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# taz.de -- taz-Serie Fluchtpunkt: Die Vorgeschichte 1: „Die Angst nicht mehr…
> Die Mottawehs verließen Damaskus 2013. Immer unterwegs zu sein – die
> kleine Tochter kennt es nicht anders.
Bild: Alltag in Damaskus: Bomben, Krieg, Zerstörung
Es ist der 21. Juli 2012, als Salwa Kamels Mutter stirbt. Seit etwas mehr
als einem Jahr führt Machthaber Baschar al-Assad in Syrien Krieg gegen sein
eigenes Volk. Es ist Zuckerfest, Fastenbrechen für die Muslime. Mehr als
drei Jahre später sitzt Salwa Kamel im Erstaufnahmeheim der
Arbeiterwohlfahrt in der Rhinstraße in Marzahn und weint lautlos, als sie
sich an ihr letztes Fastenbrechen in Damaskus erinnert. Alma, ihre
dreijährige Tochter, kümmert das nicht: Sie hat sich das Familientablet
geschnappt und es geschafft, die kostbare Beute gegen ihre drei großen
Brüder zu verteidigen. Omar, der Sechsjährige, schiebt sich indes leise
zwischen Mutter und Vater Mahmoud Mottaweh. Er will hören, was die
Erwachsenen da reden.
Salwa Kamel: „Es war am 20. Juli, zum Zuckerfest. Bayram, sagen wir auf
Arabisch. Die ganze Familie hatte sich in unserem Haus zusammengefunden.
Wir wohnten in einem Vorort von Damaskus. Der erste Tag des Fastenbrechens
ist immer ein fröhlicher Tag. Die Kinder sind aufgekratzt von den vielen
Süßigkeiten. Auch wir Erwachsenen haben Scherze gemacht, trotz der
Bombardierungen, die es auch an diesem Tag wieder gab. Unser Viertel war
bisher einigermaßen gut davongekommen. Einmal traf eine Bombe die Schule
von Mohamad Loui, dem ältesten meiner Kinder. Aber zum Glück war gerade
kein Unterricht.“
Mahmoud Mottaweh: „An diesem 20. Juli flog dann plötzlich unsere
Wohnzimmertür auf, eine Razzia. Assads Soldaten haben meinen Cousin
mitgenommen. Ohne Grund, einfach so. Meine Frau hatte unsere kleine Tochter
auf dem Arm, sie war gerade zwei Wochen alt.“
Salwa Kamel: „Zwölf Tage war Alma auf der Welt. Für meine Mutter war das
alles zu viel, sie hatte einen Herzinfarkt. Sie hat noch einen Tag gelebt,
dann ist sie gestorben. An dem Tag wusste ich, dass wir gehen müssen.“
Mahmoud Mottaweh: „Wir sind dann aber doch noch ein halbes Jahr geblieben.
Das hier auf dem Foto ist mein Cousin, eine Bombe hat ihn getötet. Er stand
auf einem Platz in Damaskus, den die Regierungstruppen bombardierten. Ich
habe ihn und andere Verwundete in meinem Auto noch in ein Krankenhaus
gefahren. Aber er ist gestorben.“
Salwa Kamel: „Mein Mann kam nach Hause, überall an seiner Kleidung war
Blut. Ich habe das nicht mehr ausgehalten, diese ständige Unsicherheit, die
Angst um die Familie. Vor allem die Razzien waren schlimm. Am 5. Februar
2013 sind wir gegangen.“
Mahmoud Mottaweh: „Wir sind zuerst in den Libanon geflohen. Es gibt in
Syrien Fahrer, die dich mit ihren Autos direkt nach Beirut bringen – wenn
du genügend Geld für die Checkpoints unterwegs hast. In Beirut habe ich
dann in einer Konservenfabrik gearbeitet, ich bin Elektrotechniker. Arbeit
zu finden, war kein Problem.“
Er holt eine Dose Delicious Chickpea Soup – Kichererbsensuppe – aus einem
metallenen Spind an der Wand. Schmeckt die gut? Mahmoud zuckt die
Schultern, er lacht: Na ja.
Mahmoud Mottaweh: „Im Libanon wollten wir nicht lange bleiben, da war es
auch nicht sicher, wegen der Hisbollah-Milizen. Wir haben gewartet, bis ich
das Geld für das Flugticket nach Kairo zusammenhatte. In Ägypten hat uns
dann ein Freund aus Damaskus Geld geliehen, 1.000 Dollar, für die Schleuser
nach Libyen. Wir sind dann mit 20 Leuten in einer Art Minibus durch die
Wüste gefahren worden, 600 Kilometer bis nach Bengasi.
Ich habe mich mit dem Fahrer gestritten. Er hat mich gefragt, warum ich
nicht in Syrien gegen Assad kämpfe. Ich habe ihm gesagt, ich mache bloß das
Gleiche wie du hier in Libyen. Ich warte, bis die Nato kommt und alles für
mich regelt. Da ist er auf mich losgegangen. Etwas mehr als ein Jahr habe
ich dann in Bengasi gearbeitet, um wieder Geld für die nächste Etappe zu
haben.
Dann wurde der Bürgerkrieg in Libyen wieder heftiger, der „Islamische
Staat“ hat sich eingemischt. Sie haben die Flughäfen geschlossen, und wir
bekamen Angst, dass wir dort mit den Kindern in der Wüste festsitzen
könnten. Also mussten wir über das Mittelmeer, nach Italien. 6.000 Euro
haben wir an die Schleuser bezahlt. Wir hatten Glück, wir hatten immerhin
einen Kapitän auf unserem Boot, einen Ägypter. Es war ein kleines Boot, 17
Meter lang, sechs Meter breit. 24 Stunden sind wir gefahren, dann hat uns
der Kapitän gesagt, wir funken jetzt die italienische Küstenwache an,
dass sie uns abholen.
Wir haben unsere GPS-Koordinaten durchgegeben, wir hatten ja Smartphones.
Wir waren dann drei Tage auf dem Marineboot, wir sind eine große Runde
übers Meer gefahren und haben noch andere Flüchtlinge aufgesammelt.“
Salwa Kamel: „Als wir in Brindisi an Land gehen durften, ging es mir nicht
gut. Mein Blutdruck war hoch, ich hatte starke Kopfschmerzen.“
Mahmoud Mottaweh: „Die Polizei hat meine Frau in ein Krankenhaus gebracht,
deshalb wurden wir registriert. Dabei wollten wir auf keinen Fall in
Italien unseren Fingerabdruck abgeben. Dort gibt es keine Hilfe für
Flüchtlinge. Wir wissen, dass uns die deutschen Behörden sagen können, dass
wir unseren Asylantrag nun in Italien stellen müssen, weil wir dort zuerst
registriert wurden. Das macht mir jeden Tag Angst.
Wir sind dann weitergefahren, nach Dänemark. Dort haben wir Bekannte, die
hatten uns viel Gutes von Skandinavien erzählt. Wir sind also mit dem Zug
über Paris und Hamburg weiter nach Kopenhagen.“
Salwa Kamel: „Für die Kinder war das verrückt, dieses ständige
Unterwegssein. Der Große hat es irgendwann auch gehasst. Alma dagegen
kannte es eigentlich gar nicht anders, sie war ja erst sechs Monate alt,
als wir aus Damaskus fortgegangen sind.
In Kopenhagen war es furchtbar. Wir wollten einen Asylantrag stellen, aber
nichts ging voran. Das Essen war schlecht, die Versorgung mit Ärzten auch.
Ich war da schon wieder schwanger. Das Kind kommt im Januar, ein Mädchen.
Einer der dänischen Helfer hat mir gesagt, ich würde das Kind doch nur
bekommen, damit ich dableiben darf. Wir wollten aber gar nicht mehr in
Dänemark bleiben.“
Mahmoud Mottaweh: „Wir sind mit dem Zug zurück nach Deutschland, nach
Halberstadt gefahren. Da waren inzwischen auch Leute aus Damaskus, die wir
kannten. Die Behörden haben uns weiter nach Berlin geschickt. Am 2. Juli
2015 sind wir am Hauptbahnhof in Berlin angekommen. Wir standen den ganzen
Tag lang vor dem Lageso in der Turmstraße und wollten uns registrieren
lassen. Abends kam dann ein Mann und hat uns einfach Zettel mit Hostelnamen
drauf in die Hand gedrückt, Notunterkünfte. Wir sind durch die Stadt
geirrt, bis uns ein Ägypter geholfen hat. Irgendwie hatten wir gedacht, in
Deutschland sei alles – organisierter.“
4 Jan 2015
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Syrische Flüchtlinge
Familie Mottaweh
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