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# taz.de -- Nachruf Komponist Pierre Boulez: Ein Poet der strengen Konstruktion
> Er war ein gern gescholtener Pionier der Nachkriegsmoderne: Der
> französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez ist tot.
Bild: Der französische Dirigent, hier bei einem Konzert 2006 in Luzern, wurde …
Er wollte einst alle Opernhäuser in die Luft sprengen. Allerdings ohne
Menschen zu verletzen und streng genommen wohl auch ohne Sachschäden zu
verursachen. Lediglich die Institutionen sollten fort. Auch ansonsten war
der französische Komponist Pierre Boulez in jungen Jahren selten um große
Worte verlegen.
Es war die Frühphase der Nachkriegsmoderne, es galt, einen
Zivilisationsbruch auch ästhetisch zu bewältigen, einen besseren Entwurf
von Welt in der Kunst zu ermöglichen. Das Bild von detonierenden
Kulturinstitutionen mag da gleichwohl etwas schräg in der Landschaft
gestanden haben.
Pierre Boulez gehörte nach 1945 mit Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen zu
den drei Hauptvertretern der Avantgarde. Beim Erkunden anderer
Ausdrucksmöglichkeiten blieb das Trio dabei zunächst einem ganz klassischen
Organisationsprinzip der Musik verhaftet: der mathematischen Konstruktion.
Im Anschluss an die Zwölftonmethode des Komponisten Arnold Schönberg, vor
allem aber inspiriert von Schönbergs Schüler Anton Webern, radikalisierten
sie das Komponieren nach dem Reihenverfahren. Wo bei Schönberg lediglich
die Töne der Tonleiter nach festgelegten Regeln aufeinanderfolgen sollten,
weiteten die seriellen Komponisten diesen Ansatz auf andere musikalische
Parameter wie Lautstärke, Tondauer oder Rhythmus aus.
## Um Transparenz bemüht, aber trotzdem romantisch
Der 1925 in Montbrison geborene Boulez stand dabei stark unter dem Einfluss
seines Lehrers Olivier Messiaen, dessen Klavierstück „Mode de valeurs et
d’intensités“ von 1949 als die erste streng serielle Komposition gilt.
Boulez sollte seinen Lehrer und seine Mitstreiter allerdings bald an
Konsequenz übertreffen. Kritiker sahen in ihm daher oft einen
Baukastentonsetzer, der mangelnde Inspiration durch kompositionsgebende
Verfahren überspielen wollte. So bemerkte der Pianist Glenn Gould über
Boulez einst hämisch, Letzterer habe sich als Dirigent mehr bewährt als
durch seine Kompositionen.
Tatsächlich hat Boulez zusätzlich zu seinem Schaffen als Komponist – oder
als Gründer des Pariser Institute de Recherche et de Coordination
Acoustique-Musique (Ircam), einem der führenden Institute für
elektroakustische Musik – eine bemerkenswerte Karriere als Dirigent
absolviert, in der er sich als herausragender, um Transparenz bemühter
Interpret zeitgenössischer Musik, aber ebenso der romantischen Tradition
bewährt hat.
Nachdem sich die Wogen um die Avantgarde-Debatten gelegt hatten, wurde der
Komponist Boulez wieder unter weniger ideologischen Vorbehalten gehört. Und
Werke wie „Le marteau sans maître“ (1952–1955) zu Gedichten des
Surrealisten René Char offenbaren bei aller Regelhaftigkeit eine
streng-filigrane Poesie. Am Dienstag ist Boulez im Alter von 90 Jahren in
Baden-Baden gestorben.
6 Jan 2016
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Nachruf
Dirigent
Komponist
Klassische Musik
Musik
Reggae
Faust
Adorno
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