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# taz.de -- Erster Erotikshop für Frauen in Südkorea: Let’s talk about sex,…
> In der südkoreanischen Gesellschaft ist weibliche Sexualität ein
> Tabuthema. Choi Jung Yoon will das ändern – mit dem „Pleasure Lab“.
Bild: Außer Strumpfhosen und Bunny-Ohren gibt es hier auch Gleitgeld und Analp…
Seoul taz | Wann immer Choi Jung Yoon von ihrem Traum erzählte, erntete sie
nichts als Ablehnung: Der strenggläubige Vater stellte seine Erziehung in
Frage, die erröteten Bankberater lehnten einen Kredit bereits im
Vorgespräch ab, und auch die Pioniere der Branche, zähe Geschäftsmänner in
ihren 50ern, schüttelten nur den Kopf: „Ein Sexshop für Frauen? Das wird
niemals funktionieren.“
Wie zum Gegenbeweis empfängt die 30-Jährige nun in ihrem eigenen Laden, dem
ersten seiner Art in Korea. Passanten könnten „Pleasure Lab“ wohl für eine
Modeboutique halten, und wer das Geschäft betritt, muss zuerst an Cupcakes,
Latte macchiato und Hello Kitty denken. Dabei werden hier, mitten in Seouls
Hipster-Hochburg „Hapjeong“, dem größten Uni-Viertel im Westen der Stadt,
Kondome, Gleitgel-Tuben und Sexspielzeuge in allen Variationen verkauft.
Die meisten kommen wie Designer-Objekte daher, eingerahmt in bunten
Blumengestecken: Vibratoren in Pflanzenform, Dildos getarnt als kleine
Weinfläschchen und männliche „Masturbationsbecher“ mit
Keith-Haring-Aufdruck. Erst im hintersten Eck lassen sich Latexwäsche
finden, Lederpeitschen und Analplugs.
Die Einrichtung von „Pleasure Lab“ will vor allem eins: seine Kundinnen
nicht verschrecken. „Über 99 Prozent aller koreanischen Frauen haben noch
nie in ihrem Leben ein Sexspielzeug gesehen“, sagt Choi, kinnlanger Bob,
schwarzer Rollkragenpulli, schlichte Jeans: „Genau solch eine Klientel
wollen wir ansprechen.“
## Eine kleine Revolution für Korea
Ein innovatives Konzept? Mitnichten. In Berlin-Kreuzberg wäre „Pleasure
Lab“ wohl ein Laden unter vielen. In Seoul ist er revolutionär.
Wer Freizügigkeit an Rocklänge und Trinkkultur festmacht, wird Südkorea für
geradezu avantgardistisch halten. Und dann umso überraschter sein, dass die
Gender-Kluft in der konfuzianischen Gesellschaft laut Bericht des
Weltwirtschaftsforums noch weiter auseinanderklafft als in den Vereinigten
Arabischen Emiraten und Katar. Kein anderes OECD-Land der Welt weist ein
höheres Lohngefälle zwischen Männern und Frauen auf. Die gläserne Decke ist
in vielen koreanischen Unternehmen fest zementiert.
Als die damalige Familienministerin Cho Yoon Seon im Mai 2012 während einer
Konferenz gefragt wurde, ob es nicht schwer sei, Arbeit und Kinder unter
einen Hut zu bringen, antwortete sie lakonisch: „In meinem nächsten Leben
möchte ich ein Mann sein, auch wenn ich als Insekt geboren werde.“
## Einbrechende Geburtenrate
Doch die Diskriminierung von Frauen wird das Land schon bald in eine
existenzielle Krise stürzen. Mittlerweile weigern sich immer mehr Frauen,
ihrer im Konfuzianismus höchsten Pflicht nachzukommen: (männliche)
Familiennachkommen zu zeugen. Offenbar sind es mehr und mehr Frauen leid,
sich der gesellschaftlichen Erwartungshaltung zu fügen. Innerhalb weniger
Jahrzehnte ist die Geburtenrate in Südkorea derart rapide eingebrochen,
dass die Bevölkerung weltweit am schnellsten altert.
„In Südkorea stimmen die Frauen mit ihrer Vagina ab“, sagt James Turnbull,
einer der profundesten Kenner des koreanischen Feminismus. Auf schwangeren
Frauen laste ein enormer Druck, ihr Arbeitsleben ein für alle Mal
aufzugeben. Sobald der Nachwuchs auf der Welt sei, bliebe
Geschlechtsverkehr unter vielen Ehepaaren nur mehr auf den zu
Fortpflanzungszwecken beschränkt. „Das ist die Norm“, behauptet der
Neuseeländer.
Während sich die meisten Mütter um Haushalt und Erziehung kümmern, bekommen
sie ihren Ehemann aufgrund der langen Arbeitszeiten kaum mehr zu Gesicht.
Viele Paare entfremden sich, doch halten ihre Ehe weiter aufrecht.
Alleinerziehenden Müttern haftet ein gesellschaftliches Stigma an. Laut
offiziellen Zahlen gibt es nur zehntausend im ganzen Land. Immer mehr junge
Frauen wollen da nicht mehr mitmachen.
## Aufklärung? Nicht wirklich
Eine von ihnen ist „Pleasure Lab“-Betreiberin Choi. Bis sie sich von der
Vorstellung befreit hat, ihr Leben rund um die bürgerlichen Eckpfeiler
organisieren zu müssen, habe sie einen langen Weg zurückgelegt. Er begann
im Aufklärungsunterricht der Oberschule, „eine beängstigende Erfahrung“,
erinnert sich Choi.
Sex erschien ihr in den Worten des Lehrers vor allem als etwas
Bedrohliches, das Krankheiten übertrage. „Was beim Geschlechtsverkehr
eigentlich genau passieren würde, wusste ich danach immer noch nicht“, sagt
sie. An Romantik sei unter den Schülern überhaupt nicht zu denken gewesen.
Fürs Händchenhalten sei man zum Direktor zitiert worden, Pärchen drohte der
Rausschmiss.
Umso größer fiel der Kulturschock aus, als die Eltern Choi für ihren
Schulabschluss in die USA schickten. Auf den Gängen ihrer neuen Oberschule
sah sie Paare rummachen, hörte ihre Freundinnen über Sexgeschichten
tratschen und erfuhr von einer schwangeren Klassenkameradin. „Mich hat all
das sehr irritiert“, sagt Choi heute.
## Gesellschaft fest in Männerhand
Fernab der kollektivistischen Heimat fing sie aber auch allmählich an, sich
vom konservativen Elternhaus zu emanzipieren: Choi schrieb sich in Seattle
an der Uni ein, belegte Kurse in Gender-Studies und engagierte sich
nebenher in Nachbarschaftsprojekten für Frauen, die unter häuslicher Gewalt
litten. „Langsam stellte ich für mich fest, dass freie Sexualität nötig und
möglich war“, sagt Choi.
Während eines Abendspaziergangs entdeckte sie ihren ersten Sex-Shop. Die
Betreiber waren allesamt Frauen, wirkten selbstbewusst und gut gelaunt –
genau wie die Kundinnen. Damals habe sie ihr erstes Sexspielzeug gekauft.
Im Grunde müsste so was doch auch in Südkorea möglich sein, dachte sich
Choi. Zurück in Seoul verflog die Euphorie schon bald. Ihren Eltern von
ihrem Traum zu erzählen traute sie sich nicht. Sie heuerte als Journalistin
an.
Die südkoreanische Gesellschaft ist fest in Männerhand. Das äußert sich in
der laxen Gesetzgebung für sexuellen Missbrauch. Das Frauenbild vieler
älterer Männer oszilliert zwischen käuflichem Lustobjekt und fürsorglicher
Mutter.
„Viele Frauen in Korea leiden auch unter ihren promiskuitiven Partnern“,
sagt die 28-jährige Kwak Yoo Ra, Mitbetreiberin von „Pleasure Lab“. Währe…
ihrer Zeit als Krankenschwester hat sie unzählige Patientinnen behandelt,
die sich mit Geschlechtskrankheiten infiziert hatten.
## Kondome sind verpönt
Koreanische Männer seien berüchtigt dafür, keine Kondome zu benutzen – und
Frauen, die auf Verhütung bestünden, gälten schnell als „Schlampen“. Ihre
Geschäftspartnerin Choi sagt: „Frauen dürfen sexy sein, aber nur als
männliche Lustobjekte. Wenn sie sich selber als sexuelle Wesen begreifen,
sind die Männer verängstigt. Allein die Vorstellung eines Dildos greift
ihren Stolz an.“
Die beiden Koreanerinnen betonen, dass sie „Pleasure Lab“ auch als
aufklärerischen Auftrag begreifen. Sie halten Seminare über Verhütung,
veranstalten Filmabende und Workshops. Regelmäßig kämen ältere Frauen in
ihren Laden, mit schüchternem Blick und leiser Stimme. In langen Gesprächen
offenbaren sie, noch nie im Leben einen Orgasmus empfunden, niemals
masturbiert zu haben, ja nicht einmal zu wissen, wo sich ihre Klitoris
befindet.
Manchmal druckt Choi Jung Yoon dann die Nahaufnahme einer Vagina auf einem
Blatt Papier aus und unterrichtet ihre Kundinnen in weiblicher Anatomie.
„Wenn ich Frauen dabei helfen kann, ihre Sexualität zu entdecken, dann
macht mich das stolz“, sagt Choi.
29 Feb 2016
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
Südkorea
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