# taz.de -- Nach den Angriffen in Heidenau: Die Ruhe nach der Randale | |
> Vor drei Jahren blockierten die NPD und der Mob in Heidenau eine | |
> Flüchtlingsunterkunft. Was hat sich seither verändert? | |
Bild: Heidenau in Sachsen. Dort fanden am 21. Aufust 2015 die Ausschreitungen s… | |
Heidenau taz | Das Blau des ehemaligen Praktiker-Baumarktes von Heidenau | |
ist einem roten Anstrich gewichen. Ein kleines Schild „Möbelwerk Heidenau“ | |
nennt den neuen Eigentümer. Von einer Nutzung ist aber keine Spur zu | |
entdecken. Eingezäunt, vergittert und verwaist liegt der Schauplatz der | |
pogromähnlichen Ausschreitungen im sächsischen Heidenau am 21. August 2015. | |
Nichts erinnert hier mehr an die vor drei Jahren eingerichtete Erstaufnahme | |
für Flüchtlinge, gegen die sich organisierter Hass von Nazis und spontaner | |
Protest von Anwohnern gerichtet hatte. Ein knappes Jahr später, Ende Juni | |
2016, war die Unterkunft vom Freistaat Sachsen geschlossen worden. | |
Heidenauer trifft man am Supermarkt und am Freibad gegenüber. „Zwei, drei | |
Tage war hier Aufruhr, dann war alles wieder gut“, erinnert sich ein | |
älterer Sachse von der gemütlichen Art, der gerade eingekauft hat. „Wenn | |
mich die Ausländer in Ruhe lassen, habe ich nichts gegen die.“ | |
Zum ersten Jahrestag der ausländerfeindlichen Krawalle Ende August 2016 gab | |
es noch einmal eine Demo. Diesmal vom schwarzen Block der Antifa. 1.500 | |
Anhänger marschierten durch die Stadt und riefen „Scheiß Heidenau“. Sehr | |
zum Verdruss der Bürger und ihres Bürgermeisters Jürgen Opitz (CDU). | |
„Seither herrscht Ruhe hier. Die Bevölkerung hat von den Unruhen die Nase | |
voll“, sagt der Mann, der im November 2015 für seine humane Haltung und | |
sein deeskalierendes Wirken den sächsischen Demokratiepreis erhielt. | |
## NPD organisierte über Facebook eine Demonstration | |
Von Opitz erfährt man auch noch einmal die wenig bekannten Hintergründe der | |
Ausschreitungen 2015. Die Ankunft von Flüchtlingen erreichte damals einen | |
Höhepunkt, Unterkünfte wurden dringend gesucht. Schon eine Woche vor jenem | |
21. August hatte sich der Bürgermeister vergeblich beim Eigentümer um den | |
leer stehenden Baumarkt bemüht. Der Freistaat Sachsen war mit mehr Geld | |
offenbar erfolgreicher; beinahe über Nacht fiel der Entschluss, zunächst | |
250, später 600 Flüchtlinge hier unterzubringen, nachdem ein Lager in | |
Chemnitz vom Starkregen fortgespült worden war. | |
Die NPD witterte sofort ihre Chance und organisierte via Facebook eine | |
Demonstration. Den harten Kern dieses und des Aufzuges am folgenden Tag | |
bildeten organisierte Nazis. Ihrem Marsch schlossen sich auch Anwohner an, | |
der Zug wuchs auf 1.000 Personen an. Als Reporter traf man unter ihnen | |
auffallend viele Russlanddeutsche an, die in dieser Gegend leben: | |
Aussiedler, die vom Land ihrer Träume enttäuscht sind. Die Proteste | |
eskalierten, Geflüchtete wurden in Angst und Schrecken versetzt. Die | |
Bundesstraße 172 wurde blockiert, Knallkörper flogen, 31 Polizisten wurden | |
verletzt. | |
Der Folgetag zeigte, dass die Rechten organisiert auch gegen Polizisten | |
vorgingen. Zugleich formierte sich eine erste Demonstration zum Schutz der | |
Geflüchteten, Hunderte Helfer meldeten sich, Sach- und Kleiderspenden | |
wurden abgegeben. Spitzenpolitiker reagierten verstört angesichts des | |
Ausmaßes an Hass und Gewalt. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig | |
(CDU), zuvor Oberbürgermeister in der Nachbarstadt Pirna, rückte an. | |
Vizekanzler Sigmar Gabriel nannte die Wütenden „Pack“. Die Kanzlerin fand | |
eine Stunde Zeit und wurde von Protestierenden aufs Übelste beschimpft. | |
Am Rande des Merkel-Besuchs geriet auch Sachsens damaliger | |
Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) erstmals unter die Wutbürger. | |
Danach fand er zu einer nie gehörten Deutlichkeit. In der Landtagssitzung | |
vom 1. September sprach er von „dumpfen Demonstrationen“ und von einer | |
„enthemmten Minderheit“, die das Land „besudelt und beschämt“ habe. | |
## Im November 2016 gab es die ersten Urteile | |
Die juristische Aufarbeitung der Ausschreitungen ist noch immer nicht | |
abgeschlossen. Im November 2016 wurden die ersten drei Männer zu | |
Haftstrafen bis zu 26 Monaten verurteilt, weil sie Flaschen, Steine und | |
Böller auf Polizisten geworfen hatten. Ein Jahr später gab es noch ein | |
halbes Jahr Haft mehr für einen bereits polizeibekannten Gewalttäter. 48 | |
Straftäter wurden ermittelt, 25 Verfahren gab die Polizei an die | |
Staatsanwaltschaft ab. In den meisten Fällen wurden Geldstrafen verhängt. | |
Der Prozess gegen Mitglieder der „Freien Kameradschaft Dresden“ offenbarte | |
später Verbindungen zwischen der organisierten rechten Szene und den | |
Heidenau-Provokateuren. Einer der 2016 bereits Verurteilten wurde als Zeuge | |
vernommen und wollte sich plötzlich nicht mehr an frühere Aussagen | |
erinnern, in denen er Kameradschaftsmitglieder aus Dresden, Thüringen und | |
Berlin als Heidenauer Mittäter benannt hatte. | |
Wo sind die Heidenauer heute, die vor drei Jahren mitgemacht haben? Ein | |
halbes Jahr nach den Krawallen wurde die Skulptur „Miteinander“ eines | |
deutschtürkischen Künstlers in den alten Reichsfarben übermalt. Und es gibt | |
die rechte Internetplattform „Heidenauer Wellenlänge“. Bei der | |
Bundestagswahl 2017 gingen 34,7 Prozent der Zweitstimmen an die AfD. Aber | |
es gibt keine greifbare rechte Szene in Heidenau. | |
So beurteilt es auch Julia Schindler von der Pirnaer Aktion Zivilcourage. | |
Inzwischen sind sie und die ehrenamtlichen Helfer mit Integrationsaufgaben | |
für Migranten beschäftigt. Anfällig mache die Bürger höchstens die | |
mangelnde Identifikation mit einer „Schlafstadt“, die eingezwängt zwischen | |
Dresden und Pirna kaum eigenes Profil entwickelt. | |
Sie liegt damit aber auch genau zwischen der Hooliganszene Dresdens und den | |
Folgestrukturen der verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“, gibt Markus | |
Kemper vom Kulturbüro Sachsen zu bedenken. „Die brauchten das mal und | |
warteten damals nur auf eine Gelegenheit, organisiert losschlagen zu | |
können.“ So erklärt sich für ihn, warum es bei überall vorhandenen | |
Ressentiments in der Bevölkerung gerade die Erstaufnahmeeinrichtung in | |
Heidenau traf. | |
## Ein Integrationskoordinator wurde eingesetzt | |
Bürgermeister Jürgen Opitz muss seine Stadt nicht rehabilitieren. Von Julia | |
Schindler erhalten er und die Stadtverwaltung ein Lob, weil ein | |
Integrationskoordinator eingesetzt wurde. Opitz leidet nach eigenen Worten | |
etwas unter der Langsamkeit des Rechtsstaates bei der Strafverfolgung und | |
zugleich unter der Höchstgeschwindigkeit von Medien, die seine Stadt | |
schnell verurteilten. | |
Mit Genugtuung beobachtet er Zuzüge im Speckgürtel der Landeshauptstadt | |
Dresden. Die Kommune hat viel für Familienfreundlichkeit getan und in | |
Bildungseinrichtungen vom frühen Kindesalter an investiert. Schon vor 2015 | |
habe das Miteinander auf der Agenda gestanden, betont Opitz. Anfang August | |
flossen aus Mitteln des Landes und des Europäischen Sozialfonds mehr als | |
eine halbe Million Euro für soziale Projekte. | |
Sorgen bereiten dem praktizierenden Katholiken weniger die konkreten | |
Verhältnisse in seiner Stadt als die Erosionstendenzen der | |
Bürgergesellschaft. „Die Leute sind dünnhäutiger geworden“, konstatiert | |
Opitz und meint damit das geschwundene Vertrauen in „die da oben“, die | |
vorschnelle Denunziation der Fremden und Anderen und das | |
Denkzettel-Wahlverhalten anstelle demokratischer Mitwirkung. | |
21 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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