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# taz.de -- taz-Serie Fluchtpunkt Berlin: „Die Aussicht bleibt schwierig“
> Die Chancen auf Asyl für Serben wie die Jovanovićs stehen schlecht. Das
> einfach zu akzeptieren, sei aber grundfalsch, sagt Anwältin Berenice
> Böhlo.
Bild: Düstere Aussichten für Flüchtlinge aus Serbien, hier am Lageso.
taz: Frau Böhlo, rund 27.000 serbische Flüchtlinge sind laut Asylstatistik
des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 2015 nach Deutschland
gekommen. Als Flüchtling anerkannt wurden vier. Wer sind diese 0,1 Prozent,
die trotz „sicherem Herkunftsland“ Asyl bekommen?
Berenice Böhlo: Das sind Einzelfälle – etwa im Fall von Homosexualität.
Darüber hinaus kann unter bestimmten Umständen ein Abschiebeverbot erlassen
werden, wenn ein schwerer Krankheitsfall vorliegt. Ich hatte aber auch
schon mal den Fall, dass eine Familie hier über die Härtefallkommission des
Innensenats einen Aufenthalt bekommen hat, weil die Kinder in der Schule
sehr gut integriert waren. Das ist aber ein vom Asylverfahren unabhängiger
Weg, der nur in wenigen Einzelfällen Erfolg hat.
In dem Asylantrag der Familie Jovanović* , die Sie als Anwältin vertreten,
argumentieren Sie mit drohenden Menschenrechtsverletzungen aufgrund einer
„kumulativen Verfolgung“. Was bedeutet das?
Damit ist das Zusammenwirken mehrerer Faktoren gemeint, die insgesamt die
Intensität einer Menschenrechtsverletzung erreichen. Dazu gehört auch die
Verletzung sozialer Menschenrechte: zum Beispiel, wenn der Zugang zum
Gesundheits- oder Bildungswesen verweigert wird. Soziale Teilhabe wird so
unmöglich gemacht. Hinzu kommt, insbesondere auch im Fall der Roma in
Serbien, ein Totalausfall der staatlichen Schutzmechanismen.
Etwa, wie Sie auch im Antrag der Familie Jovanović begründen, dass
insbesondere Roma-Frauen oft abhängig sind vom Wohlwollen des
Sachbearbeiters, ob ihnen regelmäßig Sozialhilfe ausgezahlt wird?
Zum Beispiel, ja. Und auch, dass sich viele Frauenhäuser in Serbien
weigern, Roma-Frauen aufzunehmen, die Opfer von häuslicher oder sexueller
Gewalt wurden – wie das ja auch bei Maria und ihrer Mutter der Fall gewesen
ist. Ich argumentiere, dass sich diese vielfältigen Diskriminierungen dann
so verdichten, dass man von einer Verletzung der Menschenrechte sprechen
kann, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention definiert sind.
Die Familien, auch die Familie Jovanović, sind in ihrer Heimat einer
systematischen Verelendung und Diskriminierung ohne staatlichen Schutz
ausgesetzt.
Die problematische Lage für die Roma auf dem Balkan ist bekannt. Auch für
die Gerichte dürften die Statistiken über Gewalt gegen Frauen, die Sie im
Antrag anführen, nicht neu sein. Die Frage ist doch, wie weisen Sie den
Einzelfall nach?
Das ist immer das Problem in allen Asylverfahren: Wie beweist man das? Die
wenigsten haben schriftliche Unterlagen, auch Maria und ihre Familie haben
nichts. Sie haben, wie die meisten anderen auch, ausschließlich den
mündlichen Vortrag. Aber zu erreichen, dass überhaupt erst mal der
Einzelfall geprüft wird – das ist auch bei Familie Jovanović das Ziel.
Aber sagt das Gericht dann nicht einfach: Na ja, gut und schön, aber
Vergewaltigung ist ein Tatbestand im serbischen Strafrecht, Roma bekommen
nach geltender Rechtslage zumindest auf dem Papier Sozialhilfe – da weisen
Sie mir doch erst mal im Einzelfall das Gegenteil nach?
Die Beweislast geht in der Praxis einseitig zulasten der Antragsteller. Die
Hürden sind zu hoch, was dazu führt, dass in vielen Fällen eine
unerfüllbare Nachweispflicht entsteht. Das kann ich als Anwältin aber nicht
akzeptieren. Ich kann ja nicht vom restriktivsten Gerichtsurteil ausgehen
und dann fortan die Hände in den Schoß legen. Dass die meisten
Verwaltungsgerichte im Falle der Roma Menschenrechtsverletzungen verneinen,
ist ja nicht in Stein gemeißelt. Und es gibt bereits einzelne Urteile von
Verwaltungsgerichten, die Mut machen.
Maria selbst erzählt in dem Asylantragsschreiben von einem sexuellen
Übergriff durch einen „Jungen“. Sie hätten auch nur unregelmäßig
Sozialhilfe bekommen, sagt die Familie. Wie ließe sich das denn stichfester
nachweisen als nur mit dem mündlichen Vortrag?
Es hilft zum Beispiel, wenn man konkret das Sozialamt benennen kann. Oder
dokumentiert: Dann und dann wurde mir dort kein Geld ausgezahlt.
Nun hat die Koalition gerade das Asylpaket II beschlossen. Antragsteller
aus „sicheren Herkunftsländern“ sollen in Zukunft binnen Wochenfrist
abgeschoben werden können. Gründe, die bisher eine Ablehnung verhindert
haben – etwa eine schwere Krankheit – sollen nur noch in Ausnahmefällen
gelten.
Die Aussicht für die Familie bleibt schwierig, das ist so. Nun könnten das
Bundesamt für Flüchtlinge oder auch ein Verwaltungsgericht durch einen
unabhängigen Gutachter die Bedingungen vor Ort genau aufklären lassen. Das
passiert aber nicht. Stattdessen wird standardmäßig auf die geltende
serbische Rechtslage verwiesen: Jeder serbische Staatsbürger hat das Recht
auf Sozialhilfe und so weiter. Dann komme ich und sage: Aber das ist nicht
die Realität. Und dann müsste sich ein Gericht darauf einlassen wollen, das
ernsthaft zu verhandeln. Aber das passiert eben nur in ganz wenigen Fällen.
Das heißt aber nicht, dass die Anträge dieser Menschen nicht berechtigt
sind.
* Alle Namen der Familie sind geändert
10 Feb 2016
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Serbien
Rechtsstreit
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