# taz.de -- taz-Serie Fluchtpunkt Berlin: Ein Pudding für den Weg | |
> Die Zahl der Abschiebungen steigt. An Bord der Flugzeuge sind auch | |
> Flüchtlinge, die keinen Ablehnungsbescheid haben. So ging es beinahe | |
> Familie Jovanovic. | |
Bild: Sie sollen nicht wiederkommen: Abschiebung von Flüchtlingen auf dem Flug… | |
Die Pressemitteilung des Innensenators von Anfang Mai ist nüchtern | |
gehalten. „Berlin arbeitet sehr konsequent daran, die Abschiebezahlen | |
weiter zu erhöhen“, lässt sich Frank Henkel zitieren. Die drei häufigsten | |
„Zielstaaten“ in diesem Jahr bisher: Serbien mit 187 Abschiebungen, | |
dahinter Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo. | |
Rund zweimal im Monat startet laut der zuständigen Bundespolizeidirektion | |
von Schönefeld eine Maschine in Richtung Westbalkan. Die Zahl der freien | |
Sitzplätze werde eher weniger, sagt ein Sprecher. Der Sonderflug, der am | |
Dienstagnachmittag von Schönefeld nach Belgrad geht, hat 97 Menschen an | |
Bord. | |
Zahlen, Flugnummern, Routine: Doch die Freude des Innensenators sind des | |
anderen Leid. Machen wir diese Pressemitteilung also etwas persönlicher. | |
Dienstagmorgen, halb sieben, ein Flüchtlingsheim in Hohenschönhausen. Mitra | |
Jovanović * aus Leskovac, Serbien, steht in der Küche und macht Frühstück | |
für sich und die beiden Kinder, Maria, 15, und ihren Bruder Jagos, 12. Um | |
acht Uhr fängt die Schule an. Als der Mann von der Bundespolizei an der | |
Wohnungstür klopft, hinter ihm fünf weitere BeamtInnen im Flur, rennt Mitra | |
Jovanović aufs Klo und übergibt sich. | |
Seit knapp sechs Monaten hat die Familie eine vorläufige Duldung als | |
Asylbewerber – das heißt, sie können jederzeit abgeschoben werden, falls | |
die Ausländerbehörde ihren Fall negativ entscheidet. Das hatte sie am | |
Dienstag getan. Am Nachmittag gehe ihr Flug nach Belgrad, sagen die | |
PolizistInnen. | |
Draußen vor dem Heim stehen drei Polizeiwagen und bringen die Jovanović und | |
etwa 30 andere Familien nach Schönefeld. Dort gibt es die Handys zurück und | |
eine Papiertüte, darin: ein Apfel, ein Pudding, ein Sandwich, Wasser. Zwei | |
Flugstunden sind es nach Belgrad, ein Katzensprung zwischen zwei Welten. | |
Der Flug startet planmäßig. | |
Mittwochmorgen vor einem Backcafé in Pankow. Dass Mitra Jovanović und Maria | |
noch hier sitzen, verdanken sie einem Formfehler – offenbar nimmt man bei | |
der konzentrierten Abschiebearbeit einige Sachen nicht mehr so genau. Die | |
Anwältin, die sich die Jovanović vor einiger Zeit über einen | |
Rechtshilfefonds genommen haben, legt also per Eilantrag Beschwerde beim | |
Verwaltungsgericht ein. Denn ein Ablehnungsbescheid für die Familie liege | |
ihr nicht vor. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schickt ihr | |
daraufhin das Dokument per Mail, das sei aber keine ordentliche Zustellung, | |
findet die Anwältin. Das Verwaltungsgericht sieht das auch so. Die | |
Jovanović machen sich auf den Weg zurück in die Stadt. | |
Ein Formfehler. Die Chancen der Familie, hier Asyl zu bekommen, sind | |
dadurch nicht gestiegen. Nahezu hundert Prozent der Asylanträge aus den | |
Westbalkanstaaten werden abgelehnt, wie die Asylstatistik des Bundesamts | |
Monat für Monat zeigt. Seitdem das Asylpaket II der Bundesregierung in | |
Kraft ist, gibt es für Asylbewerber vom Balkan noch weniger | |
Härtefallgründe, die sie geltend machen können. | |
Am Donnerstag hat die Familie einen Termin bei der Ausländerbehörde. Dort | |
werden sie neue Papiere bekommen. Sie könnten jetzt einfach verschwinden, | |
untertauchen. „Nein“, sagt Maria. „Wir wollen es ordentlich machen.“ Sie | |
hoffen auf die Härtefallkommission des Innensenats, an den sich die | |
Anwältin wenden will. | |
Vom Asylpaket II haben die Jovanović nie gehört. Die geringen Aussichten, | |
hierbleiben zu können, sind ihnen die eigentlich klar? „Wir müssen Hoffnung | |
haben“, sagt Maria. Würden sie zurückkommen, wenn die 30 Monate, die sie im | |
Fall einer Abschiebung in Serbien bleiben müssten, vorbei sind? „Aber | |
natürlich.“ | |
*Namen der Familie geändert | |
12 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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