# taz.de -- Meinungsfreiheit in Nigeria: Knast für kritische Tweets | |
> In Nigeria könnten kritische Kommentare in Online-Medien bald bestraft | |
> werden. Jetzt twittert die Zivilgesellschaft dagegen an. | |
Bild: Vorsicht! Unüberlegte Kommentare könnten Probleme mit sich bringen. Ode… | |
ABUJA taz | Mit so viel Protest hat in Nigeria wohl offenbar niemand | |
gerechnet. Egal ob in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook oder auf | |
den Straßen der Hauptstadt Abuja: Ein neuer Gesetzesvorschlag ist vielen | |
Nigerianern ein Dorn im Auge. | |
Er trägt den sperrigen Titel „Verbot unseriöser Petitionen und damit | |
verbundenen Angelegenheiten“. Und soll Falschaussagen in Tweets, bei | |
Facebook oder in WhatsApp-Gruppen künftig mit bis zu zwei Jahren Gefängnis | |
oder einer Geldstrafe von mehr als 18.000 Euro ahnden können. Der Vorschlag | |
befindet sich in zweiter Lesung im Senat, dem nigerianischen Oberhaus. | |
Auf nigerianischen Homepages – besonders denen von Tageszeitungen – wimmelt | |
es nur so vor Trollen, die gnadenlos lästern, schimpfen und fluchen. Gern | |
geraten ethnische Gruppen oder Religionen ins Visier. Als beispielsweise | |
276 Mädchen im April 2014 von der Terrormiliz Boko Haram entführt wurden, | |
hieß es in Postings oft: „Selbst schuld, ihr Hinterwälder aus dem Norden. | |
Ihr habt die Gruppe doch unterstützt.“ | |
Noch schlimmer wird gegen Homosexuelle gehetzt, die als „Verwirrte“, | |
„Unmenschen“ und sogar „Monster“ bezeichnet werden. Kontrolle oder | |
Moderation der Äußerungen hat es bisher nicht gegeben. Immer mehr Zeitungen | |
gehen mittlerweile dazu über, die Kommentarfunktion komplett zu | |
deaktivieren. | |
## Im Netz der Trolle | |
Trotzdem gilt der Gesetzesvorschlag als grobe Einschränkung der | |
Meinungsfreiheit. Schließlich ist nicht eindeutig zu definieren, wann | |
Meinungsfreiheit aufhört und wo Verunglimpfungen anfangen. Mit einem | |
Gesetz, das Falschaussagen in sozialen Netzwerken unter Strafe stellt, | |
könnten vor allem Politiker kritische Journalisten mundtot machen, die | |
soziale Medien intensiv nutzen. Sie könnten zum Beispiel Beobachtungen von | |
Journalisten als Verleumdungen abtun. | |
Dank der Smartphones steigt die Zahl der Internetnutzer in Nigeria rapide | |
an. Gesicherte Zahlen gibt es nicht, doch allein der südafrikanische | |
Mobilfunk-Riese MTN will im September 41,84 Millionen Kunden gehabt haben, | |
die online gehen. Auch wer offline ist, erfährt häufig durch Radiosendungen | |
von neuen Trends und Diskussionen im Internet. | |
Das lässt die Reichweite von Kampagnen ständig steigen. Wie erfolgreich sie | |
sein können, hat vergangenes Jahr [1][#BringBackOurGirls] gezeigt. In | |
Windeseile wurde nun [2][#NoToSocialMediaBill] initiiert – Widerstand gegen | |
das Gesetzesvorhaben. | |
Es gibt aber auch längerfristig angelegte Initiativen, etwa vom Zentrum für | |
Demokratie und Entwicklung (CDD): Auf dessen Plattform [3][buharimeter.ng], | |
die die Umsetzung der Wahlversprechen des neuen Präsidenten Muhammadu | |
Buhari analysiert, fordern sie alle Nigerianer auf, per Mail oder Twitter | |
beispielsweise Beobachtungen in Sachen Korruption zu teilen. | |
## „Wird zu nichts führen“ | |
Buhari hatte übrigens lange zu dem Gesetzesvorschlag geschwiegen, | |
distanziert sich laut lokalen Medienberichten nun aber davon. Es heißt, er | |
wolle nichts unterstützen, was gegen die nigerianische Verfassung verstößt. | |
Eze Onyekpere geht nicht mehr davon aus, dass der Entwurf zum Gesetz wird. | |
Der Direktor des nichtstaatlichen Zentrums für soziale Gerechtigkeit (CSJ) | |
lächelt fast darüber. „Die Senatoren wollen doch nur intellektuelle | |
Selbstbefriedigung. Sie wollen reden. Dieser Vorschlag wird zu nichts | |
führen“, sagt er. | |
Initiiert hat den Gesetzesvorschlag Senator Bala Ibn Na’Allah, der der | |
Regierungspartei All Progressives Congress (APC) angehört. Er saß bereits | |
von 2003 bis 2011 im Repräsentantenhaus, sorgte dort in all den Jahren | |
jedoch nur mit einer Aktion für Schlagzeilen: Er kaufte im Jahr 2009 einen | |
Privatjet – als erster Parlamentarier in der Geschichte des Landes. Und | |
wurde nach dem Kauf mit der lapidaren Aussagen zitiert, es sei günstiger, | |
ein Flugzeug zu unterhalten als eine ganze Autoflotte. | |
16 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://twitter.com/search?q=%23BringBackOurGirls%20&src=typd | |
[2] http://twitter.com/search?q=%23NoToSocialMediaBill&src=typd | |
[3] http://www.buharimeter.ng/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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