# taz.de -- Flüchtlingskosten und Staatsfinanzen: „Schwarze Null darf kein D… | |
> Was kostet die Integration von Flüchtlingen und wer zahlt dafür? Die | |
> Berliner SPD-Finanzexpertin Cansel Kiziltepe will die Schuldenbremse | |
> aussetzen. | |
Bild: „Viel größer sind die Probleme bei den Gemeinden“: Flüchtlingseinr… | |
taz: Die Grünen haben den zusätzlichen Finanzbedarf wegen der Flüchtlinge | |
auf 20 Milliarden Euro bis 2020 veranschlagt. Sie wollen ohne Steuern und | |
neue Schulden auskommen. Halten Sie das für realistisch? | |
Cansel Kiziltepe: Nicht wirklich. Der Deutsche Städtetag schätzt die Kosten | |
in diesem Jahr nur für Länder und Kommunen auf 7 bis 16 Milliarden Euro. | |
Ich vermute aber, dass es mehr wird, da sich die Erkenntnis durchsetzt, | |
dass höhere Investitionen in Integration, Bildung, Wohnungsbau und | |
Sicherheit unumgänglich sind. | |
Finanzminister Wolfgang Schäuble setzt darauf, auch in diesem Jahr ohne | |
Neuverschuldung auszukommen. | |
Die „Schwarze Null“ könnte 2016 letztmalig gelingen, da er 2015 gut 5 | |
Milliarden Euro in eine Rücklage verschoben hat. Sinnvoll ist diese Politik | |
dennoch nicht, da die Schuldenbremse dem Bund ein Defizit von 10 Milliarden | |
erlaubt. Dieses Geld sollte besser in die marode Infrastruktur investiert | |
werden. Auch die Länder sollten aktuell bestehende Spielräume nutzen. Viel | |
größer sind die Probleme bei den Gemeinden. Den Ländern wurden | |
Finanzzusagen über 670 Euro pro Flüchtling im Monat gemacht, aber das | |
reicht nicht einmal für die Registrierung, Erstversorgung und Unterbringung | |
aus. Und offen ist, ob alle Länder das Geld weiterreichen. | |
Warum können die Kommunen das Geld nicht aus den laufenden Einnahmen | |
zahlen? | |
Bereits jetzt ist es so, dass viele Kommunen besonders in NRW hohe | |
Kassenkredite haben ... | |
... das sind Dispokredite ... | |
... weil sie nicht mehr in der Lage sind, die laufenden Ausgaben aus den | |
Einnahmen zu bestreiten. Viele Länder haben in den vergangenen Jahren | |
kommunale Zuschüsse und Zuweisungen massiv reduziert. Es kann von einem | |
regelrechten Schuldenexport in die Kommunen gesprochen werden. Viele Länder | |
stehen unter enormen Konsolidierungsdruck, da die Schuldenbremse ab 2020 | |
gilt. | |
Was tun? Linke Sozialdemokraten fordern dann gerne die Vermögensteuer. | |
Ich wäre schon froh, wenn wir eine verfassungskonforme Reform der | |
Erbschaftsteuer hinbekämen, so dass auch große Betriebsvermögen endlich | |
besteuert werden. Die Länder bekämen so zusätzlich 5 Milliarden Euro in die | |
Kassen. Mit der Union ist das aber nicht zu machen. Wenn die Länder | |
zukünftig vor der Wahl stehen, die Schuldenbremse einzuhalten oder den | |
Kommunen Geld für Integration zu geben, dann sollten sie letzteres tun. Die | |
nächste Generation wird es ihnen danken. | |
Ist es verfassungskonform, die Schuldenbremse zu umgehen? | |
Es gibt im Grundgesetz die Regelung, dass die Länder in Notsituationen – | |
wenn sie diese nicht beeinflussen können – von der Schuldenbremse abweichen | |
dürfen. Es muss dann ein Tilgungsplan erstellt werden. Die aktuelle | |
Flüchtlingskrise ist eine solche Notsituation. | |
Die Schuldenbremse ist eine Heilige Kuh der SPD. Wen haben Sie in Ihrer | |
Partei als Verbündeten? | |
Das ist zugegebenermaßen schwierig. Als die Schuldenbremse beschlossen | |
wurde, war ich noch nicht im Bundestag. Aber nun ist sie beschlossen, und | |
das Argument, wir dürfen die folgenden Generationen nicht belasten, kommt | |
in der Öffentlichkeit meist gut an. Es hat aber Folgen, wenn wir nicht in | |
die Zukunft, also in Bildung und Infrastruktur und die Integration der | |
Menschen investieren können. Das verursacht in der Zukunft noch mehr | |
Kosten. Deshalb ist für mich die „Schwarze Null“ kein Selbstzweck und darf | |
kein Dogma sein. | |
Die Bundesregierung will die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Brauchen wir | |
dann noch mehr Geld? | |
Noch haben wir keine Einigung auf europäischer Ebene. Es ist kurz vor dem | |
Frühjahr, die Wanderungsbewegungen werden wieder zunehmen, weil die Kälte | |
nachlässt. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Kosten steigen werden. | |
Muss auch das Land Berlin die Schuldenbremse umgehen? | |
Berlin plant für 2016 und 2017 ohne Neuverschuldung. Aktuell dürfte Berlin | |
nach der Konsolidierungsvereinbarung, die mit dem Bund geschlossen wurde, | |
sogar neue Schulden in Höhe von 800 Millionen Euro machen. Ob die | |
Schuldenbremse aber nach 2020 eingehalten werden kann, wird sich zeigen. | |
Das hängt von der weiteren Migration, der Steuerpolitik auf Bundesebene und | |
auch von der Konjunktur ab. Wichtig ist, dass nicht an der Integration und | |
auch nicht am sozialen Zusammenhalt gespart wird. | |
4 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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