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# taz.de -- Maschinen geben Sprachunterricht: Roboter mit Lehrauftrag
> Roboter könnten bald Sprachunterricht geben. Ob sie auch zu emotionalen
> Bindungen fähig sind, wird an der Universität Bielefeld erforscht.
Bild: Das Modell „Nao“ könnte bald im Sprachunterricht eingesetzt werden.
Er wäre eine Erleichterung für überfüllte Deutschlernklassen an Schulen und
Volkshochschulen: ein menschenähnlicher Roboter, der geflüchteten Kindern
und Erwachsenen Deutsch beibringt. Und er soll bald im Einsatz sein.
Zumindest, wenn es nach den Plänen der Forscher*innen des L2TOR-Projekts
geht, das im Januar seine Arbeit aufgenommen hat.
L2TOR – spanisch ausgesprochen „el tutor“ – will in den nächsten ander…
Jahren herausfinden, wie Kinder Sprachen lernen. Und ob es eine Lernhilfe
in kinderfreundlicher Roboterverpackung bald auch an deutschen Schulen oder
Kitas geben könnte.
Das Forschungsprojekt ist eine Exzellenzinitiative der Europäischen
Kommission zur kognitiven Interaktionstechnologie. Neben der technischen
Fakultät der Universität Bielefeld sind auch Lehrstühle an Universitäten in
England, Holland und in der Türkei am Projekt beteiligt.
Am Ende des Forschungszeitraums soll ein Roboter stehen, der mehr kann als
eine Lernsoftware. Er soll Objekte und Ereignisse wahrnehmen, die verbale
und nonverbale Kommunikation des Kindes verstehen und auf dessen Impulse
reagieren können. Ein Roboter, der die richtigen Worte zur richtigen Zeit
sagt, der einfühlsam wirkt.
## Augenmerk auf nonverbaler Kommunikation
Die Forscher*innen von L2TOR halten so einen empathischen Roboter nach
heutigem Stand der Technik für möglich. Um ihn zu entwickeln, wollen sie im
ersten Forschungsjahr zuerst die Mensch-zu-Mensch-Interaktion beim Erlernen
einer Fremdsprache beobachten.
„Wie läuft Sprachen lernen ab, wie verhalten sich die Kinder? Das wollen
wir herausfinden“, sagt Forscherin Kirsten Bergmann von der Universität
Bielefeld. „Ein besonderes Augenmerk soll auch auf der nonverbalen
Kommunikation der Kinder liegen.“
Bei der Forschung soll „Nao“ helfen. Der Roboter der französischen Firma
Aldebaran ist 58 Zentimeter groß und vom Körperbau dem Menschen
nachempfunden. 7.000 Exemplare des Roboters sind in 70 Ländern im Einsatz.
In Japan werden er und andere Roboter bereits im großen Stil eingesetzt, um
Schüler*innen zu motivieren und eine Abwechslung zum eintönigen
Frontalunterricht zu liefern. Roboter halten Referate, stellen
Matheaufgaben und führen den Schüler*innen Sportübungen vor. Nao kostet
rund 7.000 Euro.
## „Süße und spaßige Erscheinung“
Neben Schulen soll Nao nach Angaben des Herstellers vor allem auch an
speziellen Bildungseinrichtungen, beispielsweise für Autisten, sinnvoll
sein. „Er wird benutzt, um die Aufmerksamkeit der Schüler zu erregen, und
soll dem Lehrer helfen, damit die Kinder Spaß beim Lernen haben“, sagt
Aldebaran-Pressesprecherin Aurore Chiquot.
Derzeit assistiert Nao überwiegend beim Erlernen von Fremdsprachen. „Nao
kann hundert Mal den gleichen Satz wiederholen, ohne die Tonalität zu
ändern und ohne zu werten“, sagt Chiquot. Die Lernerfahrung, glaubt sie,
sei auf diese Weise weniger frustrierend für die Kinder und Jugendlichen.
Obendrein sei der Roboter eine „süße und spaßige Erscheinung, die jeder
schätzt“.
Nao soll künftig aber mehr können als Vokabeln pauken. Die
L2TOR-Forscher*innen wollen dem Roboter beibringen, individuell auf die
Schüler*innen einzugehen. Wenn die Mensch-zu-Mensch-Beobachtungsphase
abgeschlossen ist, wird der Roboter programmiert. Er soll dann fähig sein,
Mimik und Gestik zu imitieren. Bei der Vokabel „Ball“ könnte er zum
Beispiel eine werfende Geste zeigen.
Zunächst wollen sich die Forscher*innen im Projekt nur bestimmte
Sprachenpaarungen ansehen. Es soll auf die einzelnen Schwierigkeiten beim
Erlernen der jeweiligen Sprache geachtet werden. „Die Ergebnisse aus den
Sprachenpaaren sind dann hoffentlich auch auf andere Sprachen anwendbar“,
sagt Bergmann.
## Einsatzort: Kita
Je nach eigener Muttersprache werden die Kinder Englisch, Niederländisch
oder Deutsch als „L2“ lernen, also als zweite gesprochene Sprache. Deutsche
Muttersprachler*innen werden zum Beispiel beim Englischlernen beobachtet,
türkische hingegen im Umgang mit der deutschen Sprache.
In Deutschland könnte Nao vor allem in Kitas eingesetzt werden. Die
Erzieher*innen würden dann im Umgang mit dem Roboter geschult, damit 4- bis
5-Jährige spielerisch erste Kenntnisse in anderen Sprachen lernen können,
so Bergmann.
Ein didaktisches Konzept ersetzen könne der Roboter hingegen nicht, sagt
Henrik Saalbach, Professor für Psychologie des Lernens und Lehrens, der
Entwicklung und Erziehung in sozialen Kontexten an der Universität Leipzig.
„Unterricht ist keine Routineaufgabe, die einfach automatisiert werden
kann.“ Im Gegensatz zu Aufgaben in der industriellen Produktion sei
Unterrichten eine komplexe Aufgabe, bei denen sich die Lehrer*innen auf
ständig verändernde Situationen einstellen müssten. Nur Lehrerinnen und
Lehrer hätten diese „adaptive Expertise“ so Saalbach.
## Für sozial Benachteiligte ungeeignet
Ähnlich zurückhaltend zeigt sich auch die Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft (GEW). Im Oktober 2015 schrieb sie in einer Broschüre, dass
digitale Hilfsmittel im Unterricht immer einen konkreten Zweck haben müssen
und nicht nur dem Selbstzweck dienen sollten.
Digitale Hilfsmittel helfen vor allem sozial besser gestellten Kindern beim
Lernen, wie die Pisa-Studie der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im vergangenen Jahr nachwies. Ein
Mittel zur Integration von sozial Benachteiligten sind sie demnach nicht.
„Wichtig für benachteiligte Kinder und Jugendliche ist vor allem der
direkte Dialog mit Menschen“, sagt Ilka Hoffmann, Leiterin des
Organisationsbereichs Schule des GEW. Nur Menschen könnten auf Stimmungen
reagieren und Beziehungen aufbauen.
Computern und Robotern fehle diese Beziehungsebene. „Ich denke deshalb
nicht, dass digitale Lernhilfen dazu geeignet sind, traumatisierten
geflüchteten Kindern etwas beizubringen“, sagt Hoffmann. „Sie brauchen vor
allem die menschliche Zuwendung.“
Ob es jemals klappt, eine Beziehungsebene zwischen Roboter und Kind
aufzubauen, ist fraglich. Vielleicht schaffen es die Forscher*innen des
L2TOR-Projekts, das Einfühlungsvermögen des Roboters zumindest zu
simulieren. Bis er tatsächlich bei der Integration helfen könnte, müssen
sozial benachteiligte Kinder wie bisher betreut und gefördert werden: von
Menschen.
14 Jan 2016
## AUTOREN
Belinda Grasnick
## TAGS
Roboter
Deutsche Sprache
Kita
Schule
Exzellenzinitiative
Schwerpunkt Angela Merkel
Arbeit
künstliche Intelligenz
Bildung
Datenschutz
Grundschule
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