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# taz.de -- Debatte Männer und Verhütung: Der Club der harten Kerle
> Auch Verhütung ist eine Frage der Gleichberechtigung. Aber warum tun
> Männer sich bei solchen Themen so verdammt schwer?
Bild: Wann ist ein Mann ein Mann – das fragte Herbert Grönemeyer schon 1984.…
Verhütung ist in Deutschland meistens noch immer Aufgabe der Frauen. Die
Männer tragen allenfalls einen kleinen Teil bei. Das sieht man etwa an
Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: 20 Prozent der
befragten Erwachsenen nutzen das Kondom als alleiniges Verhütungsmittel. 5
Prozent verhüten, weil der Mann sich sterilisieren ließ. Das erscheint
logisch, sagen Experten. Schließlich könne man bei Frauen viel besser
ansetzen. Spirale, Vaginalring, Kupferkette, Hormonpflaster – die Liste der
Möglichkeiten ist lang, der Markt dementsprechend auf Frauen zugeschnitten.
Bald aber können Männer mehr Verantwortung übernehmen: Anfang des Jahres
gab die US-amerikanische Parsemus Foundation bekannt, das „Vasalgel“
erfolgreich an Affen getestet zu haben. Forscher spritzten den Affen das
Gel in den Samenleiter und ließen sie auf Weibchen los. Keines von denen
wurde aber schwanger, die Männchen hatten kaum Nebenwirkungen. 2018 sollen
Tests an Menschen beginnen. In wenigen Jahren könnte es also ein Mittel
geben, das mehr Gerechtigkeit in Verhütungsfragen schafft.
Glaubt man Studien zu männlicher Verhütung, könnte das Vasalgel ein Erfolg
werden. Wenn Männer in der Vergangenheit beispielsweise gefragt wurden, ob
sie eine „Pille für den Mann“ nehmen würden, sagten teilweise drei Viertel
der Befragten „ja“ oder „wahrscheinlich ja“. Entscheidend war aber der
Zusatz „wenn es eine gäbe“ – und das war ja nie der Fall.
Glaubt man hingegen dem, was Männer in Kommentarspalten unter Artikeln über
Verhütung schreiben, sind sie längst nicht so aufgeschlossen – jetzt, da
ein Mittel für den Mann im Bereich des Möglichen liegt. Eher weisen sie
allein das Sprechen darüber als feministische Bevormundung zurück. Nach dem
Motto: Ist doch alles immer schon so gewesen, hat doch mit der Pille und
allen anderen Mitteln prima funktioniert. Warum machen die Frauen jetzt
schon wieder Stress?
Dahinter steckt ein größeres Problem: Es scheint heute immer noch ein
gängiges männliches Verhaltensmuster zu sein, sich dem Gespräch mit Frauen
oder über vermeintliche Frauenthemen zu verweigern. Dabei gäbe es ja
Gesprächsbedarf, und das nicht nur beim Thema Verhütung. Wie kommt es, dass
Frauen im Fernsehen unterrepräsentiert sind? Warum verdienen Frauen häufig
weniger als Männer? Warum erledigen Frauen den Großteil der Pflege- und
Erziehungsarbeit?
Allein dass jemand über diese Themen sprechen will, macht viele Männer
misstrauisch. Manche fassen es sogar als etwas Unerhörtes auf. Und andere
finden 1.000 Gründe, warum sich für bestimmte Probleme besser nur Frauen zu
interessieren hätten. Woher kommt dieser Unwille?
## „Richtige“ Männer
Eine mögliche Erklärung könnte lauten: Es liegt an einem überkommenen Bild
von Männlichkeit, das viele immer noch haben. Männer trösten sich nicht
gegenseitig, wenn sie traurig sind, oft wissen sie nicht, wie es bei ihren
engsten Freunden privat wirklich läuft. Und es ist ihnen immer noch
unangenehm, sich mit dem eigenen Körper zu befassen, zum Urologen oder
Andrologen zu gehen und sich über eine Vasektomie zu informieren – obwohl
sich immer mehr Frauen über die Nebenwirkungen der Pille beklagen und sich
das wohl nicht mehr allzu lange stoisch aussitzen lässt.
Heute dürfen Männer doch alles, könnte man entgegnen: zuhören, Augenbrauen
zupfen, Brusthaar epilieren. Aber offenbar existiert noch immer ein festes,
strenges Bild von Männlichkeit, dem viele entsprechen wollen. Nur
präsentiert es sich heute nicht mehr mit dem Holzhammer, sondern subtiler.
Es war etwa zu spüren, als sich US-amerikanische Komiker reihenweise über
Anthony Scaramucci lustig machten, den 10-Tages-Pressechef im Weißen Haus,
weil der oft eine bestimmte, „unmännlich“ wirkende Handbewegung zeigte. Es
ist zu spüren, wenn Donald Trump schwanger oder mit Make-up parodiert wird
oder in einer schwulen Liebesbeziehung mit Putin. Es war zu spüren, als der
deutsche Synchronschwimmer Niklas Stoepel Fußballer als Weicheier
bezeichnete und sagte, er schmiere sich nichts ins Haar.
Offenbar gibt es also durchaus ein klares Bild davon, wie sich „richtige
Männer“ zu verhalten haben. Und wer die Tatsache, dass sie von diesem
Verhalten abweichen, dazu benutzt, sich über sie lustig zu machen, der
drückt damit aus, dass Unmännlichkeit ein schlechter, lächerlicher Zustand
sei.
## Kleingeredete Probleme
Teil dieses Tabus ist es offenbar auch, sich dem gesellschaftlichen Diskurs
mit Frauen und über vermeintliche Frauenthemen zu stellen. Wenn einerseits
Schwangerschaft als Attribut der Lächerlichkeit benutzt wird (siehe Trump),
wie soll es normal sein, über Verhütung zu sprechen? Das betrifft aber auch
andere Bereiche wie die Pflege oder Sichtbarkeit von Frauen in Film und
Fernsehen. Als würde einem beim Sprechen darüber die kostbare,
erstrebenswerte Männlichkeit zwischen den Fingern zerrieseln.
Männer sind immer noch ein elitärer Club, aus dem niemand rausfliegen will.
Ein Club, der Frauen ausgrenzt, ihre Probleme kleinredet, um sich seiner
selbst zu versichern. Dabei blendet er jedoch aus: Der Mechanismus der
Ausgrenzung wirkt auch nach innen. Teile der Persönlichkeit, die nicht
konform sind mit dem wie auch immer gearteten Ideal von Männlichkeit,
werden unterdrückt. Das Festhalten am tradierten Männlichkeitsbild schadet
letztlich auch den Männern selbst. Die Sozialwissenschaften haben dafür den
Begriff der „toxischen Männlichkeit“ erfunden.
Das Problem ist in der Gesellschaft verankert. Männer können häufig nicht
die sein, die sie sein wollen. Und sicher ist es nicht ausschließlich ihre
Schuld, wenn sie nicht über Verhütung sprechen können. Umso wichtiger, sich
über gefühlte und echte Benachteiligungen zu verständigen – und sie dann,
vielleicht, zu überwinden.
Ein erster Schritt wäre es, Frauen zuzuhören. Und zu ergründen, was
passieren kann, wenn man als Mann die Verantwortung für Verhütung nicht
mehr von sich weist. Wer ernst genommen werden möchte, muss auch andere
ernst nehmen.
18 Aug 2017
## AUTOREN
Bernhard Hiergeist
## TAGS
Verhütung
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