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# taz.de -- Unterwegs im Leihauto: Volkes Wagen
> Carsharing wächst und wächst. Aber muss es gleich die Welt retten? Es
> reicht schon, wenn wir alle vor dem Einsteigen auch mal das Hirn
> anschalten.
Bild: Carsharing breitet sich aus
Beim Carsharing haben wir es mit etwas ganz Großem zu tun. Da bewegt man
sich nicht nur möglichst bequem und kostengünstig von A nach B, nein, da
werden Ressourcen geschont, die Umwelt geschützt, man vernetzt sich und
verbessert die Welt. Wer sich ein Auto teilt, ist ein umweltbewusster und
fortschrittlicher Philanthrop, der sich ganz dem Gedanken der sogenannten
Share Economy verschrieben hat, also grundsätzlich lieber teilt statt zu
besitzen. Diesen Eindruck vermitteln zumindest die bundesweit mehr als 150
Carsharing-Anbieter sowie die Journalisten und Sozialwissenschaftler, die
sich mit diesem Thema befassen.
Das mit dem Teilen ist aber nicht neu. Neu ist es auch nicht,
unterschiedliche Verkehrsmittel auf dem Weg zum Ziel zu nutzen. Mit dem Rad
zur Bushaltestelle, mit dem Bus weiter in den nächsten Ort und dort ins
Auto der Kollegin umsteigen und gemeinsam zur Arbeit fahren – da ist nichts
Besonderes dran.
Tatsächlich scheint das Carsharing aber dazu beizutragen, dass es zumindest
auf lange Sicht weniger Autos geben könnte und dass die wenigen Autos
wiederum weniger rumstehen. Je nach Studie ersetzt ein Carsharing-Fahrzeug
im besten Fall vier bis acht Privatwagen. Schon heute sind Carsharing-Autos
ohne feste Station jeden Tag 172 bis 302 Minuten unterwegs, stehen also nur
79 bis 88 Prozent des Tages still.
## Weniger Stillstand
Private Autos hingegen warten 95 Prozent des Tages auf ihrem Parkplatz. Das
jedenfalls hat das Projekt Wimobil 2015 im Auftrag des
Bundesumweltministeriums erhoben. Zahlen wie diese bringen den
Naturschutzbund Nabu dazu, von Stehzeugen statt von Fahrzeugen zu reden –
und eben diese Stehzeuge gehören aus Sicht der Naturschützer abgeschafft.
Oder zumindest durchs Carsharing ersetzt.
Für Sozialwissenschaftler ist auf diesem Feld vor allem das
Mobilitätsverhalten der Leute interessant. Wer fährt wann wie warum wohin
und womit und wie verändert sich das alles im Laufe der Zeit? Eine
Erkenntnis ist diese: Ein Carsharer trennt sich eher von seinem eigenen
Wagen als der Nicht-Carsharer.
Das hört sich gut an. So richtig belastbar ist diese These nicht, weil ein
kausaler Zusammenhang von Carsharing nutzen und Auto verkaufen bisher nicht
belegt werden konnte. Studien wie beispielsweise das Carsharing-Barometer,
das die EBS Universität für Wirtschaft und Recht 2013 erstellte, zeigen
zwar, dass sich der Autobesitz bei Carsharern um rund 23,5 Prozent
reduziert, aber wieso die Leute sich von ihrem eigenen Auto trennen, liegt
im Bereich der Spekulation.
Es täte dem Thema Carsharing gut, wenn es ideologisch nicht so aufgeladen
würde. Wenn es nicht immer gleich um eine bessere Welt ginge, die der
Carsharer zu schaffen hilft. Denn erst mal bleibt es dabei, dass das Teilen
von Autos ein alter Hut ist – um nur mal Taxi, Mitfahrzentrale oder
Fahrgemeinschaft zu nennen. Nur haben eben Mietwagenfirmen und
Autohersteller irgendwann auch verstanden, dass man Autos minutenweise oder
kilometerweise vermieten kann.
Mit Weltverbesserung hat das wenig zu tun, mit ökonomischen Interessen sehr
viel. Hier sei eine Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit
erwähnt, die jüngst feststellte, dass die Ökonomie des Teilens gar nicht
zwingend zu mehr Nachhaltigkeit führen muss. Beispielsweise, weil nun auch
Bevölkerungsschichten Auto fahren, die sich das vorher eher nicht leisten
konnten.
## Eine Frage der Vernunft
Die entscheidende Frage ist doch letztlich diese: Ist es vernünftig, ein
eigenes Auto zu besitzen? Die Nutzerzahlen der Carsharing-Anbieter lassen
darauf schließen, dass zunehmend mehr Menschen diese Frage für sich mit
Nein beantworten. Zählte der Bundesverband Carsharing 2010 in Städten mit
mehr als 50.000 Einwohnern noch etwa 150.000 Nutzer, waren es zum Stichtag
1. Januar 2015 schon mehr als eine Million – inklusive Mehrfachanmeldungen
bei unterschiedlichen Anbietern und Karteileichen, die es beim Carsharing
ebenso gibt wie beim Fitnessstudio.
Mitte 2015 gab es laut Bundesverband in 490 deutschen Städten und Gemeinden
Carsharing-Angebote, 110 mehr als im Jahr davor. In der Stadt und in den
städtischen Ballungsräumen ist es eben schlicht nicht vernünftig, ein
eigenes Auto zu unterhalten. Kosten, Luftqualität, Lärmbelastung,
Parkplatzsuche, Stau – um nur ein paar Argumente zu nennen. Insgesamt
wächst der Markt jedenfalls und die Leute scheinen nicht unbedingt auf
ihrem eigenen Wagen zu beharren, wenn es denn sinnvolle Alternativen gibt.
Gut wäre also, das Carsharing nicht losgelöst von den anderen
Verkehrsmitteln zu betrachten und als Heilsbringer zu inszenieren.
Niedersachsens Landeshauptstadt zeigt, wie es gehen könnte. Dort gibt es
die Hannovermobil-Karte, mit der man nicht nur den Nahverkehr nutzen kann,
sondern auch kostenfrei eine Bahncard 25 bekommt, Carsharing-Autos fahren
darf, günstiger Taxi fährt und Rabatte bei Mietautos bekommt.
Diese Art neuer Tarife schlägt auch eine im Januar vorgestellte Studie der
Projektgruppe Multimo vor, die vom Innovationszentrum für Mobilität und
gesellschaftlichen Wandel ins Leben gerufen und mit dem Institut für
angewandte Sozialwissenschaft durchgeführt wurde. Sie schlagen etwa vor,
das Fahrkartensystem grundsätzlich zu überdenken und beispielsweise ein
Mobilitätsguthaben einzuführen. Das könnte so funktionieren: Ein Kilometer
mit dem Leihrad kostet einen Punkt, ein Kilometer Bus zwei Punkte und einer
mit dem Carsharing-Auto vier. Wer für vernünftiges Handeln auch noch
bezahlt wird, wird schnell noch vernünftiger.
Den ganzen Schwerpunkt zum Carsharing finden Sie in der taz.am Wochenendeam
Kiosk oder [1][hier].
19 Feb 2016
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## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
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