# taz.de -- SPD in Baden-Württemberg: Die Gefahr, zerquetscht zu werden | |
> Die SPD leidet unter Profilierungsproblemen, kaum jemand kennt den | |
> Spitzenkandidaten. Ihre Erfolge werden den Grünen gutgeschrieben. | |
Bild: Nett, aber unscheinbar: Nils Schmid mit dem baden-württembergischen Wapp… | |
STUTTGART taz | Es ist einer dieser bizarren Momente beim Wahlkampfauftakt | |
der Südwest-SPD im Januar in Stuttgart. Das Land stehe hervorragend da, ob | |
er als stellvertretender Regierungschef da nicht manchmal „high“ sei, fragt | |
die Moderatorin aufgekratzt den SPD Partei-Vorsitzenden. „High?“, fragt der | |
Abstinenzler Nils Schmid sichtlich irritiert zurück. „Eher nicht, was würde | |
da wohl alles passieren?“ | |
Die passende Gegenfrage wäre wohl gewesen: High? Wieso sollte er high sein? | |
Die SPD liegt in Umfragen derzeit bei 15 Prozent – nicht mehr weit vor der | |
AfD. Den Parteivorsitzenden Nils Schmid, immerhin Wirtschafts- und | |
Finanzminister, wollen gerade mal 6 Prozent als Ministerpräsidenten sehen. | |
Die meisten kennen ihn nicht einmal. Mit der Popularität der anderen | |
Kabinettsmitgliedern sieht es noch schlechter aus. | |
Und weil die Genossen so wenig Profil entwickelt haben, steht an diesem | |
Stuttgarter Stimmungsabend neben dem nüchternen Schmid ein Zweiter im | |
Mittelpunkt, der allerdings gar nicht zur Wahl steht. Der | |
Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück. Er wärmt die Herzen der Genossen mit | |
blechern-dröhnender Rhetorik und ruft ihnen ein paar sozialdemokratische | |
Grundüberzeugungen in Erinnerung, die man von den Regierungsmitgliedern in | |
Stuttgart lange nicht mehr gehört hat. | |
Das Aufstiegsversprechen, für das die SPD einmal stand, etwa. Die | |
Schulpolitik dürfe nicht nur Akademiker fördern, es fehle an Nachwuchs für | |
Lehrberufe. „Wir müssen aufpassen, dass man in Deutschland keinen Bachelor | |
fürs Taxifahren braucht“, sagt Hück. Wer eine Lehrstelle habe, ziehe | |
nämlich nicht in Terrorcamps. | |
## Kein Applaus für gute Arbeit | |
Der dröhnende Hück verdeckt aber nur notdürftig, dass die SPD im Land | |
zwischen rechten Populisten und dem allseits beliebten Landesvater | |
Kretschmann von den Wählern schlicht vergessen zu werden droht. Zwar hat | |
Kultusminister Andreas Stoch mit ruhiger Hand die umstrittene Schulreform | |
umgesetzt. Und Innenminister Reinhold Gall hat eine nicht minder | |
umstrittene Polizeireform, die beste Noten von der Wissenschaft erhält, auf | |
den Weg gebracht. | |
Gutes Regierungshandwerk. Doch all diese Erfolge in der Koalition werden | |
offenbar ausschließlich dem grünen Regierungschef gutgeschrieben. Wofür die | |
SPD steht, das weiß keiner so genau. | |
Mitgliederversammlung im Bürgerzentrum Neckarstadt West in Mannheim. Man | |
plant konzentriert den Wahlkampf. Wer klebt Plakate? Die guten Plätze sind | |
bald weg. Gibt es einen Bratwurst- oder Heringsstand, wenn der Frank-Walter | |
im Februar auf dem Marktplatz redet? Solche Sachen. | |
Mannheim als Arbeiterstadt sei eine „Insel der Seligen“ sagt ein Genosse. | |
Hier ist die SPD noch verwurzelt, auch im Bürgertum. Über 30 Prozent | |
erreichte sie in der Stadt bei der letzten Landtagswahl, Hier haben sie mit | |
Stefan Fulst-Blei den einzig verbliebenen Landtagsabgeordneten der SPD, der | |
seinen Wahlkreis direkt gewonnen hat. Im Gemeinderat stellt sie die | |
stärkste Fraktion, auch der OB ist rot. | |
## Wähler mobilisieren - eine vage Hoffnung | |
Im Stadtbezirk kämpfen sie deshalb vor allem gegen die sinkende | |
Wahlbeteiligung. Bei der Bürgermeisterwahl waren es im Brennpunktbezirk | |
Neckarstadt-West gerade noch 14 Prozent. Deshalb wollen die Genossen die | |
Wähler nun mit Hausbesuchen mobilisieren. | |
Eine höhere Wahlbeteiligung nutzt den Genossen, so die vage Hoffnung. Aber | |
wer weiß schon, wie viele die Wahl zum Protest nutzen werden? Deshalb | |
diskutieren die Genossen an diesem Abend, wie man der AfD und ihren | |
Anhängern am besten begegnet. Am Wahlkampfstand können sie sich nicht | |
wegducken, anders als ihr Vorsitzender Nils Schmid, der mit der AfD nicht | |
öffentlich diskutieren will. | |
Nicht der einzige Winkelzug in Stuttgart, der den Genossen vor Ort | |
abgehoben vorkommt. Schmid bekennt sich öffentlich zu Grün-Rot. Aber | |
mancher Landtagsabgeordnete sehnt sich nach dem Koalitionswechsel. Da könne | |
die SPD besser ihr Profil entfalten, hört man immer wieder in der Fraktion. | |
Und vieles spricht dafür, dass sich die Parteistrategen alle | |
Koalitionsoptionen offenhalten möchten. Claus Schmiedel etwa, der | |
Fraktionschef der SPD mit dem rustikalen Auftreten, kocht zwar gern mal | |
öffentlich mit seiner Grünen-Kollegin Edith Sitzmann. Vor ein paar Wochen | |
hat er aber auch demonstrativ eine Pressekonferenz mit Kretschmanns | |
Gegenkandidat Guido Wolf gegeben. Die Partei pfiff ihn zwar zurück, aber | |
das Signal bleibt: Wir können mit jedem. | |
## Immer schon schwächlich | |
Opposition oder Juniorpartner, offenbar ist das das Schicksal der | |
Südwest-SPD. Bei Landtagswahlen kam sie nie über 37,6 Prozent hinaus. Nur | |
als die Republikaner im Parlament waren, hat sie vier Jahre mit der CDU in | |
einer Großen Koalition regiert. | |
Und nur der jungen Ute Vogt hätte man fast einmal zugetraut, Erwin Teufel | |
zu schlagen. Immerhin verzeichnete sie bei ihrer ersten Kandidatur als | |
Spitzenkandidatin mit 33,2 Prozent einen Achtungserfolg. Das waren die | |
Schröder-Jahre, damals kam auch noch Rückenwind aus Berlin. | |
Schließlich waren es dann aber die Grünen und Kretschmann, die dank des | |
unbeliebten CDU-Kandidaten Stephan Mappus, Fukushima und Stuttgart 21 die | |
CDU aus der Regierung gefegt haben. Das haben manche Genossen den Grünen | |
nicht verziehen. | |
## Eher das Problem, als die Lösung | |
Wahlparteitag in Reutlingen, sieben Wochen vor der Wahl. Dort wird einer | |
geehrt, den sie mal wegen schlechter Wahlergebnisse von der Fraktionsspitze | |
verjagt haben, damals 32,5 Prozent. Erhard Eppler erhält an diesem | |
Nachmittag die Ehrennadel der SPD für 60 Jahre Parteizugehörigkeit. | |
Er ist jetzt bald 90 Jahre alt, holt aber zur mitreißendsten Rede des Tages | |
aus. Eppler fordert die Partei auf, ihre Regierungsleistung in der | |
Koalition nicht unter Wert zu verkaufen. Dafür wird er bejubelt. Als er | |
dann aber sagt: „Wer statt Kretschmann Wolf will, ist selbst dran schuld“, | |
regt sich keine Hand. | |
Das Parteitagspräsidium verabschiedet den Ehrengast mit dem Verspreche, es | |
werde nach dem 13. März keine Regierung ohne die SPD geben. Das ist | |
ungefähr das Gegenteil dessen, was Eppler seiner Partei gerade empfohlen | |
hat. Und wohl auch eher das Problem der SPD als die Lösung. | |
13 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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