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# taz.de -- UNO-Missionschef Kobler über Libyen: „Damit das Land nicht zu Sy…
> Der „Islamische Staat“ dehnt sich in Libyen immer weiter aus. Können die
> Vereinten Nationen dabei helfen, das Land stabilisieren?
Bild: Demo gegen Anhänger von Ex-Diktator Gaddafi in Bengasi.
taz: Herr Kobler, fünf Jahre nach dem Beginn des Bürgerkriegs in Libyen
gibt es nun einen Vorschlag für eine Einheitsregierung. Wie stehen die
Chancen, dass daraus etwas wird?
Martin Kobler: Die Chancen stehen gut, dass die Regierung das Licht der
Welt erblickt. Es ist wichtig, dass sie dann auch im Land ist und keine
Exilregierung wird. Das hängt natürlich von vielen Faktoren ab,
insbesondere der Sicherheitslage in Tripolis. Ganz wichtig ist, dass man zu
einem Sicherheitsabkommen kommt, das macht das vorläufige
Sicherheitskomitee des Präsidentschaftsrates. Das Komitee verhandelt mit
den Milizen, und wir begleiten das intensiv. Dann ist natürlich das erste
Thema auf der Tagesordnung die Ausdehnung des „Islamischen Staates“. Das
zweite ist die humanitäre Lage, die wirklich vollkommen desaströs ist.
Diese Regierung muss liefern, denn die Menschen erwarten von einer
Regierung, dass sie für eine Verbesserung der Lebenssituation sorgt.
Doch noch ist, trotz aller Verhandlungen, die Sicherheitslage in Tripolis
zu chaotisch, als dass eine Einheitsregierung, wenn sie denn am Ende das
Licht der Welt erblicken sollte, dort auch ihr Amt antreten kann.
Die Regierung muss in Tripolis arbeiten. Es kann keine Exilregierung sein.
Deswegen sind unsere Bestrebungen jetzt darauf fokussiert, zusammen mit den
Libyern mit Tripolis zu verhandeln und das zu ermöglichen. Auf der anderen
Seite gibt es Machthaber, die das Abkommen schlichtweg ablehnen. Ich finde,
das geht nicht. Es gibt eine Sicherheitsratsresolution. Ich habe mit den
Präsidenten beider Parlamente gesprochen und sie gebeten, sich auf der
Basis des libyschen Abkommens zu bewegen. Bei allen
Meinungsverschiedenheiten ist das jetzt die Basis. Sie ist alternativlos.
Skeptiker des libyschen Friedensprozesses fürchten, dass wir es am Ende
statt mit zwei Regierungen, wie heute, nach der Bildung der
Einheitsregierung mit drei zu tun haben werden …
Das darf nicht passieren. Die bis jetzt anerkannte Regierung in Tobruk wird
durch die Einheitsregierung ersetzt. Die Regierung in Tripolis hat ohnehin
keine Legitimität. Die Sicherheitsratsresolution sagt ganz klar, dass die
einzig legitime Regierung die durch das libysche Abkommen geschaffene ist.
Und die Zentralbank, die ja Behörden finanziert, einschließlich der
Milizen, über das Innenministerium, die wird dann nur diese eine Regierung
unterstützen. Ich glaube, Geld ist da schon ein wichtiges Druckmittel.
Die Zentralbank finanziert derzeit tatsächlich alle Seiten im libyschen
Konflikt? Sie ist also die einzige staatliche Institution, die landesweit
agiert?
Die Zentralbank finanziert aus den Öleinnahmen die Gehälter, die
Subventionen und auch die Milizen auf allen Seiten. Das Einkommen der
Zentralbank ist allerdings von 280 Milliarden Dollar auf jetzt circa 50
Milliarden Dollar gesunken. Wenn jetzt nichts passiert, ist bald kein Geld
mehr vorhanden. Insofern ist auch ein finanzieller Druck da, jetzt zu einer
Einheit zu kommen. Das ist einer der Gründe, warum es so wichtig ist, dass
alle politischen Parteien sich einigen, weil die Ressourcen des Landes
schrumpfen. Die Ölproduktion ist von 1,6 Millionen auf 350.000 Barrel am
Tag zurückgegangen. Das ist ein Fünftel von dem, was vorher da war. Dann
haben wir noch den fallenden Ölpreis, der jetzt bei 30 Dollar liegt und
vielleicht noch mehr fällt. Das sind enorme Einkommensverluste, deswegen
werden die Reserven der Zentralbank weiter schrumpfen.
Es gibt zwei große Machtzentren in Libyen, das wiederum aus einem
wechselnden Geflecht kleinerer Machtzentren besteht. Wieso sollen die jetzt
bereit sein, tatsächlich Macht an eine neue Einheitsregierung abzugeben?
Die längste Reise fängt mit dem ersten Schritt an. Ich gebe zu, dass Chaos
und Anarchie im Land herrscht mit großen und kleinen Machtzentren; aber
auch die, die vorgeben, große Machtzentren darzustellen, etwa in Tripolis,
deren Macht reicht oft nicht weiter als 500 Meter von ihrem Haus entfernt,
dann fängt der Machtbereich der nächsten Miliz an. Zwei Elemente spielen
eine wichtige Rolle. Da sind die Städtevertreter, die gewählt sind, und die
Stämme im Osten. Diese Gruppen nehmen wir ganz besonders in Augenschein.
Und wir ermutigen sie, die Regierung zu unterstützen. Niemand hat ein
Interesse an einer schwachen Regierung. Die Ausdehnung des „Islamischen
Staates“, aber auch die humanitäre Situation erfordern eine starke
Regierung. Es sind immerhin 1,4 Millionen Menschen von Nahrungsmittelhilfe
und 2,4 Millionen von humanitärer Hilfe abhängig. Ich habe das Krankenhaus
in al-Bayda im Osten des Landes besucht. Das ist eine Schande, was sich
dort abspielt – in einem reichen Land wie Libyen, das ein großes Potenzial
hat. Ich finde es auch wichtig, dass man das den Machthabenden sagt, dass
sie die Interessen Libyens über ihre persönlichen Machtinteressen stellen
müssen.
Woher weiß man überhaupt, mit wem man verhandelt und wer überhaupt was
durchsetzen kann?
Wir sind nicht erst seit gestern dabei. Wir versuchen gerade einen
humanitären Waffenstillstand in Bengasi zu organisieren, weil die
humanitäre Lage dort so katastrophal ist. Da muss man natürlich sehen, mit
wem man spricht, da gibt es die Kriegsparteien, da gibt es General Haftar
auf der einen und den Schura-Rat auf der anderen. Da gibt es Islamisten,
Ansar al-Scharia, verschiedene Krisenkomitees in der Stadt. Da muss man
sehen, mit wem man das macht.
Warum ist ein „humanitärer Waffenstillstand“ ausgerechnet in Bengasi so
wichtig?
Teile Bengasis liegen heute in Schutt und Asche. Es wird ständig gekämpft.
66 Prozent der Schulen sind nicht mehr operationell. Die Kinder haben ein
Schuljahr verloren. Die ausländischen Arbeiter sind weggegangen, die
Krankenhäuser sind zu oder haben das Nötigste nicht mehr zur Verfügung. Das
ist eine völlig desaströse Situation, und deswegen arbeiten wir an diesem
humanitären Waffenstillstand.
Es wird viel darüber geredet, wie sehr sich der „Islamische Staat“ in
Libyen ausbreitet. Es gab sogar schon Spekulationen, dass die IS-Führung
von Syrien und dem Irak nach Libyen umziehen könnte, wenn es dort
militärisch zu eng wird.
Wir verfolgen das genau. Zwischen Januar 2015 und Januar 2016 gab es
wirklich eine starke Ausbreitung. Auch im Sinne von Sinne von Staatlichkeit
am Golf von Syrte. Der IS versucht gerade, die Ölterminals von Ras Lanuf
einzunehmen, das wäre natürlich desaströs, wenn das wenige Öl, das Libyen
heute noch produziert, in die Hände des IS fällt. Wir sehen eine klare
Ausdehnung nach Osten. Es gibt aber auch in den letzten Wochen
Terroranschläge, die im Westen stattfinden. Aber ganz beunruhigend ist die
Ausdehnung Richtung Süden, das schreitet täglich voran. Das ist eine klare
Einflusszone, die sich jetzt in den Süden ausbreitet, natürlich mit dem
strategischen Ziel, mit Boko Haram und den Terrorgruppen im Tschad und in
Niger gemeinsame Sache zu machen; und das, finde ich, müssen die Libyer
verhindern.
Die Rede ist davon, dass das UN-Waffenembargo gegen Libyen aufgehoben
werden könnte, wenn eine Einheitsregierung im Amt ist. Gibt es nicht schon
viel zu viele Waffen in dem Land? Einerseits sollen die Waffen von den
Milizen eingesammelt werden, andererseits spricht man von der möglichen
Aufhebung des UN-Waffenembargos.
Im Prinzip ist das Land nicht arm an Waffen. Statistisch hat jeder Libyer 3
Waffen. Aber in dem Moment, in dem eine Regierung gebildet ist, ist es
deren erste Aufgabe, eine Sicherheitsstruktur zu finden, mit der der IS
bekämpft werden kann. Das müssen aber die Libyer selber machen, das muss
ein libyscher Kampf gegen den IS sein, und dazu braucht die neue libysche
Armee dann natürlich auch moderne Waffen. Ich habe Verständnis für die
Forderung nach Aufhebung des Waffenembargos, aber das muss von einer
Regierung beantragt werden, die wirklich legitim ist und nicht nur einen
Teil des Landes vertritt.
Es findet ja ein regelrechter Wettlauf statt, zwischen dem Versuch, eine
Einheitsregierung zu schaffen, und dem Aufmarsch des „Islamischen Staates“
...
Es ist wichtig, dass man den Kampf gegen den IS weitertreibt. Die ganzen
Streitereien, die die Libyer jetzt auch über die neue Regierung haben – der
IS hat diese Streitereien nicht. Da wird nicht über Kommas in Abkommen
gefeilscht, da wird einfach Land genommen, die werden die Ölfelder besetzt
und wird versucht die Ölterminals in Ras Lanuf und am Golf von Syrte zu
besetzen, um den Ölhandel in ihre Gewalt zu bringen. Die Fragmentierung der
politischen Landschaft in Libyen stößt hier auf eine militärische Einheit
des IS. Der politische Prozess muss einfach schneller werden und darf nicht
eingeholt werden vom militärischen Prozess.
Es gibt Befürchtungen, dass der Prozess der Einheitsregierung scheitern
könnte, wenn da zu sehr Druck gemacht wird. Es wird argumentiert, dass es
einfach Zeit braucht, etwas Solides und Dauerhaftes aufzustellen.
Es wird scheitern, wenn nichts passiert und der IS sich ungehindert in
einem politischen und militärischen Vakuum ausbreitet. Dann geht es
tatsächlich den Bach runter. Deswegen gibt es keine Alternative dazu, dass
sich die Libyer einigen, das können Ausländer nicht ersetzen. Das ist eine
libysche Aufgabe. Wir können sie unterstützen und wir können mit ihnen
reden, aber sie müssen selber den politischen Willen herstellen und den
Konsens, dass man den IS bekämpft, und da sehe ich gar nicht so schwarz.
Bei allen Meinungsverschiedenheiten – ich sehe einen Konsens, wenn es um
den Kampf gegen den IS geht. Das eint die Libyer, aber der politische
Prozess ist noch nicht so weit, dass sie dem Paroli bieten können.
Als Sie im Kongo als UN-Unterhändler gearbeitet haben, hatten Sie 20.000
Blauhelme unter sich. War es da einfacher Dinge durchzusetzen? Was haben
Sie im Kongo für Libyen gelernt?
Im Kongo gibt es auch staatsfreie Räume, wo die Regierung keine Macht hat
und Rebellen Gebiete kontrollieren. Der IS ist allerdings viel
organisierter und gefährlicher als diese Rebellenarmeen oder die vielen
Rebellengruppen, die es im Kongo gibt. Aber das Prinzip ist das gleiche:
Der Staat muss sein Gewaltmonopol wiederherstellen. Die Mechanismen sind
die gleichen. Aber in Libyen ist das sehr viel schwieriger. In Libyen ist
es keine Frage einer ausländischen Friedenstruppe, die hier kämpft. Das
wäre absurd, das würde keine Lösung bringen, sondern die Libyer müssen in
die Lage versetzt werden, diesen Kampf zu führen.
Manche Libyer werfen Ihnen vor, das Feld für eine Intervention
ausländischer Truppen vorzubereiten …
Wir sollten nicht den zweiten vor dem ersten Schritt tun. Es muss eine
Regierung her und die muss ihre eigene Kräfte und ihre Sicherheitsstruktur
und den Kampf gegen den IS selber organisieren. Wenn diese Regierung dann
später entscheidet, dass sie ausländische Hilfe braucht, warum nicht? Es
geht darum, den IS einzudämmen. Libyen ist ein paar Seemeilen von Malta
entfernt. Es gibt natürlich europäische Interessen, dass man den IS nicht
überschwappen lässt. Es gibt natürlich ein europäisches Interesse, dass
Libyen nicht das Syrien von morgen wird.
Sind Sie eher ein „Kopf-durch-die-Wand“-Typ?
Ich bin eigentlich ein Konsenstyp und weiß, dass man mit dem Kopf durch die
Wand nichts erreicht. Es ist eher meine Sache, sich mit den Menschen
zusammenzusetzen, auch mit jenen, die über das libysche Abkommen anderer
Meinung sind. Allerdings achten wir auf den Prozess. Und da bin ich
vielleicht etwas strikter, als andere sein mögen. Wenn eine Regierung
innerhalb von 30 Tagen gebildet werden muss, dann mache ich schon
öffentlich klar, dass 30 Tage 30 Tage sind und nicht 300 Tage. Da erhebe
ich schon meinen Zeigefinger und sage: Wenn ihr eine Verlängerung haben
wollt – bitte, das ist euer libysches Abkommen, aber bitte zählt in Stunden
und nicht in Tagen. Ich finde, dass man den Menschen vor allem mit Respekt
begegnen muss. Das ist wichtig, aber auch mit einem offenen Herzen. Man
muss die Basis verbreitern, vor allem bei den politischen Gegnern des
Abkommens. Wir setzen uns mit jedem zusammen, der auch das Abkommen
ablehnt, und ich habe immer gesagt nach der Unterzeichnung des Abkommens,
ich spreche nicht nur zu denen, die in Marokko bei der Unterzeichnung im
Dezember eine große Party gefeiert haben, sondern ich spreche zu denen, die
nicht bei der Unterzeichnung waren. Wir müssen die Basis des Abkommens
verbreitern und Stämme, Gemeinden, Städte und soziale Gruppen, Frauen- und
Jugendorganisationen dazu bringen, dass sie diesen Prozess unterstützen,
das klappt manchmal gut, manchmal nicht, da ist viel strategische Geduld
erforderlich. Ich bin aber auch der Meinung, dass strategische Geduld
manchmal ihre Grenzen haben sollte, und vielleicht kommt daher das
„Kopf-durch-die-Wand“-Image.
Ist dieser Job schwieriger als Ihre anderen UN-Jobs im Irak, in Afghanistan
und im Kongo?
Nein, das ist nicht schwieriger. Die UNO arbeitet typischerweise in einem
schwierigen Umfeld. Ich bin aber der Überzeugung, dass es kein Problem ohne
Lösung gibt, und dafür müssen wir arbeiten; wenn es letztlich dann nicht
klappt, dann haben wir wirklich alles versucht.
17 Feb 2016
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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