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# taz.de -- Umbruch in Schulen: Der schwierige Start der digitalen Tafel
> Interaktive Whiteboards sind in Schulen der letzte Schrei. Doch gute
> Einführungen und Lehrmaterial sind rar. Die Technik überfordert viele
> ältere Lehrer.
Bild: Tafel, Overhead-Projektor und Filmraum in einem: interaktives Whiteboard …
BERLIN taz | Das soll sie also sein, die Schulklasse von morgen. In der
Klasse 4c der Berliner Grundschule an der Bäke im Ortsteil Lichterfelde
steht die Kreidetafel ausgemustert am Rand. Der Mittelpunkt des Unterrichts
ist woanders. Vorne, wo früher die Tafel stand, steht ein interaktives
Whiteboard.
Es sieht aus wie ein großer flacher Computermonitor und ist etwas kleiner
als eine herkömmliche Tafel. Ein Beamer wirft von oben das Bild auf die
weiße Oberfläche. Auf ihr kann man mit Fingern und speziellen Stiften
schreiben, im Internet surfen, Bilder und Videos zeigen, Musik und
Hörbücher abspielen und eben alles machen, was ein Computer heutzutage so
kann. Das interaktive Whiteboard ist Tafel, Overhead-Projektor, Film- und
Informatikraum, Stereoanlage und digitale Bibliothek in einem.
Die Kinder lieben die E-Tafel. Sie motiviert sie. Sie kommen lieber nach
vorne, um etwas daran zu schreiben. Selbst Forscher zeigen sich angetan,
weil das Gerät veränderten Schülerinteressen Rechnung trägt: "Lehrer haben
es mit einer Computerspiel-Generation zu tun", sagt der Mainzer
Medienpädagogik-Professor Stefan Aufenanger. "Deshalb sollen sie mit der
Techniknutzung von Schülern mithalten."
Damit tun sich allerdings einige Lehrer schwer. Während jüngere Pädagogen
Whiteboards meist begeistert in ihren Unterricht einbauen, sind viele
ältere technisch überfordert und skeptisch. Die Boards polarisieren im
Kollegium. Kritiker der Digitaltafeln warnen vor einer frontalen
Multimedia-Show, zu hohen Kosten, Technikfetischismus, zu starker
Strahlenbelastung und zu viel Aufwand bei der Stundenvorbereitung. Dass
Whiteboards Zeit sparen, sei "eine freche Lüge", schreibt ein Pauker auf
einer Webseite für Unterrichtsvorbereitung. Das ist der Tonfall der
Diskussion.
Doch die Lawine, die ins Rollen gekommen ist, werden sie wohl nicht
aufhalten können. Interaktive Whiteboards sind in der deutschen
Pädagogik-Szene der letzte Schrei, wie sich auf der größten deutschen
Bildungsmesse Didacta im Februar in Hannover zeigte. "Das Thema war in
aller Munde", sagt Didacta-Leiterin Katariina Rohrbach. Alle politischen
Delegationen hätten an den Ständen in Halle 15 Halt gemacht. Ganze
Großstädte und Landkreise hätten Interesse bekundet oder Verhandlungen für
Verträge aufgenommen, sagt eine Mitarbeiterin eines Whiteboard-Herstellers:
"Es war der Wahnsinn."
Nur drei bis vier Prozent der rund 40.000 allgemeinbildenden deutschen
Schulen sind bislang mit Whiteboards ausgerüstet, schätzt Michael Hövel,
Geschäftsführer des Anbieters Promethean. Das möchte er natürlich schnell
ändern. Rund 20.000 Geräte würden in diesem Jahr bundesweit dazu kommen,
sagt er. 2000 bis 3000 Euro kostet ein neues Board. In Großbritannien ist
die Mehrzahl der Schulen bereits mit Computertafeln ausgerüstet - ebenso
wie viele neuere deutsche Privatschulen. Doch eigentlich beginnt das
bildungspolitische Experiment hier erst.
Die Möglichkeiten des Mediums sind zweifellos immens, insbesondere in
visuellen Fächern wie Geographie, Mathematik und Kunst. Lehrer können das
Tafelbild der vorigen Stunde wieder aufrufen und fortsetzen. In Kunst
können sie Werke zeigen und verändern, in Mathe den Satz des Pythagoras
verbildlichen. Beim Thema Werbung können Schüler Spots drehen und angucken.
Kranken Schülern kann das Tafelbild per E-Mail nach Hause geschickt werden.
Immer wieder schwärmen Lehrer von der Option, mit einer anderen Klasse im
Ausland per Konferenz verbunden zu sein. Tatsächlich ausprobiert hat das
aber noch keiner. "Wir sind noch weit davon entfernt, die Geräte ihren
Möglichkeiten entsprechend zu nutzen", sagt Jens Haase, der Leiter der
Bäke-Grundschule.
Wer in sein Büro geht, muss an einer Urkunde vorbei, auf der ihm der
Berliner Senat zur ersten staatlichen "kreidefreien Schule" der Stadt
gratuliert. Seit Haase im November Kreidetafeln verbannt und in jeden Raum
ein Whiteboard gestellt hat, ist seine Schule bundesweit bekannt. "Für mich
war klar: Es kann keine Mischlösung geben", sagt er. Den Lehrern die Wahl
zwischen Kreidetafel und Whiteboard zu lassen, hätte ihnen ermöglicht,
"sich vor den neuen Geräten zu drücken". Er habe eine "Frontenbildung im
Kollegium" vermeiden wollen. Doch auch diese radikale Einführung sorgte für
Unmut. Einige Ältere ignorieren die Möglichkeiten des Whiteboards einfach –
und nutzen sie wie eine traditionelle Tafel. "Die Älteren kommen mit der
Technik einfach nicht zurecht", sagt ein Mitglied des Kollegiums. Der
Hintergrund ist simpel: In der Jobwelt gehören Computer zwar seit Jahren
zum Alltag. Lehrer über Mitte 40 haben Maus und Monitor hingegen oft noch
nie benutzt. Sechs von zehn deutschen Paukern sind über 45.
Die Lehrerin Jessica Döhler ist 34. Sie steht in der 4c der Bäke-Schule,
Thema in Sachkunde ist Energie. Sie schreibt auf das Whiteboard zunächst
wie auf eine traditionelle Tafel: "Energie ist nötig, um…" Ihre Schüler
sollen den Satz vervollständigen. Ein Mädchen kommt ans Board, klettert auf
einen Stuhl und schreibt "… Licht zu erzeugen". Wenig später geht es um
Uran. Ein Kind hält ein Referat. Die Lehrerin wirft Bilder an die Wand, die
der Junge zu Hause aus dem Internet geladen und ihr auf einem USB-Stick
gegeben hat. Das Symbol für Radioaktivität strahlt ins Klassenzimmer, die
Schüler betrachten erst ein Atomkraftwerk-Foto, dann eine Videoanimation
einer Kernspaltung. Die Stunde endet mit einem Spiel. Die Kinder sollen auf
dem Board Lampen mit ihrer Hand in das passende Zimmer ziehen. Die
Pädagogin hat das Spiel beim Googeln durch Zufall auf der Webseite eines
Energieverbandes gefunden.
Das ist eines der Probleme der E-Tafeln: Unterrichtsmaterial ist rar. Es
gibt erst wenige Webplattformen zum Austausch. Schulmedien-Anbieter
entdecken die Bedeutung des Marktes für Material erst. Mitarbeiter des
Schulbuchverlags Cornelsen sitzen deshalb gerade im Klassenzimmer der 4c.
Die Eindrücke sollen ihnen helfen, weiteres Material für Digitaltafeln zu
entwickeln.
Es gibt weitere Hindernisse: Bislang können noch nicht mehrere Kinder
gleichzeitig am Board schreiben. Kommt ein Kind aus Versehen an die
Oberfläche, verschwindet manchmal das Bild. Erstklässler können sich beim
Schreiben eine falsche Haltung angewöhnen, weil das Gerät auch auf die
Handunterfläche reagiert. Hinzu kommen alltägliche Computer-Pannen. Mal
fällt das Schulnetz aus. Mal geht plötzlich nichts mehr – bis jemand merkt,
dass das Klassenbuch auf der PC-Tastatur liegt.
Die größte Herausforderung ist jedoch der didaktische Einsatz. Besonders
ein Argument hat Whiteboards in Verruf gebracht: "Grundsätzlich sind sie
sehr stark auf Frontalunterricht ausgerichtet", sagt Wissenschaftler
Aufenanger. Dennoch befürwortet er ihre Verwendung. Entscheidend sei die
Lernkultur. Die Geräte könnten auch zur Präsentation von Gruppenarbeit
genutzt werden. Die Realität sieht mitunter anders aus: Mancher Lehrer
räumt ein, eine ganze Schulstunde mit der Klasse planlos durchs Web gesurft
oder Karaoke gesungen zu haben. Oft fehlt ein Konzept.
Die Produzenten bieten Schulungen an, doch diese sind von unterschiedlicher
Qualität. Teilweise beschäftigen sie sich nur mit der Technik. Die
methodischen Möglichkeiten müssen viele Lehrer alleine herausfinden. Berlin
bietet ihnen etwa keine Fortbildungen an, wie Nikolai Neufert,
Senatsreferent für IT in Schulen bestätigt. Er verweist auf die
Einführungen der Vertriebsfirmen. Das Vertrauen des Senats in diese ist
offenbar groß. Denn Neufert räumt ein, Whiteboards führten zu "Nachteilen"
für den Unterricht, "wenn eine klare methodisch-didaktische Konzeption
fehlt". Bei entsprechender Nachfrage durch Lehrer werde der Senat
allerdings "unverzüglich" Fortbildungen in die Wege leiten. Schulleiter
Haase hatte ein paar Tage zuvor im Gespräch mit der taz gesagt: "Ich würde
mir mehr Schulungen wünschen." Das Problem dürfte dem Senat nicht neu sein.
Pädagogin Stefanie Eule stellte bereits vor fünf Jahren bei der Evaluation
eines Whiteboard-Pilotprojektes an zwölf Berliner Schulen fest, dass
Lehrkräfte häufig schlecht oder gar nicht geschult werden. Heute leitet sie
die Abteilung Training des Herstellers Promethean.
Hamburg ist da schon weiter als Berlin. Das Landesinstitut für
Lehrerbildung bietet neben Einführungen auch Whiteboard-Seminare an. In
fünf Sitzungen à drei Stunden werden Unterrichtsentwicklung und
individualisiertes Lernen behandelt. "Unsere Fortbildung ist etwas anderes
als die von Smart", sagt Michael Weißer, Medienpädagoge des Instituts, mit
Hinblick auf einen der Hersteller. "Uns geht es nicht um Technik, sondern
um eine sinnvolle Einbindung des Whiteboards in den Unterricht - aber auch
nur dann, wenn dieser es erfordert." Zudem fördert die Stadt den Austausch
von Lehrmaterial mit einem [1][Whiteboard-Forum] auf der Plattform
www.hamburg.schulcommsy.de.
Das Vorgehen fußt auf einer Untersuchung von 2006. Das Landesinstitut
evaluierte, wie sich jeweils zwei bis sechs Boards in 39 Schulen auf den
Unterricht auswirkten. 85 Prozent der Lehrer und Schüler bewerteten das
Medium positiv. Sie lobten die Möglichkeit, Zusammenhänge besser aufzeigen
und anschaulicher gestalten zu können. Es zeigte sich jedoch auch, dass ein
einzelnes Board nicht für Übungsphasen geeignet ist und nicht individuell
auf Schüler eingegangen werden kann. Eine lange Einarbeitung war nötig und
Schüler erhielten oft keinen Zugriff auf Unterrichts-Dateien. Die Befragung
fand allerdings online statt, so dass nur der computeraffine Teil der
Pädagogen teilnahm. Inzwischen ist Hamburg eines der führenden Länder beim
Einsatz von E-Tafeln. 75 Schulen sind ausgerüstet. Bis 2011 sollen in allen
351 Staatsschulen drei bis sieben Boards stehen.
Medienpädagoge Aufenanger sieht auch die Lehrplankommissionen der Länder in
der Pflicht. Sie müssten didaktische Vorgaben für Whiteboards festlegen.
Von Fachzeitschriften wie "Praxis Deutsch" oder "Kunst + Unterricht"
wünscht er sich praktische Vorschläge. Aber Aufenanger rät auch zu Geduld:
„Man muss bedenken, dass die alte Tafel 140 Jahre lang Standard war und
Whiteboards erst seit ein paar Jahren in Mode kommen. Das braucht Zeit.“
Doch das angeblich nächste große Ding fürs Klassenzimmer drängt bereits auf
den Markt. Auf der Bildungsmesse Didacta staunten Fachleute über ein
Tischboard mit Multitouch-Funktion. Mehrere Kinder können darauf
gleichzeitig schreiben und digitale Objekte bewegen. Vorteil: Es eignet
sich auch für Übungsphasen und Gruppenarbeit. 2010 soll es in Deutschland
erhältlich sein. Genug Zeit also noch für den einen oder anderen Lehrer,
bis dahin ein paar Nachhilfe-Stunden in Sachen Computer zu nehmen.
19 May 2009
## LINKS
[1] http://hamburg.schulcommsy.de/commsy/commsy.php?cid=1078443&mod=home&am…
## AUTOREN
Timo Hoffmann
## TAGS
Roboter
Grundschule
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