# taz.de -- Pariser Musiklabel Tricatel: Wenn schon scheitern, dann richtig | |
> Der Labelbetreiber Bertrand Burgalat hat die Band Laibach produziert. Er | |
> interessiert sich für abseitige Musik jenseits des Mainstream. | |
Bild: Bertrand Burgalat an dem Ort, wo die Musik spielt. | |
Als es zum Treffen mit Bertrand Burgalat im Kreuzberger Café Atlantic | |
kommt, hat er bereits einige Tage in Berlin verbracht. Sein australischer | |
Musikerkollege Mick Harvey, der gerade an einem neuen Album mit | |
Coverversionen des französischen Sängers Serge Gainsbourgh in englischer | |
Sprache arbeitet, hat ihn in die Stadt bestellt. Mitte der neunziger Jahre | |
erschienen bereits zwei solcher Coveralben: „Intoxicated Man“ und „Pink | |
Elephants“. Bereits an ihnen beteiligte sich Burgalat als Arrangeur. Nun | |
spielt er zusätzlich den Bass. | |
Eigentlich gilt das Treffen seinem eigenen Label Tricatel, das gerade | |
20-jähriges Jubiläum feiert. Doch bevor über die kürzlich zum Geburtstag | |
veröffentlichte Compilation „RSVP“ gesprochen wird, schwärmt Bertrand | |
Burgalat von der Aufnahmesession im Tempelhofer Studio Candy Bomber: „Der | |
Toningenieur war einst Assistent von Conny Plank, der die wichtigsten | |
Kraftwerk-Alben produziert hat.“ Die Düsseldorfer Elektronikpioniere sind | |
Burgalats musikalische Helden aus Kindertagen, neben Strawinsky. Außerdem: | |
„Es ist wunderbar, einmal wieder den Bass zu spielen.“ | |
Dank seiner Spielfreude ist Burgalat auch in Paris bestens vernetzt, und so | |
kannte er natürlich die Orte nur zu gut, an denen sich am 13. November die | |
blutigen Anschläge ereignet haben. „In solchen Momenten muss man aufpassen, | |
nicht zu narzisstisch zu sein und alles auf sich zu beziehen – wie etwa ein | |
Pariser Künstlerverband, der unmittelbar nach den Anschlägen die Mitteilung | |
rausschickte: Wir alle haben Fans verloren!“ Das empfand Bertrand Burgalat | |
als unpassend. | |
Was den 1963 auf Korsika geborenen Sohn einer Opernsängerin und eines | |
hochrangigen Regierungsbeamten noch mehr beunruhigt, sind „die | |
Konformisten, die nun anfangen, reaktionäre Reden zu halten, die einen vor | |
zehn Jahren noch hätten schaudern lassen“. Es würde ihn nicht wundern, sagt | |
er, wenn jetzt auch gebildete, gutsituierte BürgerInnen Sprüche von sich | |
gäben, die selbst eine Nadine Morano harmlos klingen ließen. Die | |
republikanische Politikerin ist in Frankreich für ihre rassistischen | |
Äußerungen bekannt. | |
## Düstere Prognose | |
Burgalats düstere Prognose scheint berechtigt, auf jeden Fall ist sie | |
erfahrungsgesättigt. Schon nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar | |
dieses Jahres erhoben sich aus der bürgerlichen Mitte undifferenzierte | |
Hasstiraden gegen Muslime. | |
„Jedenfalls kommt eine sehr eigenartige Zeit auf uns zu“, glaubt Burgalat. | |
Letztlich versucht er aber vor allem in seinem eigenen musikalischen | |
Metier, die Standards von Offenheit, Austausch und Neugierde hochzuhalten. | |
„Trotz aller politischen Sorgen, als Labelbetreiber trage ich vor allem | |
eine Verantwortung für meine Künstler. Sowohl meine persönliche Sicht auf | |
Politik und Gesellschaft als auch die der Musiker sind für die | |
Zusammenarbeit nur zweitrangig.“ Und eine gewisse Vielfalt halte er auch | |
für wichtig, denn ein Label sei wie eine menschliche Gemeinschaft. Die | |
stilistische Vielfalt auf Tricatel ist jedenfalls hoch. Zu den vertretenen | |
KünstlerInnen, die nun auch auf der Kompilation zu hören sind, zählen die | |
Chansonnière April March, der experimentelle Filmmusiker Chassol, der | |
Rapper Fuzati oder das deutsche Elektronik-Pop-Duo Donna Regina. | |
Kraut und Rüben ist Programm. Burgalat ist daran interessiert, Künstler und | |
Musikprojekte zu fördern, die sonst keine Chance hätten. Um einen neuen | |
Künstler für sein Label zu gewinnen, reicht ihm schon ein Song, bei dem er | |
denkt, der müsse einfach existieren. | |
Neben dieser Entdeckerleidenschaft zeichnet ihn aber auch eine realistische | |
Sicht seiner eigenen Möglichkeiten aus: „Wenn der Künstler mir dann sagt: | |
‚Gern, aber Sony hat mir auch schon ein Angebot gemacht‚, rate ich ihm, zum | |
Major-Label zu gehen.“ Dort würde der Künstler Komfort und Möglichkeiten | |
vorfinden, die Burgalat ihm nicht bieten kann – wie beispielsweise eine | |
Garantie, dass seine Musik in den Massenmedien rezensiert wird und im | |
Hit-Radio läuft. | |
## Leicht melancholisch | |
Burgalat: „Das kriege ich nicht immer hin, schon allein deshalb, weil wir | |
aufgrund unseres breit gefächerten Katalogs für jeden Künstler neue | |
Ansprechpartner bei Medien, Promotion und Vertrieb suchen müssen.“ | |
Hinzu kommt: Wenn es dann doch zu einer Kritik in einer Zeitung kommt, ist | |
sie nicht immer überschwänglich. Burgalat kennt die Missverständnisse | |
schon. Seit seiner musikalischen Stunde null im Jahr 1987, als Produzent | |
der slowenischen Kunstband Laibach, eckt er an. Die Band provozierte gern | |
mit totalitären Bilderwelten und Symbolen, setzte sich über Rockklischees | |
hinweg und wurde – fälschlicherweise – sogar des Faschismus bezichtigt. | |
Heute hingegen wird Burgalats Label, wie auch seinen eigenen Soloprojekten, | |
eine allzu oberflächliche Leichtigkeit vorgeworfen. Er sieht das natürlich | |
anders. „Sobald man diese weinerliche Schiene verlässt, wie sie in | |
Frankreich seit den Achtzigern durch Rockbands wie Noir Désir abgefeiert | |
wird, wird man nicht ernst genommen“, mutmaßt Burgalat. „Unsere Musik mag | |
möglicherweise leicht und fröhlich klingen, doch selbst für den Werbespot | |
einer Fluggesellschaft ist sie zu melancholisch. Das halte ich für ein | |
gutes Zeichen.“ | |
Klingt fast, als sei man zur Verschrobenheit verdammt, wenn man bei | |
Tricatel unter Vertrag steht. „Aber nein“, beschwichtigt Burgalat. „Wir | |
stehen zwar ein wenig abseits vom Mainstream, doch es gibt viele Fans, die | |
unsere Arbeit verfolgen, unsere Künstler schätzen. Es ist nur so, dass wir | |
unsere ganze Kraft und unser ganzes Geld in die Produktion stecken.“ | |
Deshalb würden oft die Mittel für das Marketing fehlen. Er mache halt keine | |
qualitativen und auch keine sozialen Kompromisse: Jeder wird bezahlt – und | |
nicht etwa erst „beim nächsten Mal, falls es klappt“. Und schnell fügt er | |
an: „Aber wir konnten nur deshalb so lange bestehen, weil wir kein | |
russisches Roulette spielen.“ Alles auf eine Karte, eine Produktion, einen | |
Namen setzen, der ganz groß herauszukommen verspricht, das macht er nicht. | |
Genau wegen solcher Spekulationen seien viele kleine Labels den Bach | |
heruntergegangen. | |
Die aktuelle Krise im Musikgeschäft erlebt Burgalat relativ gelassen: „Weil | |
wir schon immer Krise hatten! Und wir gelernt haben, irgendwie zu | |
überleben.“ Der Unterschied sei nun, dass heute für solche Projekte | |
Geldverlieren eigentlich den Normalzustand darstellt. Burgalat sieht es | |
positiv: „Mehr denn je ist man nun dazu berechtigt, so ehrlich wie möglich | |
zu sein – die Musik zu machen, die man wirklich mag.“ Nie habe er versucht, | |
die Künstler zu formen: „Meine Rolle besteht darin, zu verhindern, dass sie | |
sich einschränken, und ihnen zu helfen, so nah wie möglich an das zu | |
kommen, was sie aussagen wollen.“ Dabei behalten die Künstler immer das | |
letzte Wort. „Denn es gibt nichts Traurigeres, als mit einer Platte zu | |
scheitern, die man nicht mag.“ | |
## Spontan bleiben | |
Für die Jubiläumskompilation wagte er nun ein Experiment. Fünf Tage lang | |
lud er MusikerInnen ins Studio zur „augenblicklichen Komposition und | |
kollektiven Improvisation“, wie es im Untertitel des Werks „RSVP“ auf | |
Deutsch heißt. „Irmin Schmidt, dem Keyboarder der Kölner Krautrockband Can, | |
sagte ich mal, wie unglaublich ich die Fähigkeit seiner Band fand, auf der | |
Bühne zu improvisieren“, erklärt Burgalat seine Idee. „Er meinte dazu nur, | |
sie würden eben Instantkomposition machen.“ Die Kompilation „RSVP“ ist n… | |
Burgalats Hommage an MusikerInnen, die aus dem Stand improvisieren können, | |
ohne dabei in die technische Falle zu tappen und virtuos Tonleitern rauf | |
und runter zu spielen. | |
Zu den Aufnahmen von „RSVP“ hat er auch Freunde eingeladen wie die | |
US-Lo-Fi-Funk-Legende Doug Hream Blunt, der erst im Alter von 35 Jahren | |
entschied, Gitarre zu lernen. Und er lud absolute Newcomer hinzu, wie die | |
junge klassische Sängerin Makeda Monnet mit ihrer unvergleichlich | |
schnörkellosen Stimme oder den Rapper Dólos und seine Verlobte Elke, die | |
angeblich zuvor noch nie gesungen hat. | |
Bei allen Gesangseinlagen blieb es dabei stets beim ersten, spontanen Take. | |
So gingen die von Burgalat geschätzten „Asymmetrien und Unregelmäßigkeiten… | |
nicht verloren. Das Ergebnis sind elf wunderbare Songs, die das | |
spielfreudige Musikspektrum des Labels widerspiegeln und die große | |
theatralische Geste nicht scheuen. | |
Der Wunsch nach dem kollektiven Projekt wurde auch aus einer einfachen | |
Beobachtung geboren: „In Großstädten wie Paris gibt es unendlich viele gute | |
Musiker, doch die meisten verstecken sich allein hinter ihrem Computer.“ | |
Klar sei es schwierig mit Proberäumen. „Aber zusammen zu musizieren macht | |
einfach Spaß! Es ist wichtig, die Musik und sich selbst ernst zu nehmen, | |
aber noch wichtiger ist es, dabei spontan zu bleiben und sich die große | |
Freiheit zu bewahren, aufeinander zuzugehen.“ | |
6 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
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