# taz.de -- Debatte Nahostkonflikt: Alleinherrscher Abbas | |
> Der Palästinenserpräsident ist eine Katastrophe für sein Volk. Die | |
> Demokratie zerfällt. Das Projekt der Staatsgründung ist nur eine Farce. | |
Bild: Mahmud Abbas (vorne) ähnelt immer mehr seinem Vorgänger Jassir Arafat (… | |
Eine Gruppe israelischer Aktivist*innen der Initiative „Zwei Staaten – eine | |
Heimat“ war nach Ramallah gekommen, um an einem der letzten Ramadan-Abende | |
zusammen mit ihren palästinensischen Partnern das Fasten zu brechen. Sie | |
hatten sich kaum an den Tisch gesetzt, als eines ihrer Autos zu brennen | |
begann. Ein Totalschaden, für den keine Versicherung aufkommt und mit dem | |
ein Zeichen gesetzt werden sollte: Israelis sind nicht willkommen, selbst | |
dann nicht, wenn sie für eine Friedenslösung eintreten. | |
Auch Palästinenser, die sich mit Israelis abgeben, gehen ein Risiko ein. | |
Normalisierung ist unerwünscht. Kontakte mit den Besatzern ist die | |
exklusive Angelegenheit der Chefetage, die nur verhandelt, wenn eine | |
politische Lösung realistisch in Aussicht steht – wofür wiederum Dritte die | |
Garantie übernehmen sollen. | |
Absurd dabei ist nur, dass Kooperation mit dem Besatzer ausschließlich auf | |
der Sicherheitsebene stattfindet. Berührungspunkte zwischen den beiden | |
Seiten gibt es nur noch dann, wenn palästinensische Sicherheitskräfte mit | |
der israelischen Armee gegen Extremisten und Terrorverdächtige vorgehen. | |
Den Auftrag dazu erteilt in letzter Instanz Palästinenserpräsident Mahmud | |
Abbas – wohl kalkulierend, dass er mit den israelischen Soldaten im Rücken | |
die Islamisten im Westjordanland nicht zu fürchten braucht. | |
## Gnadenlos Kritiker kaltgestellt | |
Mahmud Abbas gilt als launisch. Der Chef der Palästinensischen | |
Autonomiebehörde ist leicht zu erzürnen und sagt bisweilen Dinge, die er | |
selbst nicht glaubt. So kündigt er einmal an, er wolle von seinem Posten | |
als Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) | |
zurücktreten, und ein anderes Mal droht der 81-Jährige mit der Aufkündigung | |
der Friedensvereinbarungen. | |
Solange Israel das Abkommen verletze, klagte er, fühle er sich selbst auch | |
nicht länger daran gebunden. Die Auflösung der Autonomiebehörde stehe zur | |
Debatte. Entweder die Israelis zögen sich aus dem „Staat Palästina“, wie … | |
auf Anordnung von Abbas seit drei Jahren offiziell heißt, zurück, oder er | |
werde die Verantwortung abgeben. Völlig abwegig: Das Einzige, was der seit | |
23 Jahren andauernde Friedensprozess gebracht hat, ist die | |
Selbstverwaltung. Davon abzulassen käme einer Bankrotterklärung gleich. Die | |
Drohungen des Präsidenten sind nicht ernst zu nehmen. Was tatsächlich | |
passiert, ist genau das Gegenteil. | |
Gleichzeitig bringt Abbas die Kritiker zum Schweigen und festigt seine | |
Alleinherrschaft – ungeachtet der Tatsache, dass das Volk seiner schon | |
lange überdrüssig ist. 64 Prozent der Palästinenser wünschen sich nach | |
einer Umfrage des Palästinensischen Zentrums für Politik und | |
Meinungsforschung (PSR) den sofortigen Rücktritt des Präsidenten. Doch seit | |
zehn Jahren tagt das Parlament nicht mehr, und Abbas regiert seit sieben | |
Jahren ohne demokratisches Mandat. | |
Immer mehr Millionen Euro aus den Zuschüssen der Europäischen Union, die | |
den palästinensischen Verwaltungsapparat großzügig mitfinanziert, fließen | |
in den persönlichen Schutz von Abbas. Der palästinensische Präsident hat | |
sich zu einem Diktator entwickelt. Sein Herrschaftsgebaren in der Mukataa, | |
dem Präsidentensitz in Ramallah, ähnelt immer mehr dem seines Vorgängers | |
Jassir Arafat; beispielsweise, wenn er seine Getreuen um sich schart und | |
diejenigen schasst, die mit seiner Politik nicht einverstanden sind. Salam | |
Fajad, der als Regierungschef der Bevölkerung mit radikalen Reformen mehr | |
Transparenz, mehr Staatlichkeit und ein Wirtschaftswachstum von | |
chinesischem Ausmaß brachte, bekam die Wut von Abbas ebenso zu spüren wie | |
Jassir Abed Rabbo, einst enger Vertrauter des Präsidenten und Chef des | |
PLO-Exekutivkomitees. Bis Abbas ihn aus dem Amt entließ. | |
Der Palästinenserpräsident redet von seinem Abschied aus der Politik, dabei | |
gibt es noch nicht einmal einen Stellvertreter, der das Amt temporär | |
übernehmen könnte, und sei es nur für den Fall gesundheitlicher Schwächen | |
des alten Mannes. Sollte Abbas unvermittelt abtreten, würde bis zu | |
Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen der Parlamentspräsident einspringen | |
müssen. Aktuell hält Hamas-Funktionär Abd al-Asis Duwaik dieses Amt, und | |
der verbringt seit Jahren mehr Zeit hinter Gittern als in Freiheit. | |
## Frust und Überdruss im Volk | |
78 Prozent der Palästinenser glauben laut der PSR-Untersuchung, dass die | |
Führung korrupt ist, und gerade mal 17 Prozent sind davon überzeugt, dass | |
die palästinensischen Medien Pressefreiheit genießen. Die Frustration über | |
den mächtigen Mann rührt von seiner Alleinherrschaft, die er nicht einmal | |
dazu nutzt, die brennenden Probleme anzugehen. Abbas’ fast zwölfjährige | |
Amtszeit zeichnet sich aus durch einen Mangel an Visionen, Ideen und | |
Lösungsvorschlägen – nicht nur für die Befreiung von der Besatzung, sondern | |
auch für die internen Probleme, den Konflikt der beiden konkurrierenden | |
Bewegungen Fatah und Hamas, den Zerfall demokratischer Strukturen und die | |
marode Wirtschaftslage. | |
Abbas sitzt die Probleme aus nach dem Motto: Nach mir die Sintflut! Wären | |
die Perspektiven ohne ihn nicht noch düsterer, könnte man sich Israels | |
umstrittenem Verteidigungsminister und Rechtsaußen Avigdor Lieberman | |
anschließen, der sagt, Abbas sollte lieber heute als morgen abtreten. | |
138 UN-Mitgliedstaaten erkennen Palästina an und setzen damit das richtige | |
Signal, dass den Palästinensern ein Staat zusteht. Für das palästinensische | |
Volk jedoch, das sich mit seiner ziellosen Führung kaum noch identifizieren | |
kann, das konfrontiert wird mit einer politisch und wirtschaftlich | |
trostlosen Situation und dem geografisch-ideologischen Riss zwischen dem | |
Westjordanland und dem Gazastreifen, wird das nationale Projekt zunehmend | |
zur Farce. | |
Der Hauptfeind ist für die meisten noch immer die Besatzung. Die | |
Unterstützung von Gewaltanschlägen gegen Israel wächst. Gut jeder zweite | |
Palästinenser tritt bereits für die Rückkehr zum bewaffneten Kampf ein. | |
Doch der nächste Aufstand könnte sich auch gegen die eigene Führung | |
richten. Vor allem in den Reihen der palästinensischen Sicherheitskräfte | |
brodelt der Unmut über den Auftrag, die eigenen Leute unter Kontrolle zu | |
halten, damit Abbas und die Besatzer ruhig schlafen können. | |
16 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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