# taz.de -- Buchpremiere von Philipp Ruch: Sag mir, wo die Visionen sind | |
> Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit stellt in Berlin sein | |
> Buch „Wenn nicht wir, wer dann?“ vor. Er gibt den Günther Jauch. | |
Bild: Eine Aktion des Zentrums für politische Schönheit: Mauer-Gedenkkreuze a… | |
Philipp Ruch gibt vielleicht doch einen besseren Entertainer und Moderator | |
ab als einen visionären Autor. Am Dienstagabend lädt Ruch, der Gründer des | |
Zentrums für Politische Schönheit ist, ins Berliner Maxim Gorki Theater, um | |
sein neues, sein erstes Buch – „Wenn nicht wir, wer dann?“ – vorzustell… | |
Die Premiere ist lange ausverkauft; jede Menge junge, irgendwie | |
linksalternativ aussehende Menschen lungern im Foyer des Gorki rum und | |
wollen wissen, was der Kopf der derzeit bekanntesten politischen | |
Aktionskunstgruppe hierzulande in seinem „politischen Manifest“ zu sagen | |
hat. | |
Um das Buch soll es dann aber gar nicht so viel gehen, abgesehen davon, | |
dass immer wieder Kaufempfehlungen ausgesprochen werden und ein Mitstreiter | |
des Zentrums für Politische Schönheit, der sich ebenfalls als Philipp Ruch | |
vorstellt, passagenweise aus diesem liest. | |
Den Großteil des Abends inszeniert Ruch I aber eine Politshow nach | |
bekanntem Vorbild: Er selbst gibt den Günther Jauch, auf der Bühne | |
simuliert man den Talk. Die Themen: Syrien, die Flüchtlingssituation, die | |
EU-Außengrenzen – und die politische Apathie in Deutschland. | |
Ruch spricht mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der | |
Muslime, mit Gorki-Intendantin Shermin Langhoff, der Berliner | |
Flüchtlingshelferin Diana Henniges (“Moabit hilft“) und mit Hubertus Koch, | |
der als TV- Journalist in Syrien war und durch ein Video bekannt wurde, in | |
dem er weinte, als er erzählte, was er gerade in Syrien erlebte. Running | |
Gag des Abends: Das Warten auf Björn Höcke. Man habe den Thüringer | |
AfD-Vorsitzenden eingeladen, er sei unterwegs, verkündet Ruch alias Jauch. | |
## Zwischen Zynismus und Betroffenheit | |
Auch wenn der 34-jährige Aktionskünstler sich nicht immer zwischen Zynismus | |
auf der einen und Moralisierung und Betroffenheit auf der anderen Seite | |
entscheiden kann, entsteht ein spannendes Gespräch. Der 24-jährige Koch | |
berichtet, wie er von einem unpolitischen Sportreporter zum Filmemacher | |
wurde, der in Syrien unterwegs war. | |
Für ihn habe sich danach eine völlig neue Sicht auf die Welt ergeben, | |
erklärt er, kaum einer in seinem Alter habe sich für Syrien interessiert. | |
Warum das Desinteresse? „Es fehlt an Empathie gegenüber arabischer Welt“, | |
meint Langhoff – die Ursachen könne man kulturhistorisch genauso suchen wie | |
im Post-9/11-Diskurs. | |
Die Pariser Terroranschläge sind auch Thema. Ruch fragt Henniges, die sich | |
seit Monaten für die Vor-Ort-Hilfe der ankommenden Flüchtlinge in Berlin | |
engagiert, was sie beim Anschlagszeitpunkt gedacht habe. | |
„Ich halte es für nicht so relevant, was mir durch den Kopf geht“, sagt | |
sie. Sie fürchte gerade eine totale „Spaltung der Gesellschaft“, die außer | |
pro und kontra Flüchtlinge keine Zwischentöne zulasse. In diesem | |
Zusammenhang sei es ein anderer „Terror, den ich fürchte“. Sie spielt auf | |
brennende Flüchtlingsunterkünfte an. | |
Es gibt auch ärgerliche Momente an diesem Abend: Das | |
Gegeneinanderaufrechnen der Toten – ein Vergleich Paris/Syrien – sollte | |
sich eigentlich mit „politischer Schönheit“ nicht vereinbaren lassen. Auch | |
der immer wieder vorgetragene ahistorische Vergleich zwischen dem Eisernen | |
Vorhang und den heutigen Außengrenzen der EU wird dadurch nicht | |
zutreffender, dass man ihn stets wiederholt. | |
Ruchs Aktionsgruppe versetze Ende 2014 die Kreuze für die Mauertoten in | |
Berlin an die Außengrenzen der EU, um jenen Vergleich zu ziehen – durch | |
derartige Interventionen im öffentlichen Raum sind er und das Zentrum | |
bekannt geworden. | |
## Der übliche Bullshit | |
Sein Buch beschäftigt sich entsprechend mit dem Begriff der politischen | |
Schönheit. Im Ganzen liest es sich aber wie ein groß angelegter Feldzug | |
gegen Naturwissenschaften und Psychologie, insbesondere die Psychoanalyse. | |
Neurophysiologen und Psychologen hätten die absolute Deutungshoheit über | |
unser Welt- und Menschenbild erlangt. Der Mensch, Ideen, Geistesgeschichte? | |
Obsolet geworden. | |
In dieser Annahme sieht Ruch begründet, dass wir in einem Zeitalter | |
absoluter Visions- und Ziellosigkeit im Politischen lebten, uns Humanität | |
und Empathie verunmöglicht seien. Die Verallgemeinerungen wirken | |
fragwürdig: Der politischen Kaste sui generis sei zu misstrauen. (Immer? | |
Überall?) „Die“ Medien erzählten nur von der Grausamkeit des Individuums, | |
nicht aber von der Empathiefähigkeit des Menschen. Moralinsauer wird einem | |
– überspitzt gesagt - ständig vorgehalten wird, man dürfe sein Leben | |
angesichts der Zustände in der Welt nicht genießen. Immerhin merkt Langhoff | |
an, es sei nicht ihre Revolution, wenn sie nicht tanzbar sei. | |
Björn Höcke erscheint übrigens noch, auf der Leinwand über der Bühne. Er | |
redet den üblichen Bullshit. | |
3 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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