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# taz.de -- Scheinselbstständigkeit im Journalismus: Plötzlich angestellt
> Die „Süddeutsche Zeitung“ und deren Onlineredaktion stellen ihre
> Pauschalisten jetzt fest an. Andere Verlagshäuser dürften nachziehen.
Bild: Ein Hund liegt auf einer Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.
Das Gerücht hing schon länger über den Fluren des gläsernen Hochhauses im
Münchner Osten. Dann, am 10. Dezember 2015, kam die Mail vom Betriebsrat:
„Liebe Kollegen und Kolleginnen, Chefredaktion und Ressortleiter haben Sie
darüber informiert, dass es zu Einstellungen von freien
Mitarbeitern/Pauschalisten kommen wird.“
Was nüchtern klingt, ist ein Paukenschlag für die Süddeutsche Zeitung und
deren Onlineredaktion. Seit Jahren beschäftigt das Medienhaus freie
Mitarbeiter als sogenannte Pauschalisten. Nach taz-Recherchen sind allein
50 Prozent der Onlineredakteure so beschäftigt. Das Problem: Viele arbeiten
wie Festangestellte, stehen in Dienstplänen, haben einen eigenen
Arbeitsplatz und keine weiteren Auftraggeber außer der SZ.
Festangestellte Mitarbeiter, für die der Verlag ganz regulär
Sozialversicherungsbeiträge abführt, Redakteure genannt, sind sie trotzdem
nicht. Stattdessen springt die Künstlersozialkasse ein – und damit auch der
Steuerzahler. Die taz hatte im Juli vergangenen Jahres umfangreich über das
Geschäft mit den Pauschalisten in deutschen Verlagen [1][berichtet]. Die SZ
ist nun die Erste, die dabei ist, ihre Pauschalisten großzügig anzustellen.
Dafür wurde ein Ampelsystem ausgearbeitet, dass die Mitarbeiter je nach
Dringlichkeit der Einstellung klassifiziert: Rot sind alle, die vier oder
fünf Tage pro Woche in der Redaktion sind, die so schnell wie möglich
angestellt werden sollen. Das betrifft vor allem Mitarbeiter der
Onlineausgabe. Dort sollen alle, die bisher in Schichten gearbeitet haben,
als Redakteure angestellt werden.
Andere, die künftig mehr schreiben sollen, erhalten Autorenverträge, die
der ursprünglichen Idee von Pauschalen am nächsten kommen. Autoren sollen
gegen eine Pauschale eine bestimmte Zahl an Texten schreiben. Langfristig
soll für sie der Bürozwang aufgehoben werden. In persönlichen Gesprächen
soll Chefredakteur Stefan Plöchinger den Kollegen zugesichert haben, dass
ihr Bruttoverdienst auch nach der Festanstellung gleich bleiben wird, dass
sie Urlaubsanspruch haben und auch in Fällen der Schwangerschaft oder
Krankheit geschützt sind.
## Verträge auch für Printredakteure
Auch die Printkollegen haben aus der Chefredaktion eine solche Zusicherung
bekommen. Dort soll es über einen Zeitraum von zwei Jahren mehrere
Anstellungswellen geben, die ersten wurden bereits rückwirkend zum 1.
Dezember angestellt. Sie erhalten Verträge, die sie maximal im vierten
Berufsjahr einstufen, ihnen mehr Berufserfahrung aber extra vergelten. Dazu
kommen Zuschläge für das Presseversorgungswerk und alle anderen
Tarifleistungen, die normale SZ-Redakteure auch erhalten.
Von wem die Initiative ausgeht, ob vom Verlag oder von der Südwestdeutschen
Medienholding, die 81,25 Prozent am Verlag hält, lässt sich nicht
überprüfen. Gegenüber der taz äußerte die SZ lediglich, dass in der
täglichen Produktion, etwa am Newsdesk, mehr Personal benötigt werde, „um
alle Verbreitungswege optimal bedienen zu können“ (digitale Angebote), und
die Personalstruktur dementsprechend angepasst werde.
## Reaktion auf Entwurf?
Auffällig ist aber, dass zurzeit mehrere Verlagshäuser, darunter auch
Gruner + Jahr und die Funke-Gruppe, daran arbeiten, ihre Pauschalisten fest
anzustellen. Hintergrund könnte ein Referentenentwurf für ein neues Gesetz
gegen den Missbrauch von Werkverträgen sein, den SPD-Arbeitsministerin
Andrea Nahles im vergangenen November vorgelegt hat. Der Entwurf definiert
enge Kriterien, ab wann jemand scheinselbstständig ist. Bisher war diese
Definition wesentlich schwammiger.
Nicht nur die Verlagsbranche, auch die Verbände der Gründer und
Selbstständigen und die Start-up-Branche ist durch den Entwurf
aufgeschreckt. Dennoch: Bisher ist es ein Entwurf.
Unter den Pauschalisten in der SZ und bei sueddeutsche.de jedenfalls
herrscht Freude über die Einstellungswelle. Die, die bereits Verträge
erhalten haben, seien damit sehr zufrieden, so ein Mitarbeiter der SZ
gegenüber der taz, der nicht genannt werden will. Aber manchmal frage er
sich, wo der Haken sei: „Wenn es plötzlich so einfach und fair geht, wieso
ging es all die Jahre davor nicht?“
21 Jan 2016
## LINKS
[1] /Problem-Scheinselbstaendigkeit/!5210276/
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Scheinselbstständigkeit
Festanstellung
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