| # taz.de -- Persönliches Syrien-Engagement: Wie weltfremd darf man sein? | |
| > Von Syrien hatte er keine Ahnung. Hubertus Koch fuhr hin und drehte eine | |
| > Dokumentation, die vor allem junge Menschen anspricht. Aber warum? | |
| Bild: Hubertus Koch und der Kopierer, der im Film „Fight Club“ eine zentral… | |
| Leipzig taz | Und wieder Syrien. Das kleine Mädchen mit der Beule im | |
| Gesicht, das mit braunen Gummistiefeln durch die grauen Trümmer läuft. Der | |
| rauchende Kindersoldat. Das ewige Allahu Akbar. Hubertus Koch hat diese | |
| Bilder schon hundertfach gesehen. Schließlich ist es sein Film, er stand | |
| vor und hinter der Kamera. | |
| An diesem Abend sitzt der 25-Jährige auf dem Podium eines Hörsaals der | |
| Medienfakultät der Uni Leipzig, während der Beamer seinen Film an die Wand | |
| projiziert. Im Saal ist es mucksmäuschenstill und rappelvoll. Kochs Kamera | |
| ist schonungslos, Blut und Wunden im zerbombten Flüchtlingslager. Gegen | |
| Ende des Films spricht Koch unter Tränen in die Kamera: „Ganz ehrlich, ihr | |
| solltet euch alle schämen! Dafür, dass euch so was nicht juckt.“ | |
| Heute sind ihm diese Worte peinlich – herausgeschnitten hat er sie trotzdem | |
| nicht. Weil er es damals eben nicht fassen konnte, wie wenig sich die | |
| Menschen in Deutschland für die Menschen in Syrien interessierten. Vor | |
| allem seine Freunde. Und weil er zeigen wollte, was geschieht, wenn ein | |
| damals 24-jähriger Germanistikstudent und Fußballreporter auf die | |
| Kriegsrealität im Nahen Osten trifft. Jemand aus der „Generation | |
| Komasaufen“, wie Koch das nennt. Vom Vollrausch in den Bürgerkrieg – | |
| boulevardesk betitelt. | |
| Koch nennt seine Doku „den Film eines kleinen Jungen“. Einer, der nun | |
| Vorträge an Unis und auf Medientagungen hält, der durch die Talkshows des | |
| Landes wandert. Die Leute wollen von ihm wissen, wie er es schafft, die | |
| junge Zielgruppe zu erreichen und für Politik zu begeistern. | |
| ## Leg das Handy weg | |
| Auch an diesem Abend in Leipzig wollen ihm andere junge Medienmacher dieses | |
| Geheimnis entlocken. Er versucht es zu erklären, lehnt sich in seinen | |
| Sessel, drückt die Knie breitbeinig nach außen. Auf seinem Kopf leuchtet | |
| ein goldenes Adidas-Zeichen auf einer schwarzen Cap, er trägt ein weißes | |
| T-Shirt mit weitem Ausschnitt und mittlerweile einen kurzen blonden Bart zu | |
| seinen kurzen blonden Haaren. Koch redet davon, dass er seinen Film auf | |
| YouTube gestellt hat, weil ihn dort die Jugendlichen eher finden als im | |
| Fernsehprogramm. „Also hör mir zu und leg dein Handy weg“, sagt Koch. Ihn | |
| nervt die Gleichgültigkeit seiner Generation. | |
| „Woher kommt die?“, fragen die Moderatorinnen. | |
| Koch denkt nach, dann sagt er: „Ich weiß es nicht.“ Er hat ein Thema, | |
| darüber muss er reden. Also fragen die Moderatorinnen, was der Westen in | |
| Syrien besser machen sollte. Auch die Lösung für den Syrienkonflikt hat | |
| Koch nicht parat, er sagt mit müder Stimme: „Ach Leute, ich hab keine | |
| Antwort auf alle Fragen, aber ihr müsst euch Fragen stellen, darum geht | |
| es!“ Die wichtigen Fragen. Nicht jene, die ihm ein Freund vor seiner | |
| Abreise nach Syrien stellte: „Gehst du backpacken?“ Koch schüttelt den Kopf | |
| und sagt: „Ey digga, wie weltfremd muss man sein?“ Im Publikum johlen sie. | |
| Später sitzt der Kölner in einer Leipziger Kneipe, spielt mit seinen Händen | |
| an einer Zigarettenschachtel und erklärt, warum er diese Anekdote gerne | |
| erzählt: „Die da im Publikum gejohlt haben, die würden doch selbst solche | |
| Fragen stellen.“ Und er hätte sie vor drei Jahren wohl auch noch gestellt. | |
| ## Praktikum beim DSF | |
| Nun will er aufklären, Interesse schaffen. Was ihm am ehesten gelingt: sein | |
| eigenes Klischee aufbrechen. Dass jemand wie er zur Syriendebatte nichts | |
| beitragen könnte. „Nahostpolitik hat etwas Elitäres“, sagt er. Und Elite | |
| ist Hubertus Koch nie gewesen. | |
| Als Enkel eines Bergmanns wächst er zwischen Rhein und Ruhr mit zwei | |
| Brüdern bei seiner alleinerziehenden Mutter auf. In seiner Jugend zieht er | |
| 18 mal um, am längsten lebt er in Bonn. Geld ist knapp. „Es ist ein mieses | |
| Gefühl, wenn du auf Klassenfahrten nicht mitkommst, weil du die Kohle | |
| einfach nicht hast.“ Also will er groß herauskommen, das beschließt er | |
| schon mit fünf Jahren. Mit seinem Vater und Opa guckt er Fußball und sagt, | |
| er wird einmal das Champions League Finale 2034 kommentieren. | |
| Dem Fußball bleibt er treu, ansonsten ist er immer eher dagegen als dafür; | |
| mit 14 verbringt er seine Zeit auf Punkkonzerten. Nach der Schule dann | |
| irgendein Studium: Germanistik. Mehr interessieren ihn Fußball und Filme. | |
| Auf seinen Armen lässt er sich „Veritas“ und „Aequitas“ tätowieren, e… | |
| Hommage an „Der blutige Pfad Gottes.“ Dann ein Praktikum bei DSF in München | |
| und die Chance zu bleiben. Koch arbeitet rund um die Uhr, besteigt die | |
| ersten Karriereleitern und lernt die Kommentatorenhelden seiner Kindheit | |
| kennen. Bald darf er selbst vor das Mikrofon – sein Traum wird wahr. Er | |
| verdient viel Geld und strampelt immer schneller im Hamsterrad. Bis er | |
| eines Tages kündigt, seine Sachen packt und nach Köln geht. | |
| Warum? – „Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen werde, aber es | |
| bleibt elf gegen elf, dein ganzes Leben!“ | |
| ## Der Traum vom 7er-BMW | |
| Dazu der Stress, die ständige Verfügbarkeit. Nach seiner Kündigung möchte | |
| er sich von seinem Geld wenigstens einen zweiten Traum erfüllen: einen | |
| 7er-BMW, Baujahr 99. Während er sich auf Autosuche begibt, kommt ihm der | |
| Gedanke an den Vater einer Freundin, ein Deutsch-Syrer, der regelmäßig | |
| Hilfskonvois ins Flüchtlingslager Bab al-Salameh fährt. Koch kauft keinen | |
| BMW – sondern Filmequipment und fährt mit nach Syrien. Keine Erfahrung als | |
| Filmemacher, keine Ahnung von Syrien und kein Team. | |
| Und trotzdem entsteht jener Film, der so große Wellen geschlagen hat. Auch | |
| weil er gar nicht erst den Anspruch erhebt, objektiven Journalismus zu | |
| machen. Koch ist selbst das Subjekt seines Films – und das schafft | |
| Transparenz, die ihn von anderen Filmen abhebt. Er ist ein kleiner Junge | |
| und erinnert damit daran, dass kleine Jungs im Alter von 25 Jahren unter | |
| dem Deckmantel verächtlicher Ideologien eigentlich die gleichen Ängste | |
| haben und die gleichen Bedürfnisse. Es gibt eine Szene, die besonders in | |
| Erinnerung bleibt: Nach einem Tag an der Front tanzen Koch und Soldaten der | |
| Freien Syrischen Armee gemeinsam zu einem Lied der Chansonsängerin Zaz. | |
| Die Distanz zwischen Hubertus Koch und einem Kämpfer der Freien Syrischen | |
| Armee ist gering, sehr gering. Der Unterschied? Der Boden, auf dem sie | |
| leben. Dieses Gefühl transportiert Koch nach Deutschland, er duzt seine | |
| Zuschauer und die duzen zurück. „Vom 70-jährigen Oppa bis zur 14-jährigen | |
| Hauptschülerin.“ Dabei ist Koch nicht so, wie sich die älteren Herren in | |
| den Rundfunkanstalten die Zukunft des Journalismus vorstellen. Keine | |
| Einzeiler auf Twitter, keine Bilder auf Instagram. Stattdessen ein | |
| 110-minütiger Dokumentarfilm. „Ey, ich hab kein Plan von Facebook“ , sagt | |
| er. Und auch in Leipzig, jener Stadt, um die ein angesagter junger Mensch | |
| angeblich nicht mehr herumkommt, ist er an diesem Tag das erste Mal. | |
| Seine Meinungsäußerungen sind keineswegs revolutionär. Per Video spricht | |
| Koch seit Neuestem sein Wort zum Sonntag. Er sagt keine anderen Sachen als | |
| der Pfarrer im Fernsehen, aber er spricht sie in der Sprache der | |
| Jugendlichen: „Es geht um dich, du bist nicht aktiv, wenn du dein | |
| Anzeigebild auf Facebook änderst! Es geht nicht darum, dass du | |
| Menschlichkeit nur postest! Nicht online, geh ins richtige Leben!“ oder | |
| „Liebe ist stärker als Hass“ , ein Meister der Floskeln – aus seinem Mund | |
| wirkt es so überzeugt, als hätte das noch nie jemand gesagt. | |
| ## „Nicht der Syrientyp“ | |
| Kochs Spielfeld ist die emotionale Ebene. Die Kinder, die ihm im syrischen | |
| Flüchtlingslager hinterherrennen und „Hubi“ rufen. Die Szene, als Koch | |
| seine Kameraaufnahmen sichtet und in Tränen ausbricht. Dazu spickt er | |
| seinen Text mit „Fight Club“-Filmzitaten. Es ist Popkultur. Und darum | |
| vergleicht der 25-Jährige seinen aktuellen Zustand mit dem von „Birdman“, | |
| jenem Film, in dem der Schauspieler seiner Filmrolle auch im realen Leben | |
| nicht entkommen kann. So wie Hubertus Koch von seinem Syrienfilm verfolgt | |
| wird. „Ich bin nicht der Syrientyp, Alter!“ | |
| Aber die Erfahrungen aus Syrien haben ihn verändert, das spürt er, als er | |
| wieder nach Köln kommt. „Ich hab ’ne Zeit lang alles um mich herum | |
| gehasst!“ Dann macht er seine Doku fertig und die Anfragen prasseln auf ihn | |
| ein. Die ARD zeigt seinen Film im „Weltspiegel“, das ZDF will ihn | |
| interviewen, der Stern schickt ihn zum Erdbeben nach Nepal und Daimler | |
| möchte ihn als Aushängeschild für den Hilfskonvoi des Konzerns nach Syrien. | |
| Nach dem Abend an der Leipziger Uni sind seine Augenringe noch dunkler, | |
| seine Müdigkeit offensichtlich. Koch ist an dem Punkt angelangt, an dem er | |
| es nicht mehr schafft, die E-Mails zu beantworten, die vielen Anfragen von | |
| Studenteninitiativen und Medienkongressen. Also ist er vor Kurzem für sechs | |
| Wochen nach Laos geflogen, um ein Buch zu schreiben und zu verstehen, was | |
| mit ihm passiert ist seit seinem zehntägigen Syrienaufenthalt. Was die | |
| Leute von ihm erwarten. Welche Verantwortung seine Erfahrungen aus Syrien | |
| mit sich bringen. Und wann Schluss ist, der Moment, „Nein“ zu sagen. | |
| Ein Buch als Selbsttherapie, so ähnlich wie der Film. In einer | |
| Bedeutungsauslegung fern der westlichen Interpretation des Begriffs | |
| „Dschihad“ beschreibt er den inneren Weg zu sich selbst. Syrien wird Koch | |
| also noch weiter verfolgen – als Teil seines eigenen Dschihads. | |
| 6 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Grieger | |
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