# taz.de -- Schwanger im Haushaltsnotlageland: Verhütung für Arme | |
> Die Bremer Regierungsfraktionen wollen Pille und Spirale für | |
> Sozialhilfeempfängerinnen bezahlen. | |
Bild: Nicht ganz billig: Schwangerschaftsverhütung mit der Pille. | |
BREMEN taz | „Kostenübernahme für Schwangerschaftsverhütung“, eine | |
„freiwillige Leistung für sozial benachteiligte Frauen“: So steht es auf | |
einem gemeinsamen Informations-Flyer von Bremens Sozialbehörde und der | |
Beratungsstelle Pro Familia Bremen. | |
Im Kleingedruckten liest sich das anders: Demnach übernimmt Bremen seit | |
zwei Jahren die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel – aber nur | |
für einen sehr eingeschränkten Kreis von Frauen: für solche in besonders | |
schwierigen Lebenslagen, beispielsweise Drogenabhängige, psychisch Kranke | |
und Behinderte. Das soll jetzt anders werden. | |
In der Bürgerschaft haben die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen den | |
Senat am Dienstag dazu aufgefordert, allen Frauen, die Arbeitslosengeld II, | |
Sozialhilfe und oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz | |
erhalten, Spirale, Pille und Co. zu finanzieren. Männer sind nach wie vor | |
ausgeschlossen. | |
In der Vergangenheit hatte Bremen stets abgelehnt, allen armen Frauen die | |
Kosten zu erstatten, weil es nicht finanzierbar sei. Das gehe in einem | |
Haushaltsnotlageland nicht, hatte die sozialpolitische Sprecherin der | |
Grünen im Jahr 2013 gesagt. Wie viel es aber kosten würde, war dabei immer | |
ungewiss. Mit Kosten im sechsstelligen Bereich, bis zu 500.000 Euro, hatten | |
Bremens PolitikerInnen und Verwaltung gerechnet, mit Blick auf Erfahrungen | |
aus Flensburg und Berlin. | |
Das war offenbar viel zu hoch gegriffen. Denn alleine für den stark | |
eingeschränkten Personenkreis hatte die Sozialsenatorin Anja Stahmann im | |
Jahr 2014 mit 22.000 Euro gerechnet und für 2015, als der etwas ausgedehnt | |
wurde, mit bis zu 60.000 Euro. Abgerufen wurden nach Auskunft der | |
Sozialbehörde aber nur 2.700 Euro im ersten Jahr und im zweiten bisher | |
5.000 Euro. Also nicht einmal ein Zehntel dessen, womit kalkuliert worden | |
war. | |
Entgegengenommen hat die Anträge die Beratungsstelle Pro Familia. In 2014 | |
stellten 16 Frauen einen Antrag, in 2015 immerhin 48, erzählt | |
Geschäftsführerin Monika Börding. Meistens wollten sie eine Spirale. | |
„Dafür mussten wir rund 200 Frauen sagen, dass es für sie kein Geld gibt“, | |
sagt Börding. Daher ist sie froh, dass die Beschränkungen jetzt weg fallen. | |
„Wir hören in unseren Beratungen immer wieder, dass sich Frauen oder auch | |
Paare die regelmäßige Verhütung nicht leisten können.“ Erst neulich sei e… | |
Student da gewesen, dessen Freundin die Pille nicht verträgt. „Für eine | |
Spirale fehlte das Geld“ – sie kostet zwischen 120 und 300 Euro. | |
Studierende, so sie älter als 21 sind, bleiben allerdings weiter außen vor. | |
Ungewollte Schwangerschaften aus Armutsgründen haben laut Börding auch zu | |
einem Anstieg an Schwangerschaftsabbrüchen geführt – deren Kosten von den | |
Kassen übernommen werden. Damit argumentiert sie aber ungern, weil das | |
Problem aus ihrer Sicht nicht die Abbrüche sind – sondern dass es überhaupt | |
zu ungewollten Schwangerschaften kommt. | |
Seit 2004, seitdem die Kosten für Verhütungsmittel nicht mehr übernommen | |
werden, sondern pauschal in den Regelsatz von Hartz IV und anderen | |
staatlichen Hilfen eingerechnet werden, weist der Bundesverband von Pro | |
Familia auf das Problem hin. | |
Zwei kleine Studien bestätigen die Erfahrungen der Berater. Eine Befragung | |
von 98 Betroffenen im Jahr 2013 ergab zudem, dass die Frauen in 43 Prozent | |
aller Fälle mit dem Kondom verhüteten und in zwölf Prozent mit Coitus | |
interruptus – und sich eigentlich mehrheitlich eine sichere und | |
langfristige Lösung wünschten. | |
17 Euro sieht das Gesetz für den Bereich Gesundheitspflege vor – also | |
alles, was sich im Badezimmer und im Medikamentenschrank findet und nicht | |
von der Krankenkasse übernommen wird. Eine Monatspackung der | |
Anti-Baby-Pille schlägt mit 15 bis 23 Euro zu Buche. | |
Obwohl Bremens Sozialsenatoren sich seit spätestens 2010 mit dem Thema | |
beschäftigt haben, weiß man in der Behörde nicht, welche Kosten auf die | |
Stadt zukommen werden, wenn es so umgesetzt wird, wie SPD und Grüne das | |
wollen. | |
„Es ist wohl nicht so viel, wie wir in der Vergangenheit gedacht haben“, | |
sagte am Dienstag die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, | |
Stephanie Dehne, und dass sie immer noch auf eine bundeseinheitliche Lösung | |
hoffe. Denn bisher ist es reine Glückssache, ob eine Frau zufällig in einer | |
Kommune lebt, die die Kosten übernimmt. In Bremerhaven etwa – der kleineren | |
Kommune im Zweistädteland Bremen – können Männer und Frauen schon seit 2012 | |
einen Antrag auf Kostenübernahme stellen – so sie nicht älter als 27 sind. | |
8 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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