| # taz.de -- Kommentar Rechter Mob in Clausnitz: Schlimmer als jeder Albtraum | |
| > In Clausnitz hat sich der Staat für außerstande erklärt, gegen 100 Pöbler | |
| > vorzugehen. Das ist Staatsversagen – und eine Gefahr für die | |
| > Gesellschaft. | |
| Bild: Machte die Opfer zu Tätern: Uwe Reißmann, Leiter der Polizeidirektion C… | |
| Es ist der klassische Albtraum. Auf der Flucht vor Verfolgern findet man | |
| einen vermeintlich sicheren Raum, verrammelt die Tür – und sieht den Feind | |
| grinsend in einer Ecke lauern. So muss es Leuten gehen, die einem Krieg | |
| entkommen sind und plötzlich einem Mob gegenüberstehen. | |
| Was Flüchtlingen im sächsischen Clausnitz widerfahren ist, zeigt | |
| allerdings, dass die Realität schlimmer sein kann als die meisten bösen | |
| Träume. Dort nämlich erwies sich, dass die größte Gefahr von denen ausgehen | |
| kann, die eigentlich Beschützer sein müssten: von offiziellen Stellen. | |
| Für diejenigen, die hier Asyl suchen, ist es sicherlich kein Trost, dass | |
| sie mit ihrem Entsetzen nicht allein sind. Aber sie sind tatsächlich nicht | |
| allein. Und zwar in diesem Fall nicht deshalb, weil mitfühlende Deutsche es | |
| empörend finden, wie Flüchtlingen hierzulande gelegentlich mitgespielt | |
| wird. Das auch, natürlich. | |
| Vor allem jedoch, weil sich in Clausnitz gezeigt hat, dass die „Diener“ | |
| dieses Staates – eines der reichsten und bestorganisierten der Welt – ihren | |
| Verpflichtungen inzwischen nicht mehr nachkommen müssen, wenn sie keine | |
| Lust dazu haben. Das bedroht nicht „nur“ Minderheiten. Das bedroht die | |
| Gesamtgesellschaft. | |
| ## Hinweis auf einen failed state | |
| Man muss es sich noch einmal vor Augen führen: Der Staat – beziehungsweise | |
| dessen Vertretung vor Ort – hat sich in Clausnitz für außerstande erklärt, | |
| Flüchtlinge vor 100 pöbelnden Demonstranten zu schützen. Einhundert! Nicht | |
| eintausend. Nicht eine Million. Nein: 100. | |
| Wenn steuerfinanzierte Ordnungskräfte öffentlich und selbstbewusst erklären | |
| dürfen, es sei nicht möglich gewesen, einhundert Leuten einen Platzverweis | |
| zu erteilen, dann ist das eigentlich ein Hinweis auf einen failed state, | |
| auf einen „gescheiterten Staat“. | |
| Deutschland will aber natürlich kein gescheiterter Staat sein, und deshalb | |
| wird sofort ermittelt, wenn eine latent explosive Situation entstanden ist. | |
| In diesem Fall: gegen Flüchtlinge, die mit ihren Handykameras gefilmt | |
| haben, und gegen Flüchtlinge, die eine obszöne Geste gemacht haben. Das | |
| also war das Hauptproblem in Clausnitz? Gut zu wissen. | |
| Vielleicht geht es morgen nicht gegen Flüchtlinge. Vielleicht demonstrieren | |
| demnächst hundert Leute gegen Behinderte. Falls staatliche Stellen dann | |
| Behinderte gerade besonders bedrohlich finden – müssen diese dann damit | |
| rechnen, dass gegen sie ermittelt wird? Vielleicht. | |
| Nein, der Vergleich ist nicht schief. Leider nicht. Spätestens nach | |
| Clausnitz steht fest: Der deutsche Staat kommt seinen Verpflichtungen nicht | |
| mehr nach. Das muss sich ändern. Und nicht nur im Interesse der | |
| Flüchtlinge. | |
| 21 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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