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# taz.de -- Angela Merkels Flüchtlingspolitik: Erleben wir eine neue Kanzlerin?
> Angela Merkel galt einst als visionsarme Umfallerin. Nun macht sie
> Politik gegen eine skeptische Bevölkerung. Hat sie am Ende Überzeugungen?
Bild: Es geht um die Gesamtbilanz, nicht ums Kleingedruckte
Es gab einmal eine Zeit, da nannte man die Politik von Angela Merkel
„unideologisch“. Man könnte heute um ein Haar wieder auf die Idee kommen,
sie so zu nennen. Es gibt viele Menschen, die ihre Griechenland-Politik
aufs Schärfste ablehnten, die nun aber, in der Flüchtlingsfrage,
ehrfürchtig den Blick zum Himmel richten, wenn von ihr die Rede ist, und
sagen: Jawoll, das ist meine Kanzlerin!
Jürgen Trittin, zum Beispiel, ein erfahrener Grüner und einst einer von
Merkels schärfsten Widersachern in der Opposition: In einem Pankower Café,
bei einem Tomate-Basilikum-Brötchen, sprach er mit uns über die Frage, was
Angela Merkel wirklich ausmacht. Er sagt: dass die Kanzlerin stets „die
Realität immer zu 100 Prozent anerkennt“. Und dass sie in der
Flüchtlingspolitik schlichtweg „in der Sache Recht“ habe.
In anderen Zeiten hätte man als Journalist einen solchen Trittin-Satz
eigentlich auf die Titelseite drucken müssen. „Trittin gibt Merkel Recht“ …
vor ein, zwei Jahren hätte man so eine Nachricht noch gelesen wie „VW
empfiehlt: Steigt endlich alle aufs Rad um!“ oder „Papst bekennt: Ja, ich
bin Atheist“. Trittin ist ja nicht irgendein Wischiwaschi-Schwarzgrüner,
sondern hat stets auf harter Kritik an der Union bestanden.
Aber es hat sich in den vergangenen Monaten einiges geändert. Angela Merkel
hat, weil sie auf ihrer Forderung beharrt, dass die innereuropäischen
Grenzen offen zu sein haben, viele Anhänger gewonnen, die früher nicht
einmal heimlich ein Selfie mit ihr gemacht hätten. Jürgen Trittin ist da
nur ein Beispiel unter vielen anderen. [1][Die Linken-Politikerin Petra Pau
etwa sagte, Merkel habe ihren Respekt.] Oder die Autorin Jagoda Marinić;
[2][sie schrieb, sie kriege „mit jedem Tag mehr Angst“ vor einer Zukunft
ohne Merkel]. Der Grünen Jugend ist gerade der Kragen geplatzt: Ihre Partei
sei doch nicht der [3][Merkel-Klatschverein].
## Sie war doch vorher nicht so
Was ist passiert? Erleben wir in der Flüchtlingsfrage eine neue
Bundeskanzlerin? Und was reitet sie? Warum zeigt sie plötzlich
Überzeugungen – sie war doch vorher nicht so?
Das sind die Fragen, der wir in der [4][taz.am wochenende vom 12./13. März]
nachgehen.
Am Wochenende finden drei Landtagswahlen statt. In Baden-Württemberg und in
Rheinland-Pfalz hat die CDU einiges zu verlieren, in Sachsen-Anhalt könnte
zudem die AfD unglaublich stark werden. Aber die Kanzlerin bleibt bei ihrem
Kurs, obwohl die Skepsis in der Bevölkerung groß ist. Komisch?
Auf den ersten Blick ziemlich ungewohnt, ja. Vor anderen Wahlen ist Merkel
auch schon mal umgefallen. 2011, zum Beispiel, vor der letzten Landtagswahl
in Baden-Württemberg. Kurz davor hatte sich der GAU in Fukushima ereignet,
die Grünen waren im Aufwind. Und Merkel? Blies die Laufzeitverlängerung für
Atomkraftwerke einfach wieder ab und machte sich innerhalb kürzester Zeit
zur Kanzlerin des Atomausstiegs.
„Umfallerin wurde sie danach genannt. Ihr Ruf war nun der einer Frau, die
auf gesellschaftliche Stimmungen sofort mit einem quasi
direktdemokratischen Impuls reagiert. Aber auch der einer Frau, der
eigentlich jede Politik gleich gut ist, solange sie nur Stimmen bringt.
## Die Maschine muss laufen
Das ist im Jahr 2016 offensichtlich anders. Jedenfalls schert sie sich
offensichtlich derzeit nicht mehr um Umfragen, selbst dann nicht, wenn die
CDU dadurch Rheinland-Pfalz verliert.
Was ist Merkels Koordinatensystem? Gibt es einen roten Faden in ihrem
Handeln?
Die taz-Redakteure Daniel Schulz und Ulrich Schulte haben mit mehreren
Merkel-Beobachtern gesprochen. Und die Antwort, die sie gefunden haben,
ist: Natürlich gibt es einen roten Faden. Aber es ist nicht so, dass Merkel
unideologisch wäre. Ihr ist nur das Kleinzeug egal.
Atomkraft ja oder nein? Es ist ihr einfach nicht so wichtig, ob sie 2011
oder 2040 abgeschafft wird.
Völlige Gleichstellung homosexueller Paare? Bei so einem Gedöns bleibt sie
im Zweifel lieber auf Parteilinie.
Aber Europas offene Grenzen schließen? Da lässt sie nicht mit sich reden,
das berührt den Kern ihrer Politik: Die große Maschine Deutschland muss
laufen, immer vorwärts, immer weiter. Ihr Antrieb ist der Antrieb.
Angela Merkel putzt Sand aus dem Getrieben, sie ölt Zahnrädchen, damit der
Laden weiterlaufen kann. Sie macht nicht Politik, um kleine Entscheidungen
zu treffen. Sie trifft kleine Entscheidungen, damit die „Deutschland AG“ –
so nennt Jürgen Trittin Merkels Projekt – auch morgen noch so brummen kann,
wie sie es gerne hätte. Es geht um die Gesamtbilanz, nicht ums
Kleingedruckte.
Besichtigen wir in der Flüchtlingspolitik eine neue Kanzlerin? Worin
besteht das Prinzip Merkel?
Diskutieren Sie mit!
Die Geschichte „Passt sie noch zu den Deutschen?“ lesen Sie in der
[5][taz.am wochenende vom 12./13. März 2016].
11 Mar 2016
## LINKS
[1] http://www.tagesspiegel.de/politik/linke-politikerin-petra-pau-im-interview…
[2] /Debatte-Merkels-Fluechtlingspolitik/!5266509
[3] /Oekopartei-im-Richtungsstreit/!5286121
[4] /Ausgabe-vom-12/13-Maerz-2016/!161967/
[5] /Ausgabe-vom-12/13-Maerz-2016/!161967/
## AUTOREN
Klaus Raab
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