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# taz.de -- Die Wahrheit: Kartoffel ohne Ende
> Polen macht dem deutschen Witz den Garaus und will Humorbeobachter in die
> Bundesrepublik schicken.
Bild: Von deutschem Boden darf nie wieder eine Pointe ausgehen!
Durch die lederbezogenen Türen des kleinen Sitzungssaals im Berliner
Auswärtigen Amt drang herzliches Lachen und gehässiges Keckern, gefolgt von
damenhaften Kieksern und gänzlich undamenhaften Grunzern. Ganz
offensichtlich hatte die polnische Delegation ihren Spaß. Die konservative
wie sauertöpfische Ministerpräsidentin Beata Szydło, die vergangenen
Freitag auf Antrittsbesuch in der Hauptstadt weilte, soll sogar juchzend
über den Boden gerollt sein.
Ein seltener Anblick in diesen Tagen, da das deutsch-polnische Verhältnis
von Missverständnissen und Spannungen geprägt ist. Doch kaum, dass die
deutschen Unterhändler eintraten, versteinerten die Mienen und die
erheiternden polnischen Tageszeitungen, deren Fotomontagen die Kanzlerin
gern mit Hitlerbärtchen oder als Animierdame in einem Wehrmacht-Bordell mit
der Aufschrift „Europa“ zeigen, verschwanden in den Aktenmappen.
Denn gerade in Humorfragen liegen die Positionen der beiden Nationen so
weit auseinander wie seit den 1990er Jahren nicht mehr, als der Entertainer
Harald Schmidt eine Lawine von Polenwitzen lostrat, deren Widerhall
jenseits der Oder nicht eben gern gehört wurde.
Entzündet hat sich der Zorn der östlichen Nachbarn diesmal jedoch nicht an
den Machenschaften gewissenloser Erzschelme, die nicht einmal davor
zurückschrecken, polnische Nationalhelden in ihren schmutzigen Witzblättern
als Kartoffel zu verunglimpfen, sondern am Heiligen Gral urdeutschen
Frohsinns, dem Karnevalswagen. Doch wie konnte das unschuldig fröhliche
Gefährt und Ausbund teutonischer Witzschmiedekunst überhaupt zum Ärgernis
werden?
## Geschmacksüberwachung nötig
Der Düsseldorfer Satirikskulpteur Tilly hatte zur diesjährigen Session
einen Motivwagen entworfen, der das Nachbarland als misshandelte Polonia
unter dem Stiefel eines bemützten Gnoms mit der Aufschrift „Kaczyński“
zeigte. Ausgerechnet in dieser feinsinnig allegorischen Darstellung aus
luftigem Pappmaché erkannte Außenminister Witold Waszczykowski nicht etwa
den berüchtigten rheinischen Esprit, sondern dummdeutsche
„Polenverachtung“.
Die polnische Regierung protestierte vehement gegen das Vehikel und will
nun, so soll es Beata Szydło am Freitag angekündigt haben, Humorbeobachter
nach Deutschland entsenden, die künftig über die Grenzen der Schicklichkeit
und des guten polnischen Geschmacks wachen. Im Gegenzug will das Land bis
zu fünf stubenreine Flüchtlinge aus deutschen Beständen übernehmen.
„Von deutschem Boden darf nie wieder ein Pointe ausgehen“, formuliert
Delegationsleiter Wojciech Krasiński derweil in Warschau das maximale
Missionsziel. Der Lehrstuhlinhaber für Katholische Komik an der
„Universität unserer lieben und lustigen Frau“ in Posen gilt außerdem als
treibende Kraft einer Initiative, die vom Vatikan verlangt, das Tief
„Rusiza“, das zumindest den Düsseldorfer Rosenmontagszug hinwegfegte, als
„Schnurre des Herrn“ heiligzusprechen.
„Die Polen haben schlechte Erfahrungen mit deutschem Humor gemacht,
besonders wenn er von uniformierten Einheiten zu Marschmusik abgesondert
wird“, erklärt Rudolf Schwandtleder, Leiter des Zentrums für strategische
Scherzstudien in Haselünne, die polnische Dünnhäutigkeit. „Bis 1939 haben
die meisten Polen Adolf Hitler noch für ein mäßig begabtes Chaplin-Double
mit Tourette-Syndrom gehalten. Der Tonfilm hat hier viel zu spät Einzug
gehalten.“
## Nationale Kasperei bleibt
Zwar lehnt die deutsche Regierung bislang vehement jegliche Einmischung in
Fragen nationaler Kasperei ab, doch scheint die polnische
Humorbeobachter-Mission Rückhalt bei den Vereinten Nationen zu finden. Laut
einer UN-Studie gelten deutsche Humorversuche als zweitgrößte Gefahr für
den Weltfrieden – gleich hinter den Atomtests von Nordkorea. Die WHO hat
den Konsum deutscher TV-Comedy kürzlich gar als „gesundheitsschädlich“
eingestuft.
„Einem Deutschen einen Witz in die Hand zu drücken, ist genauso
unverantwortlich wie einem Päderasten den Schlüssel zum Kindergarten zu
geben“, ulkte jüngst nachdenklich der britische Gesandte Lord Mortimer
Buttifant Tosser-Wisecrack, der seit Jahrzehnten für eine konsequente
Entwitzung Deutschlands ficht. Ein Versuch der Juncker-Kommission, für
einheitliche europäische Humor-Richtlinien zu sorgen, scheiterte bislang
vor allem am Veto Großbritanniens, dessen Wirtschaft fast vollständig vom
tiefschwarzen Gold abhängig ist, das in den Großhirnrinden der Insel
geschürft wird.
Dass Juncker ferner das vollkommen unverständliche Letzeburgische als
verbindliche Lingua ridicula der Union durchsetzen wollte, nur um den
Verkauf seines Büchleins mit EU-Parlamentsanekdoten „Om Dëppefest“
anzukurbeln, war der Sache darüber hinaus überhaupt nicht dienlich.
So ist es nun an der polnischen und an der deutschen Delegation, eine
bilaterale Einigung zu finden. Ein erster Schritt schien am vergangenen
Freitag getan worden zu sein. Hinter den Türen des kleinen Sitzungssaales
im Auswärtigen Amt sollen sich Polen wie Deutsche zu später Stunde
gemeinsam über eine geharnischte Putin-Karikatur beömmelt haben.
15 Feb 2016
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Polen
Bundesrepublik Deutschland
Kontroverse
Wahlen
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Barbie
Plastiktüten
Schwerpunkt Finanzkrise
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