# taz.de -- Meinungsfreiheit in Palästina: Der größte Rückschritt seit 20 J… | |
> Ein neues Gesetz schränkt Meinungsäußerungen in sozialen Medien und im | |
> Online-Journalismus stark ein. Es drohen lange Haftstrafen. | |
Bild: Unpopulärer Präsident: Eine Demo fordert den Rücktritt von Mahmud Abbas | |
Ramallah ap | Aus Sicht von Menschenrechtlern ist es der größte Rückschritt | |
in Sachen Meinungsfreiheit seit Gründung der palästinensischen | |
Autonomiebehörde 1994. Ohne parlamentarische Beteiligung erließ Präsident | |
Mahmud Abbas ein Gesetz gegen soziale Medien und Nachrichten-Websites im | |
Westjordanland. Das vage gefasste Dekret ermöglicht Gefängnisstrafen gegen | |
jeden, der die „nationale Einheit“ oder das „soziale Gefüge“ verletzt. | |
Ammar Dweik, Leiter der von der Regierung ernannten Palästinensischen | |
Unabhängigen Kommission für Menschenrechte, spricht von einem der | |
schlimmsten Gesetze in der Geschichte der Autonomiegebiete und „einem | |
großen Rückschlag für die Freiheit im Westjordanland“. Er kritisiert, dass | |
die vorgeblichen Verbrechen schwammig definiert seien und die | |
Sicherheitskräfte weitreichende Befugnisse bei der Strafverfolgung | |
erhielten. | |
Zahlreiche Nachrichtenportale seien bereits gesperrt worden, erklärt Dweik. | |
Die Seiten sind zusammen mit sozialen Netzwerken die wichtigsten Foren für | |
kritische Debatten in der palästinensischen Enklave des von Israel | |
besetzten Westjordanlands. | |
Nach Angaben des Palästinensischen Zentrums für Entwicklung und | |
Medienfreiheit (Mada) blockierte die Regierung im vergangenen Monat 30 | |
Websites. Die meisten davon standen mit den beiden stärksten Rivalen von | |
Abbas in Verbindung, seinem ehemaligen Sicherheitschef Mohammed Dahlan und | |
der radikalislamischen Hamas. Einige wenige Seiten standen der Terrormiliz | |
Islamischer Staat im Irak und in Syrien nahe. | |
## Bereits fünf Journalisten festgenommen | |
Der palästinensische Staatsanwalt Ibrahim Hamodeh bestreitet, dass das neue | |
Gesetz der Unterdrückung von Kritik dienen solle. Es sei vielmehr notwendig | |
geworden, um Cyberkriminelle wie Hacker nicht mehr wie in der Vergangenheit | |
straffrei ausgehen zu lassen. „Mit (einer Beschränkung von) | |
Meinungsfreiheit hat das Gesetz nichts zu tun“, sagt Hamodeh, der im Büro | |
des Generalstaatsanwalts arbeitet. | |
„Das Gesetz stellt Verzerrung, Verleumdung und üble Nachrede unter Strafe“, | |
erklärt er. „Man kann den Präsidenten und seine Politik kritisieren, aber | |
man kann dem Präsidenten oder irgendjemand anderem nicht Verrat vorwerfen | |
oder sich über ihn mit einem Bild oder ähnlichem lustig machen.“ | |
Wegen Verstoßes gegen das Dekret wurden in den vergangenen Tagen auch fünf | |
Journalisten festgenommen, die für Hamas-nahe Medien arbeiteten, wie ein | |
Anwalt des Palästinensischen Journalistenverbandes sagt, der einen der | |
Festgenommenen vertritt. Vier weitere Journalisten wurden wegen | |
regierungskritischer Posts in sozialen Medien zu Vernehmungen einbestellt. | |
Einer von ihnen, der Fotojournalist Fadi Aruri, der für die chinesische | |
Nachrichtenagentur Xinhua arbeitet, erzählt, ihm seien seine eigenen | |
Facebook-Posts gezeigt worden. Beamte hätten ihm gesagt, dass die Behörden | |
besorgt seien, „dass diese Äußerungen zu Unruhen in der Gesellschaft führen | |
könnten“. | |
## Zwei Drittel der Palästinenser wünschen Abbas' Rücktritt | |
Solche Sorgen sind nichts Neues. Menschenrechtsorganisationen haben Abbas | |
und seinem Vorgänger Jassir Arafat immer wieder vorgeworfen, Freiheiten zu | |
beschränken und die Menschenrechte zu verletzen. Die Vorwürfe lauten: | |
willkürliche Festnahmen politischer Gegner, Misshandlung von Häftlingen und | |
Niederschlagung friedlicher Proteste. | |
Das neue Gesetz sieht Haftstrafen zwischen einem Jahr und lebenslang vor | |
für die unterschiedlichsten Vergehen mit digitalen Mitteln. Die Liste | |
reicht von Gefährdung der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung | |
bis zur Verletzung der nationalen Einheit und des sozialen Friedens. | |
Der 82-jährige Abbas erließ das Dekret zu einer Zeit, in der er | |
innenpolitisch stark unter Druck steht. So haben Dahlan und die Hamas ihre | |
alte Feindschaft überwunden. Mit einem geplanten Abkommen zur Machtteilung | |
im Gazastreifen wollen sie sich gegen Abbas verbünden. Dessen Fatah hatte | |
das Gebiet 2007 an die Hamas verloren. | |
Umfragen ergeben immer wieder, dass sich zwei Drittel der Palästinenser | |
Abbas‘ Rücktritt wünschen. Er war 2005 für fünf Jahre gewählt worden, bl… | |
aber im Amt und erklärte, der politische Streit mit der Hamas verhindere | |
Neuwahlen. Als Ergebnis der Spaltung ist das Parlament faktisch | |
handlungsunfähig, so dass der Präsident per Dekret herrscht. | |
## „Ich glaube, sie wollten mich einschüchtern“ | |
Auch sein zentrales Versprechen, in Gesprächen mit Israel die Zustimmung zu | |
einem palästinensischen Staat zu erreichen, konnte Abbas nicht halten. Seit | |
dem Amtsantritt des israelischen Hardliners Benjamin Netanjahu als | |
Ministerpräsident im Jahr 2009 hat sich die Kluft noch vergrößert. Auch | |
eine frühe Ankündigung der Regierung von US-Präsident Donald Trump, sich | |
für eine Wiederbelebung der Nahost-Verhandlungen einzusetzen, verlief | |
offenbar im Sande. | |
Abbas' neuestes Gesetz stößt vor allem wegen seiner Unschärfe auf Kritik. | |
Der Mada-Forscher Ghasi Bani Odeh sagt, das Dekret ermögliche der | |
Regierung, jeden Menschen aus irgendeinem Grund festzunehmen: „Es öffnet | |
die Tür für weitere Verletzungen der Meinungsfreiheit.“ | |
Eines der ersten Opfer war im Juli ein Mitarbeiter des palästinensischen | |
Gesundheitsministeriums in Ramallah, Emad al-Masri. Der 45-Jährige wurde | |
nach eigener Vermutung festgenommen, weil er sich auf Facebook kritisch | |
über Abbas‘ Politik gegenüber der Hamas im Gazastreifen geäußert hatte. | |
„Ich glaube, sie wollten mich einschüchtern und zum Schweigen bringen“, | |
sagt der Fatah-Aktivist. Ursprünglich sollte er mit zwei Jahren Haft | |
bestraft werden, am Ende blieb es aber bei einer Geldstrafe von umgerechnet | |
etwa 110 Euro. | |
Die Menschenrechtsorganisation Al Hak äußert sich besorgt über die | |
Entwicklungen. Direktor Schahwan Dschabarin spricht von einem anhaltenden | |
Trend in Richtung Autoritarismus. „Die palästinensischen Sicherheitsdienste | |
mischen sich in alles ein“, sagt er. „Sie sind zu den Herrschern des Landes | |
geworden.“ | |
15 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Mohammed Daraghmeh | |
## TAGS | |
Palästina | |
Mahmud Abbas | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Social Media | |
Ramallah | |
Palästina | |
Mahmud Abbas | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neues Palästina-Museum in der Westbank: Die Täter sind immer die anderen | |
Im neu eröffneten Palästinensischen Museum von Bir Zait bestimmt die | |
Politik Motiv und Pinselstrich der Jerusalem-Schau. | |
Berichterstattung in Palästina: Keine Spur von Pressefreiheit | |
Mahmud Abbas hat jüngst ein Gesetz erlassen, das die Medien weiter | |
einschränkt. In Gaza geht die Hamas aber noch rigoroser gegen Journalisten | |
vor. | |
Debatte Nahostkonflikt: Alleinherrscher Abbas | |
Der Palästinenserpräsident ist eine Katastrophe für sein Volk. Die | |
Demokratie zerfällt. Das Projekt der Staatsgründung ist nur eine Farce. | |
Aus der Sonderausgabe „Charlie Hebdo“: Feine Freunde von der Straße | |
Solidarität weltweit: Wie steht es um die Pressefreiheit der Länder, deren | |
Staats- und Regierungschefs vor einem Jahr demonstrierten? |