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# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Schutzwall hinter Hetze
> Heidenau, Clausnitz, Bautzen. Sachsen, Sachsen, Sachsen. Pegida, AfD,
> Rassismus. Warum immer wieder Sachsen? Ein Sachbuch gibt Antworten.
Bild: Die Fahne des institutionellen Rassismus? Sachsen hat mehr als nur ein Pr…
[1][ThomasHetze gehört der AfD an] und leitet eine Flüchtlingsunterkunft.
Seine Partei- und andere rechte Kameraden haben sich dort versammelt, um
den Flüchtlingen, die in einem Reisebus mit programmierbarer LED-Anzeige
„Reisegenuss“ eintreffen, schreiend beizubringen, dass sie auf keinen Fall
Teil ihrer Gemeinschaft werden können, jener Gemeinschaft, in der
Polizisten die Flüchtlingskinder aus dem Bus in die Unterkunft schleifen.
Zwei Tage später setzt der mittelsächsische CDU-Landrat Matthias Damm Herrn
Hetze als Heimleiter ab. Nicht weil es ungeklärte Fragen im Zusammenhang
mit der Gewalt und dem Gepöbele vor der Flüchtlingsunterkunft gibt. Landrat
Damm a.k.a. Schutzwall trifft diese Entscheidung „Zum Schutz seiner
Person“.
Mankann sich das so vorstellen: Die Person leitet das Heim und der Mensch,
der nicht Person ist, hat seine Kumpel vor dem Heim, die aber offenbar gar
nicht reichen, um seine Person zu schützen, weil da ja sogar der Landrat
helfen muss. Und alle zusammen müssen also die Person schützen, die als
Mensch der AfD angehört und zwar vor den Flüchtlingen, die im Heim sitzen,
das nun zu guter Letzt in dieser, wie wir wissen, nicht erfundenen
Geschichte „Zur gemütlichen Laube“ heißen müsste.
Aber wenn die Person – nach John Locke etwa – das denkende, verständige,
vernunftbegabte Wesen ist, das sich für seine Handlungen selbst
verantwortlich fühlen kann und muss, und der Mensch hingegen irren und
schwach sein darf, müsste man dann nicht eher den Menschen vor der AfD
schützen und die Person bezüglich der Ereignisse vor der
Flüchtlingsunterkunft ins Kreuzverhör nehmen?
## Jahrhundertealter sächsischer Chauvinismus
Nicht in Sachsen. Die Gründe für den braunen Grund, auf dem dort vieles
steht, sind oft genannt worden: Ein jahrhundertealter sächsischer
Chauvinismus, der den Duft sächsischer Kurfürsten und sächsischer Könige
trägt, spielt ebenso eine Rolle wie der zum sozialen Kitt gewachsene
Opfermythos Dresdens, wo man mit dem schlimmsten aller Architekturstile
siegesmächtig den Siegern trotzt.
Die politische Sozialisation in einer DDR, für die es eine NS-Vergangenheit
nur in der BRD gegeben hat, obwohl die NSDAP gerade in Dresden frühzeitig
viele willige Schergen gefunden hatte, wirkt ebenso nach wie die
jahrzehntelange Abwesenheit einer politischen Streitkultur überhaupt. Und
dass der Argwohn gegenüber dem Nichtidentischen immer dort besonders stark
ist, wo es Nichtidentisches kaum gibt – geschenkt.
Für all das gibt es traurige, schockierende, aber ob des ganzen Irrsinns
auch recht lustige Belege in dem Buch „Volkes Stimmen: ‚Ehrlich, aber
deutlich‘ – Privatbriefe an die DDR-Regierung“ (dtv 2016), das der
Politologe Siegfried Suckut, langjähriger Mitarbeiter der
Stasiunterlagenbehörde, nun herausgegeben hat.
## „Ruhe, Ordnung und Sauberkeit“
Es versammelt Briefe von DDR-Bürgern an Staatsspitze und Medien, in denen
sie „Veränderung anmahnten“: „Auffällig ist die Fortexistenz von aus
obrigkeitsstaatlicher Vergangenheit tradierten Mentalitäten und
Einstellungen“, so Suckut. Und tatsächlich, Hitler, Bismarck, ganz egal,
komme wer wolle, wenn nur endlich „Ruhe, Ordnung und Sauberkeit herrschen“,
wie 1970 eine verzweifelte Dresdnerin schreibt. Noch mehr Ruhe und Ordnung
als in der DDR. Ginge das denn?
Es ist nicht einfach, mit einem nichtpathologisierenden Blick auf die
DDR-Anstalt zu schauen. Vieles hat habituell und diskursiv weiterhin
Bestand, das unbewusste Generationengedächtnis ist groß. Aber worauf wir in
diesen Tagen eher schauen sollten, was sich jedoch nicht so schön
distanziert und selbstgefällig erledigen lässt, ist das Aufblühen rechter
Strukturen in den Jahren seit 1990, in denen in dem CDU-geführten Land
diverse Dämme zum Schutz für Hetze errichtet worden sind.
Denn klingt das, was wir heute beobachten, nicht genau deshalb so häufig
wie ein schlechtes Drehbuch, weil wir es nicht nur mit einem wütenden,
unorganisierten Mob, sondern mit dezidiert institutionellem Rassismus zu
tun haben?
29 Feb 2016
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## AUTOREN
Tania Martini
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