# taz.de -- Arbeitsbedingungen bei der Zeit: Online ist streikbereit | |
> Die Redakteure von „Zeit Online“ fordern höhere Löhne und stoßen auf | |
> heftigen Widerstand. Ihr Kampf könnte die Branche verändern. | |
Bild: „Jobs“ im Zentrum? Sieht auch die „Zeit Online“-Redaktion derzeit… | |
BERLIN taz | Am 20. Februar feiert die Zeit ihren 70. Geburtstag und lädt | |
Hamburgerinnen und Hamburger zur „[1][Langen Nacht der Zeit]“ ein. Es gibt | |
Lesungen, Interviews, Zeit-Chefredakteur Giovanni die Lorenzo spricht | |
öffentlich mit dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz. Es soll ein | |
Wohlfühlabend werden. Das Hamburger Verlagshaus gibt sich nach außen offen, | |
nah an den Leserinnen und Lesern, linksliberal – und erfolgreich. An ihrem | |
70. Geburtstag geht es dem Blatt so gut wie kaum einem anderen | |
überregionalen in Deutschland. | |
Nach innen sieht das anders aus. Dort kämpfen die Onlineredakteure seit | |
Monaten für bessere Bezahlung. Sie wollen so viel verdienen wie ihre | |
Kollegen beim Blatt: „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“. Bisher verdienen | |
die Onlineredakteure laut Betriebsrat im Schnitt rund 10.000 Euro im Jahr | |
weniger als ihre Printkollegen. Doch die Verlagsspitze sperrt sich, das zu | |
ändern. | |
Dass Onlinejournalisten schlechter bezahlt werden als ihre Printkollegen, | |
ist in vielen Verlagen an der Tagesordnung. Lange Zeit haben die Onliner | |
das hingenommen, auch weil es historisch so gewachsen war. | |
Einige Verlage haben ihre Onlineredaktionen ausgegliedert, als sie | |
entstanden sind. Hinter Zeit Online stehen die Zeit Online GmbH und die | |
Zeit Digital GmbH, beide hundertprozentige Töchter der Holtzbrinck Gruppe, | |
zu der auch die Zeit gehört. Anders als der Zeit Verlag ist Zeit Online | |
nicht tarifgebunden. So kommt es, dass von den rund 120 Zeit | |
Online-Mitarbeitern rund die Hälfte unter Tarif verdient, schätzt ein | |
Vertreter von Verdi. Und selbst die, die Tariflohn bekämen, seien weit | |
entfernt von den Printgehältern. | |
## Gleiche Arbeit, ungleicher Lohn | |
Diese Ungleichheit wird bald noch offensichtlicher werden: Die Berliner | |
Zeit Online-Redaktion will in zwei Jahren mit der Print-Hauptstadtredaktion | |
in ein gemeinsames Gebäude ziehen. Bisher sind deren Büros getrennt, auch | |
wenn die Redaktionen immer mehr zusammenwachsen. Zeit Online-Redakteure | |
schreiben zunehmend für das Blatt und anders herum. | |
Darauf ist Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser stolz. Auf einer | |
Betriebsversammlung Anfang Dezember in Hamburg sprach er über die „große | |
Schnittmenge“ von Print und Online. Zwischen beiden Redaktionen dürfe es | |
keine Qualitätsunterschiede geben, zitieren ihn Leute, die dabei waren. In | |
Zukunft sollen Print- und Onlineredakteure in Berlin also Tür an Tür | |
sitzen. Sie würden die gleiche Arbeit machen, mit dem gleichen | |
Qualitätsanspruch, aber ungleich bezahlt werden. | |
In andern Häusern, vor allen in denen, in denen Print und Online nicht | |
unter einem Dach sitzen, ist das längst die Regel. Deswegen geht der | |
Tarifstreit von Zeit Online über die Berliner Redaktion hinaus. Erkämpft | |
sich die Redaktion höhere Gehälter, könnte das auf die gesamte | |
Onlinebranche ausstrahlen. Die Gewerkschaften und Betriebsräte anderer | |
Redaktionen beobachten interessiert, was sich beim Hamburger Verlagshaus | |
und seinem Berliner Onlineableger tut. Denn einen Flächentarifvertrag für | |
ausgelagerte Onlineredakteure, wie im Falle Zeit Online, gibt es bisher | |
nicht. Ein Erfolg der Zeit Online-Redaktion könnte den Druck erhöhen. | |
## Drei Jahre verhandelt | |
Drei Jahre lang hat der Betriebsrat von Zeit Online versucht, | |
Gehaltsverbesserungen zu erstreiten. Als das scheiterte, zog er die | |
Gewerkschaften hinzu. Die führen nun in dritter Runde Verhandlungen mit der | |
Verlagsgeschäftsführung und stoßen dabei auf großen Widerstand. | |
Gegenüber der taz sagte eine Sprecherin der Zeit Digital GmbH, dass das | |
digitale Geschäftsmodell der Zeit ein anderes sei und mit Print nicht | |
vergleichbar. Zeit Online sei noch nicht profitabel und könne daher, um | |
wettbewerbsfähig zu bleiben, keine entsprechenden Verträge ausgeben. Man | |
zahle aber „marktüblich“. | |
Dieses Argument bekommt die Belegschaft auch zu hören und es macht sie | |
wütend. Jahr für Jahr bekämen sie die Erfolgsmeldungen des Mutterhauses | |
mitgeteilt, sagt ein Mitglied des Betriebsrats. Auf ihren Gehaltszetteln | |
käme davon aber nichts an. | |
Tatsächlich ist Zeit Online in den letzten Jahren stark gewachsen: [2][um | |
zwölf Prozent allein im Jahr 2014]. Vor einem knappen Jahr feierte sich | |
Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser im Branchenmagazin Horizont dafür, dass | |
Zeit Online den „Break-Even“ geschafft habe und keine Verluste mehr | |
schreibe. Der gesamte Zeit Verlag steigerte seinen Umsatz im gleichen Jahr | |
[3][um acht Prozent auf 180 Millionen Euro]. Auf einer Betriebsversammlung | |
im Dezember in Hamburg sagte Esser noch, die Erlöse von Zeit und Zeit | |
Online könnten nur noch gemeinsam betrachtet werden. Jetzt argumentiert er: | |
Zeit Online sei nicht profitabel. | |
## Ein Partyknaller | |
Deshalb werde es in der Berliner Onlineredaktion keine Hamburger Tarife | |
geben, sagte er auf der Betriebsversammlung und schmetterte der Belegschaft | |
entgegen, ihre Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ sei tumber | |
Populismus wie „Arbeit nur für Deutsche“. Diesen Spruch hatten die Zeit | |
Online Redakteure später ausgedruckt und an einen Silvesterknaller gebunden | |
auf ihrem Schreibtisch: Esser, der Partyknaller. | |
Vor wenigen Tagen hat die Geschäftsführung den Zeit Online-Redakteuren nun | |
einen zweiten Entwurf für neue Verträge vorgelegt. Laut Verdi bleibt der | |
Entwurf [4][weit hinter dem zurück], was sie ursprünglich gefordert haben: | |
Kein Urlaubsgeld, kein volles 13. Monatsgehalt, der Bruttoverdienst soll | |
dem der Printler nicht nahekommen und Bildredakteure würden massiv | |
schlechtergestellt. | |
Der Frust der Onliner wächst. Mittlerweile sind drei Viertel der | |
Belegschaft in die Gewerkschaft eingetreten. Sie seien streikbereit, sagt | |
ein Mitglied des Betriebsrates. Am Donnerstagmittag setzte die | |
Onlinebelegschaft ein [5][erstes öffentliches Protestzeichen]. Ihre | |
Mittagspause verbrachten alle Mitarbeiter gemeinsam vor dem | |
Redaktionsgebäude in Berlin-Kreuzberg, mit Tischkicker, Musik und | |
geschmierten Brötchen. Zeit Online blieb für diese Zeit bis auf eine | |
Redakteurin unbesetzt. Das könnte bald wieder passieren. | |
12 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://leserservice.zeit.de/70-jahre-die-zeit/index.php?veranstaltungen | |
[2] http://www.horizont.net/medien/nachrichten/Gute-Zeit-Bilanz-2014-Zeit-Chef-… | |
[3] http://www.zeit-verlagsgruppe.de/presse/2015/03/zeit-verlagsgruppe-waechst-… | |
[4] https://dju-berlinbb.verdi.de/ | |
[5] https://twitter.com/ZON_402 | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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