| # taz.de -- Aus der Sonderausgabe „Charlie Hebdo“: Feine Freunde von der St… | |
| > Solidarität weltweit: Wie steht es um die Pressefreiheit der Länder, | |
| > deren Staats- und Regierungschefs vor einem Jahr demonstrierten? | |
| Bild: Wie sieht es eigentlich mit der Pressefreiheit bei den hohen Herrschaften… | |
| An diesem kalten Sonntag im Januar 2015 versammelten sich in Paris Staats- | |
| und Regierungschefs aus 44 Ländern zu einem Schweigemarsch. Sie alle waren | |
| „Charlie“ und standen mit dem französischen Staatspräsidenten François | |
| Hollande in der Winterkälte, um gegen den Terror und für Toleranz und | |
| Meinungsfreiheit zu demonstrieren. Der französische Präsident ernannte an | |
| diesem Tag Paris zur „Hauptstadt der Welt“ und verkündete, dass „Frankre… | |
| für seine Werte aufstehen werde“. | |
| Nicht wenige der teilnehmenden Regierungsvertreter standen dann auch tapfer | |
| auf, um Werte zu verteidigen – allerdings nicht unbedingt die französischen | |
| und die der Freiheit schon gar nicht. Denn was an diesem Tag in Paris | |
| verteidigt wird, muss in ihren Ländern nicht gelten. Schauen wir uns | |
| deshalb die wackeren Gesellen und ihre Staaten, für die sie stehen, einmal | |
| genauer an. | |
| ## Algerien, Außenminister Ramtane Lamamra | |
| Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in Algerien zwar verfassungsmäßig | |
| garantiert, aber vor allem seit der Wiederwahl des Präsidenten Abdelaziz | |
| Bouteflika 2014 nehmen staatliche Repressions- und Zensurmaßnahmen gegen | |
| Journalisten zu. Im Februar 2014 wird der Karikaturist Djamel Ghanem wegen | |
| Präsdidentenbeleidung angeklagt, Grund: ein Cartoon, der sich über | |
| Bouteflika lustig macht. Um einer möglichen 18-monatigen Haftstrafe zu | |
| entkommen, beantragt Ghanem Asyl in Frankreich. | |
| ## Saudi-Arabien, Botschafter Mohammed Ismail al-Scheich | |
| Medien gelten in Saudi-Arabien als Propaganda- und Erziehungsinstrument. | |
| Kritik an Religionsführern und am Herrscherhaus sind verboten, bei | |
| Gotteslästerung droht die Todesstrafe. Nach kritischen Äußerungen auf | |
| seiner Website wird der Blogger Raif Badawi im Mai 2014 wegen Beleidigung | |
| des Islam zu 1.000 Stockhieben und 10 Jahren Haft verurteilt. 50 Hiebe | |
| erhält er öffentlich in Dschidda am 9. Januar 2015. Zwei Tage später | |
| demonstriert der saudische Botschafter in Paris für die Meinungsfreiheit. | |
| ## Vereinigte Arabische Emirate, Außenminister Scheich Abdullah bin Zayed | |
| al-Nahyan | |
| Die Medien- und Pressegesetze in den Emiraten zählen zu den restriktivsten | |
| in der arabischen Welt. Kritik an der Regierung, ihren Verbündeten und am | |
| Islam sind verboten. Blogs und Internetangebote werden umfassend überwacht | |
| und bei Bedarf gesperrt. All dies führt zu umfassender Selbstzensur, bei | |
| Verstößen gegen die Gesetze drohen Haft oder Abschiebung. | |
| ## Türkei, Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu | |
| Die Türkei hat 2015 prozentual die meisten Journalisten weltweit verhaftet | |
| (11 Prozent), Beleg der drastischen Zunahme staatlicher Repressionen gegen | |
| regierungskritische Berichterstattung. Die aktuellsten Verhaftungen trafen | |
| am 26. November 2015 den Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, Can | |
| Dündar, und den Büroleiter in Ankara, Erdem Gül. Die Zeitung hatte im Mai | |
| über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT nach Syrien | |
| berichtet. Ihnen wird nun die Mitgliedschaft in einer terroristischen | |
| Organisation, Spionage und Geheimisverrat vorgeworfen. | |
| ## Ägypten, Außenminister Samih Shoukry | |
| Nach dem Sturz der islamistischen Mursi-Regierung hat unter General Abdel | |
| Fattah al-Sisi die Repression längst wieder das Level der Mubarak-Zeit | |
| erreicht. Die neue Verfassung von 2014 garantiert auf dem Papier mehr | |
| Presse- und Meinungsfreiheit und hat den Einfluss der Religion zugunsten | |
| staatlicher Macht zurückgedrängt. Kritische Stimmen in den Medien werden | |
| aber mit Verweis auf Sicherheitsgründe und Antiterrorgesetze systematisch | |
| zum Schweigen gebracht, willkürliche Festnahmen und Folter sind an der | |
| Tagesordnung und Militärprozesse gegen Journalisten weiterhin möglich. | |
| Gegenwärtig sind 23 Journalisten im Gefängnis, 6 davon wurden zu | |
| lebenslanger Haft verurteilt. | |
| ## Katar, Scheich Hamad bin Chalifa al-Thani | |
| Medien dürfen im Emirat nur mit staatlicher Lizenz arbeiten. Journalisten, | |
| die Kritik an der herrschenden Familie, der Regierung oder am Islam üben, | |
| werden strafrechtlich verfolgt oder aus dem Land gewiesen. Der Entwurf | |
| eines neuen Pressegesetzes, das mehr Freiheiten vorsieht, liegt seit 2011 | |
| auf Eis. Verabschiedet wurde dafür 2014 ein Gesetz über Internetverbrechen, | |
| das Verstöße gegen „soziale Normen“ und die Verbreitung von „unrichtigen | |
| Nachrichten“, die die öffentliche Ordnung oder nationale Sicherheit | |
| gefährden könnten, mit hohen Gefängnisstrafen belegt. | |
| ## Bahrain, Außenminister Scheich Chalid bin Ahmad al-Chalifa | |
| Im Königreich Bahrain wird seit den Pro-Demokratie-Demonstrationen von 2011 | |
| jede unabhängige Berichterstattung unterbunden. Ein vage formuliertes | |
| Pressegesetz von 2002 kriminalisiert Kritik am Königshaus und am Islam, | |
| Majestätsbeleidigung kann seit 2014 mit hohen Geldstrafen und Gefängnis | |
| geahndet werden. Journalisten und Online-Aktivisten, die über | |
| Demonstrationen, Menschenrechtsverletzungen und Machtmissbrauch berichten, | |
| werden systematisch verfolgt und willkürlich verhaftet. Dreizehn sitzen | |
| derzeit im Gefängnis. | |
| ## Ungarn, Ministerpräsident Viktor Orbán | |
| Seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten 2010 hat Viktor Orbán die | |
| Kontrolle über die Medien systematisch ausgeweitet. Dem neuen Mediengesetz | |
| von 2011 folgend, sollen Journalisten „ausgewogen“ berichten und weder | |
| „öffentliche Moral“ noch „menschliche Würde“ verletzen. Eine | |
| Medienaufsichtsbehörde kann bei Verletzung der Vorgaben Strafen verhängen | |
| und Lizenzen entziehen. Die Mitglieder der Behörde werden von der Regierung | |
| ernannt. Viele Medienhäuser werden nun von Fidesz-nahen Mitarbeitern | |
| geführt, die Verstrickung von medienwirtschaftlichen und politischen | |
| Interessen schreitet voran. | |
| ## Russland, Außenminister Sergei Lawrow | |
| Seit der Wahl Wladimir Putins zum russischen Präsidenten im Jahr 2000 hat | |
| der Kreml die landesweiten Fernsehsender weitgehend unter seine Kontrolle | |
| gebracht. Die Verfassung garantiert Presse- und Redefreiheit, eine äußerst | |
| weit gefasste Definition von Extremismus erlaubt es den staatlichen | |
| Behörden jedoch, Regierungskritiker und Journalisten zum Schweigen zu | |
| bringen. Neue Internetgesetze ermöglichen das schnelle Sperren unliebsamer | |
| Webseiten. Knapp zwei Jahre nach der Annexion der Krim gibt es auch dort so | |
| gut wie keine unabhängigen Medien mehr. | |
| ## Bulgarien, Ministerpräsident Bojko Borissow | |
| Bulgarien ist das EU-Schlusslicht im Pressefreiheitsranking von Reporter | |
| ohne Grenzen. Das liegt weniger an rechtlichen Restriktionen als am | |
| korrupten Zustand, in dem sich die Medienbranche befindet. Ein Großteil der | |
| Medien liegt in der Hand weniger Oligarchen, die kaum Wert auf unabhängige | |
| Berichterstattung legen, sondern mithilfe dieser Medien ihre eigenen | |
| Interessen durchzusetzen und die öffentliche Meinung zu manipulieren | |
| versuchen. Viele Medien sind auf Fördermittel aus der Politik angewiesen, | |
| was ebenfalls zur Selbstzensur führt. | |
| ## Palästina, Präsident Mahmud Abbas | |
| Palästinensische Medien geraten nicht nur kriegsbedingt immer wieder ins | |
| Visier der palästinensischen Sicherheitsbehörden (wie auch der israelischen | |
| Armee). Die Sicherheitskräfte gehen aber auch gegen Blogger vor – wie zum | |
| Beispiel gegen den Atheisten Waleed al-Husseini, der 2010 wegen seiner | |
| satirischen Facebook-Seite verhaftet wurde und daraufhin zehn Monate im | |
| Gefängnis saß. | |
| ## Israel, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu | |
| Israel besitzt eine vielfältige Medienlandschaft, Regierungs- und | |
| Behördenkritik ist gefahrlos möglich, doch Themen nationaler Sicherheit | |
| unterliegen der Militärzensur und gelegentlichen Nachrichtensperren. In den | |
| Palästinensergebieten ist die Bewegungsfreiheit der Medien jedoch beständig | |
| eingeschränkt, die israelischen Sicherheitsbehörden schrecken auch nicht | |
| vor Festnahmen und Gewalt gegen Journalisten oder Angriffe auf | |
| Redaktionsräume zurück. Vor allem Hamas-nahe Medien verdienten, so die | |
| Pressesprecherin der israelischen Streitkräfte, Avital Leibovich, in einem | |
| Leserbrief an die New York Times 2012, nicht die Rechte, die legitimen | |
| Journalisten völkerrechtlich zustünden. | |
| ## Mali, Präsident Ibrahim Boubacar Keïta | |
| Mali galt wegen seiner pluralistischen Radio- und Zeitungslandschaft viele | |
| Jahre als ein Vorreiter der Pressefreiheit in Afrika. Sie wird seit | |
| mehreren Jahren nicht nur von radikalen Islamisten bedroht, sondern auch | |
| vom Geheimdienst und vom Militär, das sich im Antiterrorkampf ebenfalls | |
| nicht um Menschenrechte schert. Entführungen und gewalttätige Übergriffe | |
| auf Journalisten häuften sich nicht nur im Norden, sondern auch im | |
| Einflussbereich der Regierung in Bamako. | |
| ## Ukraine, Staatspräsident Petro Poroschenko | |
| Auch nach dem Sturz der Regierung Janukowitsch stehen die Medien in der | |
| Ukraine weiter unter Druck. Viele Fernsehstationen wurden von Oligarchen | |
| aufgekauft, die die Inhalte der Berichterstattung vorgeben. Journalisten, | |
| die kritisch berichten, müssen mit Gewalt und Anschlägen rechnen, die nur | |
| selten strafrechtlich verfolgt werden. Seit Beginn des Konflikts mit | |
| Russland versuchen sowohl pro-russische Rebellen als auch ukrainische | |
| Sicherheitskräfte Medienvertreter mit Gewalt bei ihrer Arbeit zu behindern. | |
| Im Propagandakrieg mit Russland greift auch die Ukraine verstärkt zu | |
| restriktiven Maßnahmen. Im September 2015 veröffentlichte die Regierung ein | |
| Dekret, das für rund 400 Medienvertreter ein Einreiseverbot verhängte. | |
| ## Frankreich, Staatspräsident François Hollande | |
| Unter dem Eindruck der Anschläge auf Charlie Hebdo verabschiedete der | |
| französische Senat 2015 im Schnellverfahren ein Geheimdienstgesetz, das | |
| sich hinter dem Überwachungsregime der NSA nicht verstecken muss. Im Namen | |
| von Terrorabwehr und nationaler Sicherheit wird nun ein weitgehender | |
| Zugriff auf die Privatsphäre ohne richterliche Anordnung möglich. Erlaubt | |
| ist unter anderem die Ortung und Überwachung von Mobiltelefonen, Verfolgung | |
| von Autos mit Peilsendern, das Ausspionieren von Wohnungen mit Mikrofonen | |
| und die Sichtung von Metadaten in sogenannten Black Boxes, die bei | |
| Internetprovidern installiert werden. | |
| ## Deutschland, Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
| Auch in Deutschland liegt einiges im Argen, was die Themen | |
| Pressekonzentration, Monopolismus oder Abhören durch Geheimdienste angeht. | |
| Wir verfolgen das täglich weiter . . . | |
| Quellen: Reporters without Borders und Reporter ohne Grenzen, | |
| freedomhouse.org, Committee to protect Journalists, Cpj (cpj.org) und | |
| Daniel Wickham (London School of Economics) | |
| 8 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Berger | |
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