# taz.de -- Klimawandel und Popmusik: Alle singen übers Wetter | |
> Michael Jackson hat’s versucht, Joni Mitchell und die Beatles auch – doch | |
> einen Hit über den Klimawandel zu schreiben, ist nicht möglich. Oder | |
> doch? | |
Bild: In „Mother Nature’s Son“ von 1968 skizzierten die Beatles ein versc… | |
Es ist nicht möglich, einen guten Song über ökologische Probleme zu | |
schreiben. Vielleicht sind Themen wie rauchende Schlote, steigende | |
Meeresspiegel oder übersäuerte Böden einfach zu sperrig, um in drei | |
unterhaltsame Minuten zu passen. Mag sein, dass der Klimawandel als | |
thematischer Großkomplex in den Köpfen der Menschen allgegenwärtig ist. | |
Trotzdem kann man heute sicher sein, im Radio damit nicht behelligt zu | |
werden. | |
Es ist nicht möglich, einen guten Song über ökologische Probleme zu | |
schreiben. Zumindest nicht solche, die im Radio gespielt werden. | |
In den Achtzigerjahren war das noch anders. Da standen Songs über den | |
drohenden Atomkrieg (Nena: „99 Luftballons“) oder über radioaktive | |
Verseuchung (Righeirea: „Vamos A La Playa“) auf Platz 1 der Hitparaden. Es | |
war eine Zeit, in der die berüchtigte „Weissagung der Cree“ noch als | |
Aufkleber am Heck von Dreckschleudern prangte, die heute kein Mensch mehr | |
in die Innenstädte lassen würde. | |
## „Mein Freund, der Baum“ | |
In die Ära von Waldsterben und Brokdorf fällt auch der letzte | |
deutschsprachige Hit zum Thema. Dass es sich dabei um das ebenso larmoyante | |
wie pastorale „Karl der Käfer“ (1983) von einer Gruppe namens Gänsehaut (… | |
handelt, macht das Problem nur noch deutlicher – und selbst dieses Lied | |
schaffte es nur auf Platz 23 der Charts. Der einzige vergleichbare deutsche | |
Song war 1968 das tränenreiche Rührstück „Mein Freund, der Baum“ von | |
Alexandra. | |
Es ist nicht möglich, einen guten Song über ökologische Probleme zu | |
schreiben. Zumindest dann nicht, wenn sich die Probleme nicht | |
sentimentalisieren lassen. | |
In der Regel geht es im Pop um die Gezeiten der Liebe. Er ist aber | |
potenziell ein Container für jedes nur denkbare Thema, sofern es nur die | |
eigene Befindlichkeit wenigstens streift. Das öffnet Räume für die Politik, | |
die von Krieg (Edwyn Starr: „War“) über Hunger (Band Aid: „Do They Know | |
It’s Christmas“) bis zur Ausbeutung indigener Völker (Neil Young: „Cortez | |
The Killer“) bereits mehr oder weniger überzeugend bespielt wurden. | |
## Ein schmaler Grat | |
Es ist nicht möglich, einen guten Song über ökologische Probleme zu | |
schreiben. Zumindest dann nicht, wenn man halt nicht kann. | |
Pop neigt, wo er nicht leidet, naturgemäß zum Hedonismus. Er eignet sich | |
nicht dazu, Enthaltsamkeit zu predigen – auch wenn christlicher Pop in den | |
USA das dergleichen in alkoholischer oder sexueller Hinsicht versucht. | |
Plakativ darf alles sein, nur kein ausgestreckter Zeigefinger. Es braucht | |
Kenner und Könner, um auf diesem schmalen Grat zwischen Predigt und Pop zu | |
wandeln. Neil Young, dem das Thema seit Jahrzehnten am Herzen liegt, hat | |
erst unlängst mit „The Monsanto Years“ ein ganzes Konzeptalbum über | |
Gentechnik abgeliefert. Das war künstlerisch sicher kein Triumph, aber dem | |
alten Herrn politisch sicher ein Bedürfnis. | |
Ein Gegenbeispiel ist „Earth Song“ (1995) von Michael Jackson, dem | |
vielleicht erfolgreichsten Ökosong aller Zeiten. Plakativer ging’s nicht, | |
pathetischer auch nicht. Man muss auf die Natur als solche zielen. Und das | |
geht nicht, ohne ihre durchaus auch bedrohliche Erhabenheit ins Spiel zu | |
bringen – zur Not auch mit sarkastischen Untertönen. | |
So wie Frank Zappa mit seinem halbstündigen Epos „Billy The Mountain“ | |
(1970), das mit vordergründigem Klamauk von einem Berg namens Billy und | |
dessen Frau Ethel erzählt, die ein Baum ist und aus seiner Schulter wächst. | |
Als sich das Paar in Bewegung setzt, hinterlässt es eine Schneise der | |
Verwüstung. | |
## Das Schaumbad im Ozean | |
Ironie gelingt nur dem Größten, Tragödie den Großen – „and the song rem… | |
the same“. 1970 klagte Joni Mitchell in „Big Yellow Taxi“, das Paradies s… | |
zugunsten eines Parkplatzes betoniert worden. Im selben Jahr schimpften die | |
Kinks in „Apeman“ über die Luftverschmutzung, Neil Young in „After The G… | |
Rush“ über eine fliehende „Mother Nature“, während Cat Stevens fragte: | |
„Where Do The Children Play“. 45 Jahre später besingt Joanna Newsom in | |
„Sapokanikan“ das Indianerdorf, auf dem sich heute Manhattan erhebt. | |
In „Mother Nature’s Son“ von 1968 skizzierten die Beatles ein | |
verschwindendes Idyll, die Konkurrenten aus den USA waren da schon | |
direkter. Zahnpasta und Seife würden die Ozeane in ein Schaumbad | |
verwandeln, warnten die Beach Boys in „Don’t Go Near The Water“. Und | |
zuletzt waren es Gorillaz, die im Jahr 2010 mit „Plastic Beach“ dem Müll in | |
den Ozeanen ein ironisches Denkmal setzten. | |
Besonders ergiebig ist auch der Metal mit seinem Interesse an der | |
Dunkelheit, von Annihilator über Gamma Ray bis Iron Maiden. 1988 bellten | |
Metallica in „Blackened“ gegen die Verschwendung von Ressourcen an: | |
„Millions of our years in minutes disappears“. Und schon zehn Jahre vor | |
seiner Entdeckung halluzinierten Black Sabbath 1975 von einem „Hole In The | |
Sky“. | |
Tatsächlich verblüfft neben der Komplexität die Kontinuität des Themas. | |
Songs über ökologische Probleme sind in Wirklichkeit so alt wie die | |
Probleme selbst. Und sie sind vielleicht ebenso schwierig zu schreiben, wie | |
die Probleme zu lösen sind. Es ist möglich. | |
3 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Musik | |
Michael Jackson | |
Protestsong | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Konzert | |
Konzert | |
Popmusik | |
Laibach | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
A-ha-Musiker über Klimaschutz: „Ich bin kein Heiliger“ | |
Magne Furuholmen gehört zur Popband A-ha. Er ist auch bildender Künstler | |
und Landwirt. Ein Gespräch über den Klimawandel, die Musik und seine | |
Ziegen. | |
Die Gorillaz im Kölner Palladium: Größtenteils eine Playback-Show | |
Die Lieder auf dem neuen Gorillaz-Album „Humanz“ sind eine Hommage an das | |
goldene Zeitalter der afroamerikanischen Popmusik. | |
Neil Young in Berlin: Forever Young | |
Delirierende Gitarren und Huldigungen an die in Bedrängnis geratene Mutter | |
Natur: Drei Stunden spielt Neil Young in der Waldbühne. | |
Israelische Popband Cut Out Club: Einzelgänger auf Klassenreise | |
Die 80er im Blick und auf dem Weg nach vorn: Die zufällig entstandene | |
israelische Band Cut Out Club hat ein grandioses Debüt vorgelegt. | |
Pariser Musiklabel Tricatel: Wenn schon scheitern, dann richtig | |
Der Labelbetreiber Bertrand Burgalat hat die Band Laibach produziert. Er | |
interessiert sich für abseitige Musik jenseits des Mainstream. | |
Hitliste der schlimmsten Umweltsongs: Die Klima-Killer | |
Sie singen mit den besten Absichten, und am Ende wird's doch meist | |
pathetisch. Zehn Lieder, mit denen das Klima nicht zu retten ist. | |
Der Ökodiktator – § 4: Verbot aller Heizstrahlgeräte | |
Die weise Regierung der Klimarepublik kümmert sich um ihre Bürger. Ihr | |
Auftrag: Unheil vom Volk abwenden. Ihr Mittel: verbieten. | |
Lexikon zur UN-Klimakonferenz: Klimasprech für Einsteiger | |
Kyoto-Protokoll, Emissionshandel, Grünes Wachstum? Was war das nochmal? Die | |
wichtigsten Stichwörter zum Mitreden über COP21. | |
Kolumne Apocalypse Now: Ich möchte nicht alles richtig machen | |
Mach das Licht aus! Fahr kein Auto! Iss kein Fleisch! Agitation und | |
Propaganda werden nicht besser, nur weil sie einer guten Sache dienen. | |
Kinderlose retten die Welt: Homos sind die besseren Ökos | |
Alle reden über das Klima, aber niemand über Verhütung: Es gibt zu viele | |
Menschen auf der Erde. Doch zu viel sind immer nur die anderen. | |
Absurditäten auf dem Klimagipfel: Wenn Männer zu sehr klammern | |
Wie kann man sich die Klima-Verhandlungen vorstellen? Wie ein Puzzle mit | |
1.500 Teilen, das 50 Menschen auf ihre eigene Art lösen wollen. |