schloss über Nacht den muslimischen Gebetsraum] und | |
begründete das mit ihrer Neutralitätsverpflichtung. Die Universität | |
Duisburg-Essen ihrerseits schloss ihre seit Jahren bestehenden muslimischen | |
Gebetsräume und ließ ausrichten, in der Nähe gebe es Moscheen. Heute lautet | |
die Linie: Wer MuslimInnen einen Raum zur Verfügung stellt, muss das auch | |
für Christen und Juden tun. | |
Deshalb bieten Unis, die ihren Studierenden entgegenkommen wollen, häufig | |
einen Raum der Stille an. Aber ein Raum für alle, kann das gut gehen? Und – | |
was hat Religion an Universitäten überhaupt verloren? | |
Eine Hochschule ist eine säkulare Einrichtung. Stellt sie einen Raum zur | |
Verfügung, ist das eine freiwillige Leistung. Allerdings stehen die | |
Universitäten auch unter einem gewissen Druck: Wer beten will, der betet. | |
Haben Studierende keinen Rückzugsort, dann beten sie eben in der | |
Bibliothek, im Treppenhaus oder auf der Wiese. Als die TU Berlin ihren | |
Gebetsraum 2016 schloss, beteten die MuslimInnen auch auf dem Rasen hinter | |
dem Hauptgebäude – sehr zum Missfallen der Hochschulleitung. Ohne | |
Rückzugsort geraten sich Gläubige und Nicht-Gläubige eher in die Quere. | |
Die meisten muslimischen Studierenden könnten sich allerdings eh nicht | |
überwinden, öffentlich zu beten, sagt Meriem Hammami. Die 25-Jährige | |
studiert Französisch und Geografie im Bachelor an der Universität Köln; | |
ihre Eltern sind Anfang der 90er Jahre aus Tunesien nach Deutschland | |
gekommen. „Ich glaube, viele Muslime haben ein Problem damit, öffentlich zu | |
beten, weil sie sich schämen“, sagt sie. | |
„Sie wissen, dass das hier nicht üblich ist. Man möchte möglichst wenig | |
Aufruhr verursachen und niemandem im Weg sein.“ Als Vorstandsmitglied der | |
Islamischen Hochschulvereinigung Köln (IHV) setzt sich Hammami für ein | |
Miteinander im Raum der Stille ein. Den Raum gibt es in Köln erst seit | |
letztem November. Hier soll es anders laufen als in Dortmund. | |
## Strenge Nutzungsordnung | |
Der Kölner Raum der Stille liegt im Keller. Weiße Wände, helles Laminat; in | |
einer angrenzenden Kammer gibt es Stühle, Kissen und Matten. Die | |
Nutzungsordnung verbietet Essen, Trinken, Schlafen und elektronische | |
Geräte, das Hinzufügen sowie Entfernen von Gegenständen und | |
Gruppenveranstaltungen. „Es gelten Restriktionen, um die Neutralität des | |
Raumes zu wahren“, sagt Hammami. | |
„Der Universität ist es wichtig, einen wertungsfreien Rückzugsort zu | |
schaffen, in dem jeder die Möglichkeit hat, sich spirituell zu entfalten.“ | |
Die Grenzen sind anders, als es im Islam bei Gebetsräumen üblich ist. „Sich | |
mit diesen Restriktionen wohlzufühlen, ist schwieriger“, sagt Hammami. | |
„Aber es ist möglich. Und es ist praktikabel.“ | |
Praktikabilität ist ein Stichwort. Ebenso: Kompromiss. Die Hochschule | |
Bochum hatte auch mal einen Gebetsraum im Keller. Da gab es Probleme. Der | |
Raum wurde von Salafisten genutzt, auch von dem als mutmaßlicher | |
Leibwächter von Osama bin Laden bekannt gewordenen Sami A. Das konnte die | |
Hochschule nicht dulden. Also hat sie einen Balkon umfunktioniert – in der | |
Mensa. Jetzt betet man hier nicht mehr im Keller: Man betet hoch oben über | |
den Hungrigen, abgetrennt durch einen weißen Vorhang. Still ist es nicht, | |
und es riecht nach Essen. Aber ein Kompromiss ist eben ein Kompromiss. | |
## Ein bisschen Pragmatismus | |
„Es zeichnet eine Universität aus, wenn sie sich da offen gibt“, sagt | |
Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist an der | |
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dass Essensgerüche | |
stören würden, habe er bisher noch nicht gehört. „Ich bin ein großer Freu… | |
pragmatischer Lösungen. Die meisten Musliminnen und Muslime, die ich kenne, | |
sehen die Sache entspannt. Sie hätten halt gerne ein abgetrenntes Plätzchen | |
für diese ja auch sehr kurzen Gebete.“ | |
Ein Gebet dauert fünf bis zehn Minuten; für diese Zeit bräuchte man einen | |
geschützten Ort. “Das heißt: geschützt in alle Richtungen. Die Leute könn… | |
ihr Gebet privat verrichten und die anderen sind in ihren Tätigkeiten nicht | |
beeinträchtigt.“ An das Gefühl, im Raum der Stille zu beten, wo jederzeit | |
jemand zum Yoga reinkommen könne, müsse man sich erst gewöhnen. | |
Nicht überall hat so ein Kompromiss geklappt: Die TU Dortmund hat ihren | |
Raum der Stille vor zwei Jahren geschlossen. Einen neuen soll es nicht | |
geben; die Universität begründet das mit Platznot. Stattdessen hat sie eine | |
Lounge eingerichtet, mit Sofas und Strandkörben. „Wir verhalten uns neutral | |
und stellen keiner einzigen Religionsgruppe Räume zur Verfügung“, sagt die | |
Sprecherin Eva Prost. | |
Die Verantwortung, Gebetsräume einzurichten, sehe man nicht bei der | |
Universität, sondern bei den Religionsgemeinschaften. „Wir stellen Räume | |
für Forschung und Lehre, und platzen sowieso schon aus allen Nähten.“ | |
## Beten, ruhen, Yoga | |
An der Fakultät für Evangelische Theologie der Uni Köln sieht man die Sache | |
entspannt. „Ich finde es gut und wichtig, dass wir den Raum der Stille | |
haben“, sagt Heike Lindner, Professorin für Religionspädagogik. „Es geht … | |
nicht nur um den religiösen Faktor, sondern darum, einzelne Studierende | |
anzusprechen, die sich in einen Ruhebereich begeben wollen, um Stress | |
abzubauen. | |
Deshalb heißt er auch ‚Raum der Stille‘: Man kann hier beten, meditieren | |
oder auch Yoga machen.“ Von den christlichen Studierenden, die man fragt, | |
weiß aber niemand, dass der Raum der Stille existiert. Vielleicht liegt es | |
daran, dass sie ihn nicht brauchen: Die evangelische und katholische Kirche | |
stellen campusnah eigene Räume. | |
Das ist ein wichtiger Punkt in der Diskussion über Gebetsräume, die so oft | |
ins Grundsätzliche abrutscht: über die Rolle von Religion an Universitäten. | |
Denn der Wettbewerb ist nicht fair. Das Christentum ist mit den säkularen | |
Universitäten verflochten. Es gibt Semestereröffnungs- und | |
Weihnachtsgottesdienste, theologische Studiengänge müssen von der Kirche | |
genehmigt werden und wer ReligionslehrerIn werden möchte, muss Mitglied der | |
Kirche sein – und auch bleiben. Tritt man aus, während des Studiums oder | |
danach, ist die kirchliche Lehrerlaubnis dahin, sagt Lindner. | |
„Selbst wenn man schon verbeamtet ist, darf man dieses Fach dann nicht mehr | |
unterrichten.“ Diese Regel gilt in allen Bundesländern, in denen | |
konfessioneller Religionsunterricht stattfindet; Basis dafür ist das | |
Grundgesetz. Anders ist es in Bremen, Berlin und Brandenburg: Für diese | |
drei Länder gilt die sogenannte Bremer Klausel: dort ist der Staat alleine | |
für die Inhalte des Religionsunterrichtes zuständig. | |
## Oder doch die Maximalforderung? | |
Für jene, die Religion komplett aus den Hochschulen raushalten wollen, ist | |
diese Verflechtung ein Missstand – und die Bitte, Gebetsräume einzurichten, | |
eine Provokation obendrauf. Andere stellen Maximalforderungen auf, wie die, | |
dass jede Religionsgemeinschaft eigene Räume bekommen sollte. | |
„Ich mag Fanatiker beider Seiten nicht“, sagt Islamwissenschaftler Rohe. | |
„Es gibt religiöse Menschen, die unangenehm auftreten, nach dem Motto: | |
Demut vor Gott, aber Hochmut gegenüber allen Andersdenkenden. Ebenso wenig | |
freut mich die Haltung mancher Atheisten, die meinen, Religion und | |
Vernunft, das schließe sich aus, und sie hätten die Vernunft gepachtet.“ | |
An der Universität Köln scheint man diese Spannungen gerne aushalten zu | |
wollen. Zum Raum der Stille sagt Universitätssprecher Jürgen Rees: „Wir | |
haben da überhaupt keinen Stress. Es läuft alles, wie es laufen soll.“ | |
Hammami sieht es ähnlich. „Es gibt einen Spruch: ‚Die schönste Schönheit | |
ist das Benehmen‘“, sagt die Studentin. | |
„In einem Streit kann man auf asoziale und unwürdige Weise miteinander | |
diskutieren. Oder man erinnert sich daran, dass wir alle Menschen sind, und | |
bemüht sich, das Gegenüber zu verstehen.“ Wer im Raum der Stille meditieren | |
will, kann das tun. Wer einfach nur daliegen und die Stille genießen will, | |
kann es tun. Wer Yoga machen will, macht Yoga. Und wer beten will, betet | |
eben. | |
An diesem Freitag jedoch bleibt der Kölner Raum der Stille leer. | |
Schließlich sind gerade Semesterferien. Wer will da schon im Keller sein. | |
NaN NaN | |
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## AUTOREN | |
Anett Selle | |
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