# taz.de -- taz-Serie Fluchtpunkt: Die Vorgeschichte 2: „Wir wollen es besser… | |
> Der Asylantrag von Familie Jovanović aus Serbien wurde schon zweimal | |
> abgelehnt. Sie reisten schnell genug zurück, um keine Einreisesperre zu | |
> bekommen. | |
Bild: Ein langer Weg: Flüchtlinge an der Grenze zwischen Serbien und Montenegr… | |
Maria Jovanović* sitzt in der zugigen Cafeteria der | |
Otto-Hahn-Sekundarschule im Neuköllner Süden und schaut ungeduldig in den | |
trüben Herbstmorgen. Die 14-Jährige will lieber zurück in den Unterricht, | |
als Fragen zu beantworten – in ihre alte Klasse, in der sie bis zur | |
Ablehnung ihres Asylantrags im Frühjahr 2015 Schülerin war. „Komm einfach | |
vorbei, wenn du wieder da bist“, hatte ihre Lehrerin damals gesagt. Das hat | |
Maria an diesem Morgen dann getan – auch ohne offiziellen Schulplatz. Denn | |
Maria wohnt nun wieder in Berlin. Es ist der dritte Versuch ihrer Familie, | |
hier Asyl zu bekommen. Maria schaut auf die Uhr: „Zehn Minuten. Dann muss | |
ich aber wirklich zu Chemie.“ Eine Hofpause gibt sie der Vergangenheit. | |
„Als ich klein war, ging es uns eigentlich ganz gut. Da haben meine | |
Urgroßeltern noch gelebt, also die Großeltern meiner Mutter. Sie hatten ein | |
Haus in Leskovac, das ist eine kleine Stadt im Süden von Serbien, da haben | |
wir alle zusammen gewohnt: mein Bruder, meine Mutter, mein Vater, meine | |
Urgroßeltern und ich. Das war schön, wir waren eine Familie. | |
Meine Großeltern sind schon lange tot. Als dann auch meine Urgroßeltern vor | |
ein paar Jahren gestorben sind, haben wir noch eine Weile in ihrem Haus | |
gewohnt. Aber wir hatten kein Geld für Reparaturen, das Haus verfiel immer | |
mehr. Meine Mutter hat nie gearbeitet, sie ist auch nicht lange zur Schule | |
gegangen. Mein Vater hat als Hilfsarbeiter ein bisschen was verdient. | |
Sozialhilfe haben wir auch bekommen – manchmal jedenfalls, manchmal aber | |
auch nicht. Das hing von der Laune der Sachbearbeiter ab. | |
Wir sollten es mal besser machen, hat meine Mutter zu meinem Bruder und mir | |
immer gesagt. Aber wie soll das denn bitte gehen, wenn wir in Serbien | |
bleiben? In der Schule dort interessieren sich die Lehrer nicht für uns | |
Romaleute. Es ist ihnen egal, ob wir was lernen oder nicht. Irgendwie haben | |
sie recht, eine richtige Arbeit gibt es ja ohnehin nicht für uns. | |
Anfang 2011 konnten wir dann nicht länger in dem Haus meiner Urgroßeltern | |
wohnen. Es ist einfach immer mehr über uns zusammengefallen. Mein Vater hat | |
gesagt: ‚Wir gehen jetzt nach Deutschland, hier gibt es nichts für uns.‘ | |
Also haben wir uns am Busbahnhof in Leskovac eine Fahrkarte gekauft und | |
sind nach Berlin gefahren. Mein Vater hatte ein bisschen Geld gespart. | |
In Berlin haben wir sofort einen Asylantrag gestellt. Nach ungefähr zwei | |
Jahren wurde der aber abgelehnt. Im Winter 2013 sind wir mit dem Bus wieder | |
zurück nach Leskovac. Es ist wichtig, dass du gehst, bevor sie dich | |
abschieben. Wegen der Einreisesperre, die man sonst bekommt. | |
Die Rückfahrt war schlimm, jeder Kilometer davon hat mir wehgetan. Ich | |
wollte nicht wieder weg. Ich hatte hier Freunde gefunden, in der Schule und | |
in dem Heim am Schöneberger Ufer, da haben wir gewohnt. Meinem Bruder ging | |
es genauso. | |
Wir mussten dann drei Monate in Serbien bleiben, bis wir wieder nach | |
Deutschland konnten. Wir haben bei Verwandten geschlafen. Im Frühjahr 2014 | |
waren wir schließlich wieder in Berlin. Dann ging alles von vorne los: | |
Unser Asylantrag wurde erneut abgelehnt. Am 6. Mai 2014 sind wir gegangen, | |
das Datum habe ich im Kopf behalten. | |
In Serbien hat meine Mutter dann versucht, sich umzubringen. Aber sie hat | |
es nicht richtig gemacht, sie hat sich übergeben, die Tabletten kamen | |
wieder raus. Ihr ist einfach alles zu viel geworden, glaube ich. Sie hat | |
sich Sorgen um mich gemacht, weil sich zu Hause in Leskovac ein Typ an mich | |
rangemacht hat. Er hat mich bedroht und gesagt, er bringe mich um, wenn ich | |
ihn nicht heirate. Da hatte ich Angst. | |
Mein Vater konnte mich nicht beschützen, der ist nämlich abgehauen. Er hat | |
jetzt eine neue Frau. Sie hat ein Haus, glaube ich. | |
Wir brauchen keinen Mann, meine Mutter und ich – na ja, außer meinen | |
Bruder. Wir konnten in Serbien bei Freunden schlafen und essen. Das | |
Sozialamt hat uns noch weniger gezahlt, als mein Vater nicht mehr da war. | |
Dann haben wir gar nichts mehr bekommen. Den Bus nach Berlin konnten wir | |
uns nicht mehr leisten. Ein Bekannter in Leskovac hat einen Transporter, in | |
dem hat er uns direkt bis nach Berlin gefahren. Er macht so etwas öfter, | |
viele Leute wollen mit ihm fahren. Er macht gute Preise. Das Geld haben wir | |
auch ohne meinen Vater zusammenbekommen. | |
Aber die Fahrt war furchtbar. Ewig lang sind wir gefahren, durch Serbien | |
und dann durch Ungarn und durch Österreich, so genau weiß ich es nicht. | |
Jetzt sind wir wieder in Berlin. Wir wohnen dieses Mal bei Freunden aus | |
Leskovac, nicht im Heim. Dieses Mal wollen wir es besser machen mit dem | |
Asylantrag, eine Anwältin soll uns dabei helfen. Ich kann nicht noch mal | |
zurück. Ich habe Angst vor dem Mann, der mich heiraten will. Der ist | |
verrückt, aber er meint das ernst, glaube ich. Und ich habe Angst davor, | |
was meine Mutter in Serbien mit sich machen würde.“ | |
*Name geändert | |
4 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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