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# taz.de -- Die Wahrheit: Das Grauen in As-Dur
> Ralph Siegels neuestes Schurkenstück – der Altmeister des deutschen
> Schlagers nimmt wieder erbarmungslos Kurs auf den Eurovision Song
> Contest.
Bild: Der Altmeister und sein Singklon: Ralph Siegel und Laura Pinski.
In der Aufnahmekabine drängen sich die Musiker. Ein Posaunist bläst eine
Bresche in ein Rudel zartbesaiteter Bratschistinnen, unter den Stiefeln
eines Tambourcorps zerbirst eine Viola da Gamba, ein Schwarm original
Gelsenkirchener Domspatzen drückt hilfesuchend die Stupsnasen gegen die
Scheibe, während eine Steel Band aus Trinidad ihre Ölfässer noch immer mit
dem Schweißbrenner zu stimmen versucht.
Ralph Siegel nickt zufrieden, als sein buckliger Scherge ein paar
entflohene Musikanten, die unter der eisernen Orgel des Meisters Schutz
gesucht hatten, mit Peitschenhieben in die schallisolierte Kabine
zurücktreibt. Dann heizt Siegels Gehilfe auf einen Wink seines Herrn das
altehrwürdige Mischpult mit Buchenholzscheiten an und während sich das
dampfgetriebene Ungetüm fauchend in Bewegung setzt, erklingt des Meisters
kollerndes Schurkenlachen in lupenreinem As-Dur.
„Mit diesem Equipment habe ich seinerzeit das Frühwerk von Dschingis Khan
aufgenommen“, erklärt der passionierte Notenschinder jovial. „Und ich rede
hier nicht von der gleichnamigen Band.“ Der Altmeister des deutschen
Schlagers ist wirklich schon sehr, sehr lange im Geschäft, und noch immer
bevorzugt Siegel das ganz große Besteck.
Während sich jüngere Produzenten mit vorgefertigten Samples und Beats aus
der Konserve begnügen, arbeitet der Altmeister weiterhin am liebsten mit
leibhaftigen Musikern, die sein Gehilfe nachts auf Friedhöfen und
Dorffesten exhumiert oder tagsüber mit Betäubungspfeilen in der
Fußgängerzone schießt.
## Tief unten in der „Siegelfeste“
Nur selten lässt der öffentlichkeitsscheue Maestro Fremde in seine geheimen
Studiokatakomben blicken, die tief in den Fels gegraben unter dem Bergfried
seiner „Siegelfeste“ liegen, wie der Eurovisions-Pate sein Anwesen nennt.
Wie hingeschissen thront die düstere Tonsetzerburg im
transsylvanisch-kalifornischen Rockocko-Revivalstil über den Walmdächern
eines feinen Münchner Vororts, dessen Bewohner sich allesamt in den Staub
werfen, sobald man die Rede auf ihren prominenten Mitbürger bringt.
Doch als der Klangmagier letzte Hand an die Aufnahmen seines Beitrags zum
diesjährigen Eurovision Song Contest legt, werden wir des Raumes verwiesen.
Die berüchtigte „Crumbling Wall of Sound“, jene arkane Klangtüftelei, mit
der Siegel sogar veritable Sinfonieorchester nach dürftigem Kirmesgequäke
und altbackener Heimorgelei klingen lässt, ist streng gehütetes Betriebs-
und Erfolgsgeheimnis.
Wir durchschreiten die Ruhmeshalle des Komponisten, in der goldene
Schallplatten, ein Dankesbrief Beethovens (“Thank you for the Music“) und
andere Trophäen von seiner langen Karriere künden. In einer Ecke verstaubt
ein mottenzerfressenes Exponat. Es ist die Formation „Wind“, die Siegel
beim Grand Prix d’Eurovision 1992 einen enttäuschenden 16. Platz bescherte
und von ihrem Herrn zur Strafe abgebalgt und ausgestopft wurde. Als
Laokoongruppe ziert sie seitdem das finstere Gewölbe, heutigen
musikalischen Schützlingen Siegels als Warnung und Ansporn.
Von der Decke hängt ein goldener Käfig, herinnen ein anämisches Wesen, das
auf weißer Gitarre zirpt und herzerweichend um ein bisschen Frieden oder
wenigstens um einen Kanten Brot bettelt. In der gefühlskalten
Unterhaltungsbranche gilt Siegel als Gemütsmensch, der nicht zögert, auch
gestrauchelten Künstlerinnen aus seinem Stall die brillantringbesetzte Hand
zur Hilfe zu reichen.
## Glosende Augen
Aus den tiefen Schlünden der Studiokavernen taucht abermals des Produzenten
stummer Gehilfe auf, wischt die blutverschmierten Pranken am Kittel ab und
heißt uns folgen. „Das große Werk ist getan!“, empfängt uns der Meister
triumphierend, während sein Diener Leichenreste aus der Aufnahmekabine
schaufelt. Siegels Augen glosen, als er den gewaltigen Messinghebel der
Musikanlage umlegt.
Funken elektrischer Entladung sprühen, Kabel peitschen schlangengleich
umher, bis aus den Boxen endlich die finale Version von „Under The Sun We
Are One“ wummert. Mit diesem liedgewordenen Schmierkäse für den
Weltfrieden, gesungen von einem auf heimischem Fensterbrett zu kümmerlicher
Reife gezogenen Lena-Klon namens Laura Pinski, will der Altmeister beim
Kölner Vorentscheid am morgigen Donnerstag sein 25. Ticket zum ESC lösen.
Das Ergebnis dieser Jubiläums-Offensive drückt uns den Ohrenschmalz aus den
Gehörgängen ins Großhirn. Sogar als wir des Komponisten Kasematten längst
fluchtartig verlassen und unsere Schädel mehrfach gegen die hölzerne
Zugbrücke geschlagen haben, grützt uns das Liedlein unbarmherzig im Kopf
herum.
Es rumpelt durch Textzeilen, die flach zu nennen jede Pfütze zum
Marianengraben erklären hieße, und kollabiert letztlich in einem Refrain,
der schon jetzt als intellektuelles Vermächtnis des greisen Schlagerbarons
zu gelten hat: „Oh-oh-oh“ geht er und dann noch einmal „Oh-oh-oh“. Denn…
dieser genialen Hookline ist wirklich alles gesagt, was man zum Eurovision
Song Contest wissen muss.
24 Feb 2016
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
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