Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Online-Protest in Vietnam: Vom Stasioffizier zum Staatskritiker
> Der Blogger Nguyen Huu Vinh sitzt seit knapp zwei Jahren in Haft, bislang
> ohne Prozess. Er ist einer von vielen Verfolgten.
Bild: Der Blogger (l.) Nguyen Huu Vinh beim Filmen (Handyfoto).
„Mein Mann möchte unbedingt vor Gericht gestellt werden, damit sein Fall
öffentlich verhandelt wird“, sagt Le Thi Minh Ha beim Besuch der taz. Sie
ist die Ehefrau des seit knapp zwei Jahren in Vietnams Hauptstadt Hanoi
inhaftierten Bloggers Nguyen Huu Vinh. „Er ist überzeugt, dass in seinem
Fall die Behörden viele Fehler gemacht haben. Jetzt stecken
Staatssicherheit und Justiz in einer Sackgasse und kommen nicht weiter.
Manche vermuten, dass, wenn er nicht bald vor Gericht kommt, er sehr lange
im Gefängnis bleiben dürfte.“
Der Prozess gegen den heute 59-jährigen Vinh, der unter seinem Blog-Namen
Anhbasam (“Der Quatscher“) in Vietnam bekannter ist, war für den 19. Januar
angesetzt. Doch weil der Termin unmittelbar vor dem XII. Parteitag der
allein regierenden Kommunistischen Partei lag und diesem womöglich Glanz
genommen hätte, wurde der Prozess auf unbestimmte Zeit verschoben.
Vinh war mit seiner Mitarbeiterin Nguyen Thi Minh Thuy am 5. Mai 2014
festgenommen worden. Drei Tage zuvor hatte China im Südchinesischen Meer
eine Bohrinsel in ein Gebiet geschleppt, das auch von Vietnam beansprucht
wird. Vinh bloggte über den Streit mit China. Bei diesem Thema kommt es in
Vietnam immer wieder zu antichinesischen Protesten, worauf die
Parteiführung oft ambivalent reagiert. So auch im Mai 2014, als sie den
regierungskritischen Vinh verhaften lässt. Abgesehen davon bleiben die
Protestierer aber zunächst unbehelligt, bis chinesische oder für chinesisch
gehaltene Fabriken angezündet werden und mehrere Menschen sterben.
„Am Anfang dachte ich, mein Mann wurde wegen seines Blogs verhaftet“, sagt
Ha. Vinh hatte Anhbasam 2007 gegründet, um kritische Debatten zu fördern.
Täglich veröffentlichte er Artikel aus den kontrollierten staatlichen, aber
auch aus ausländischen Medien sowie Blogbeiträge von Exilanten und
Aktivisten. Seit 2013 wurde die Webseite vom Ausland aus betrieben, um
sicherer vor Hanois Zugriff zu sein.
## Immer mehr müssen ins Exil
Schon mehrfach war die Webseite gehackt worden, mutmaßlich vom Regime. „Als
die Behörden nach seiner Festnahme merkten, dass Anhbasam weiterläuft,
haben sie meinem Mann das Betreiben zweier anderer illegaler Webseiten
vorgeworfen“, sagt Ha. Deren Berichte endeten mit Vinhs Verhaftung.
Die Behörden werfen dem prominenten Blogger nach Artikel 258 des
vietnamesischen Strafgesetzbuches den „Missbrauch demokratischer
Freiheiten“ vor. Das ist eine gängige Methode, um kritische Blogger mundtot
zu machen. Laut Reporter ohne Grenzen sitzen in Vietnam derzeit 14 Blogger
in Haft. In letzter Zeit seien kritische Blogger vermehrt von „Unbekannten“
zusammengeschlagen worden. Und zunehmend müssten Blogger nach Verbüßung
ihrer Strafe direkt ins Exil gehen.
Unter Vietnams derzeit etwa 200 politischen Gefangenen sind Blogger die
größte Gruppe. Auch religiöse Aktivisten sind stark betroffen. Reporter
ohne Grenzen startete deshalb im Januar zusammen mit dem christlichen
Hilfswerk Missio eine Kampagne zur Freilassung des katholischen Priesters
Nguyen Van Ly. Der hatte eine Online-Plattform für Demokratie lanciert.
„Der Einsatz für bedrängte Christen und andere religiöse Minderheiten
bedeutet immer auch, sich für Informationsfreiheit einzusetzen – und
umgekehrt“, heißt es auf der Webseite von Reporter ohne Grenzen. Auf deren
Rangliste der Pressefreiheit liegt Vietnam auf dem 175. Rang von 180
Staaten.
Dem Quatscher Nguyen Huu Vinh werden laut seiner Frau konkret 24 Artikel
vorgeworfen, die gegen das vietnamesische Volk gerichtet seien. „Aber es
sind keine Artikel von ihm“, sagt sie. Ha durfte Vinh acht Monate nach
seiner Festnahme erstmals besuchen, bisher erst fünf Mal. „Er sagte mir im
Oktober bei unserem letzten Treffen, er sei krank, wohl eine
Blutvergiftung. Doch er wird nicht medizinisch behandelt.“
## Frühere Stasitätigkeit
Vinh dürfte als Mitglied der KP wie als ehemaliger Offizier des Büros für
öffentliche Sicherheit, der vietnamesischen Staatssicherheit, gewusst
haben, was Querköpfen in Vietnam blüht. Doch vertraute er wohl auf seine
prominente Herkunft und auf seine Kontakte in dem Apparat. Vinhs Vater war
Minister, Mitglied im Zentralkomitee und Botschafter in der Sowjetunion
gewesen. Vinh wurde an der Hochschule für öffentliche Sicherheit
ausgebildet, wo auch Ha studierte. Als Offizier der Staatssicherheit im In-
wie Auslandsdienst hatte er Zugang zu normalerweise zensierten
Informationen. Diese machten ihn nachdenklich.
„Mein Mann hat bis zum Jahr 2000 für das Büro für öffentliche Sicherheit
gearbeitet. Er deckte dort illegale Machenschaften auf. Als er den Minister
belastete, wurde er versetzt“, berichtet Ha. Darauf machte Vinh sich mit
einem Detektivbüro, dem ersten privaten im Land, selbstständig. 2005 begann
er zu bloggen.
Unter Bloggern und in Dissidentenkreisen erweckte Vinh wegen seiner
Herkunft und Stasivergangenheit zunächst Misstrauen: Seine Artikel
zeichneten sich durch viele interne Informationen aus, zudem ließen ihn die
Behörden lange unbehelligt.
„Fast alle Beamten, die mit dem Fall meines Mannes zu tun haben, waren
Freunde von mir oder ihm“, sagt Ha. „Wir haben mit ihnen studiert. Heute
sind sie Generäle. Den Haftbefehl stellte ein ehemaliger Freund aus, der
heute im Politbüro sitzt und wohl bald Minister wird. Er nennt meinen Mann
heute einen ‚Reaktionär‘. Aber er ist ein Journalist, der die Gesellschaft
demokratisieren will, indem er sein Recht auf Meinungsfreiheit wahrnimmt.“
1 Mar 2016
## AUTOREN
Sven Hansen
## TAGS
Vietnam
Blogger
Meinungsfreiheit
China
Stasi
Vietnam
China
Vietnam
Vietnam
Vietnam
Vietnam
Vietnam
Vietnam
Vietnam
Vietnam
## ARTIKEL ZUM THEMA
Journalist aus Vietnam in Berlin verfolgt: Morddrohungen gegen Journalisten
Zwei vietnamesische Journalisten werden in Berlin Opfer einer Hetzkampagne.
Zwei Frauen verfolgen sie und veröffentlichen ihre private Daten.
Opposition in China: Erneute Revolte in Wukan
In Wukan rebellierte die Bevölkerung vor fünf Jahren erfolgreich gegen die
lokalen KP-Kader. Die rächen sich nun am demokratisch gewählten
Dorfvorsteher.
Fischsterben in Vietnam: Festnahmen vereiteln neuen Protest
Immer wieder gibt es Proteste gegen ein Fischsterben in Zentralvietnam.
Polizei und Staatssicherheit gehen gegen Demonstranten vor.
Kommentar Washingtons Vietnam-Politik: Die große Ironie
Das Waffenembargo gegen Vietnam aufzuheben, ist eine Entscheidung gegen die
Menschenrechte. Die USA sind dabei ohnehin unglaubwürdig.
Barack Obama besucht Vietnam: Freunde schaffen mit Waffen
Barack Obama verkündet bei seinem Besuch in Hanoi das Ende des langjährigen
US-Waffenembargos. Menschenrechtler sind enttäuscht.
Meinungsfreiheit in Vietnam: Fünf Jahre Haft für Blogger
Der Blogger Nguyen Huu Vinh wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Während
des Prozesses, gab es vor dem Gerichtsgebäude in Hanoi Proteste.
Blogger in Vietnam: Kampf gegen „die andere Sicht“
Die vietnamesische Regierung versucht Blogger, die das Meinungsmonopol der
KP herausfordern, mit Haftstrafen zum Schweigen zu bringen.
Vietnamesischer Blogger in Haft: Kritik ist unerwünscht
Ein Gericht in Hanoi bestätigte am Dienstag die Verurteilung des
Dissidenten Le Quoc Quan. Der Angeklagte befindet sich seit zwei Tagen im
Hungerstreik.
Prominenter vietnamesischer Blogger: Zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt
Le Quoc Quan stand wegen Steuerhinterziehung vor Gericht. Doch das
Verfahren zielte auf seinen Einsatz für Meinungsfreihet. Die Polizei
unterband Soli-Proteste.
Repression in Vietnam: Erneut Blogger verhaftet
Wegen „Missbrauchs demokratischer Freiheiten“ ist schon wieder ein Blogger
in Vietnam verhaftet worden. Er ist der Dritte innerhalb eines Monats.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.