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# taz.de -- Kalifornischer Indie-Plattenladen Amoeba: „MP3s klingen einfach s…
> Vor 25 Jahren eröffnete der erste Amoeba Store in Kalifornien. Mitgründer
> Marc Weinstein über Schatzsuchen, iTunes und die Liebe zum Vinyl.
Bild: Millionen von Titeln, täglich wechselndes Sortiment: Amoeba-Store in Hol…
Ein sonniger Donnerstagmittag in Hollywood. Schicke alte Herren, tätowierte
Jugendliche, asiatische Touristen strömen in den zweistöckigen Amoeba Store
am Sunset Boulevard, wühlen sich durch die Millionen von CDs, Platten,
Bücher, Poster, DVDs, die nach Genres sortiert sind. Marc Weinstein
spaziert herein, begrüßt seine Mitarbeiter. Er möchte im Backstage
sprechen, einem kahlen Raum mit einer Ledercouch und Paletten voller
Wasserflaschen. Hierhin ziehen sich die Bands zurück, die bei den
regelmäßigen Livekonzerten im Store auftreten.
taz: Herr Weinstein, vor 25 Jahren haben Sie mit zwei Freunden in Berkeley
den ersten Amoeba Music Store aufgemacht. Inzwischen gibt es drei Filialen
in Kalifornien. Wie kann ein Indie-Plattenladen 2015 noch überleben?
Marc Weinstein: Unsere Läden sind relativ groß, wir haben viel Auswahl an
alten und neuen Sachen, gebrauchten Vinylplatten und CDs und natürlich
tolles Personal. Allein hier in L. A. arbeiten etwa 220 Leute, die alle
totale Plattennerds oder selbst Musiker sind. Sie haben ein unglaubliches
Wissen in allen möglichen Genres, man kann in diesem Laden viele
interessante Gespräche führen.
Ich denke, das ist der Grund, warum Leute immer wieder hierher
zurückkommen. Hinzu kommt, dass die Erfahrung, in einen Plattenladen zu
gehen, einfach so einzigartig ist, dass es noch genügend Menschen anzieht.
Inwiefern einzigartig?
Es ist diese Schatzsuchenlogik, die die Kunden fasziniert. Man stöbert
durch den Laden, stößt auf tolle Covers, hört in etwas rein. In einem
Plattenladen ändert sich das Sortiment täglich. Alles, was online
auffindbar ist, folgt dagegen einem Algorithmus, es ist vorprogrammiert,
welche Entdeckungen einem zustehen und welche nicht. Man hat nicht das
Gefühl, dass man Dinge auf natürliche Weise entdeckt.
Haben Sie jemals darüber nachgedacht, ins digitale Geschäft einzusteigen?
Klar, wir haben sogar sehr viel Zeit und Geld in den Aufbau einer sehr
schönen Website investiert, nur um am Ende herauszufinden, dass die Major
Labels mit uns über ihre Lizenzen gar nicht erst verhandeln wollen. Wir
hätten zwar einen Katalog von Millionen von Independent-Musikern gehabt,
aber nicht die Mittel, um die wichtigsten Lücken zu füllen, etwa mit Led
Zeppelin oder John Coltrane. Das sind die Sachen, die die Leute immer
suchen werden.
Es fehlte also an Geld?
Klar. Wenn wir ins Geschäft mit der digitalen Musik einstiegen, würden wir
mit den profitorientierten Giganten der Branche konkurrieren. Das sind
Wallstreet-Unternehmen, die es sich leisten können, dass ihre Gewinne um
mehrere hundert Millionen einbrechen, weil sie zwei Quartale später wieder
mehrere Millarden einnehmen werden. Und dieses Spiel können wir nicht
mitspielen, das ist unmöglich.
Leider hatten wir nie die Möglichkeit, den Independent Online Store zu
gründen, von dem wir geträumt haben. Aber das heißt ja im Endeffekt, dass
jeder andere Indie-Plattenladen auf der Welt auch daran scheitern wird.
Was bedeutet das konkret für die Musikkultur?
Es bedeutet, dass gewisse Unternehmen bestimmen, welche Daten den Leuten
zugänglich gemacht werden. iTunes zum Beispiel gibt dir keinen Kontext zu
den Daten, die sie dir verkaufen. Sie sagen dir nur, was du als Nächstes
kaufen sollst. Streaming treibt das noch mal auf die Spitze, finde ich. Da
geht es um pure Bequemlichkeit.
Du brauchst nicht einmal zu wissen, welche Künstler gerade gespielt werden,
geschweige denn, wo sie herkommen. Sie sollen nur den Zweck erfüllen, einer
bestimmten Stimmung zu entsprechen, nicht mehr und nicht weniger. Das steht
sehr im Gegensatz zu meinem Verständnis vom Musikhören.
Wie hören Sie Musik?
Für mich ist es ein erhabenes Ereignis, eine Vinyl-LP anzuhören. Unsere
Stammkunden sehen das ähnlich. Sie hört sich besser an und ist nach den
Vorstellungen des Künstlers kuratiert worden. Sich hinzusetzen und eine
Seite der LP durchzuhören bringt dich dem Künstler und der Kunst so viel
näher als alles, was du dir online reinziehst.
War so ein Plattenladen denn 1990, als Sie den ersten Amoeba Store in
Berkeley eröffneten, noch ein florierendes Geschäftsmodell?
Oh nein, das war der Beginn der ersten Welle von
„Kategorien-Killer-Stores“. Damit meine ich die großen Elektromärkte, die
die ganzen Videoläden ausgerottet haben. Da fing es schon an, dass die
kleinen Plattenläden und -ketten schwächer wurden. Viele Leute haben uns
für verrückt gehalten, als wir in dieser Zeit mit Amoeba anfingen.
Gab es einen bestimmten Zeitpunkt in den vergangenen 25 Jahren, zu dem sie
einen deutlichen Einbruch der Plattenverkaufszahlen bemerkten?
Es ist sehr unterschiedlich von Laden zu Laden, weil alle drei Standorte
sehr unterschiedliche Klientelen bedienen. Der Berkeley Store ist mitten im
Universitätsviertel, unsere Kundschaft bestand schon immer aus Studenten.
Er war der erste Laden, bei dem man Anzeichen vom Verfall des Marktes
spürte.
Womit hing das zusammen?
Die Studentenschaft hat sich sehr verändert. Inzwischen sind viele
Business- und Ingenieurstudenten in Berkeley, die sind nicht so
interessiert an Platten wie etwa die vorigen Generationen. In den
80erJahren repräsentierte Berkeley noch eine Art Mekka für Plattennerds. In
den späten 90ern gab es kaum noch Leute, die sich für das Thema
interessiert haben.
Was uns am meisten getroffen hat, war die Bequemlichkeit, die gesamte
Musikkollektion auf dem Handy zu haben. Das und Amazon haben sich in
Berkeley auf jeden Fall bemerkbar gemacht.
Und wie läuft es in San Francisco und L. A.?
Der Store in San Francisco zeigt jetzt erst einen schleichenden Einbruch,
aus ein paar ähnlichen Gründen, aber es ist noch okay. Der Laden in L. A.
dagegen zeigt überhaupt keinen Rückgang, das ist eine Musikstadt, die eine
sehr interessante Geschichte hat, was die Plattenindustrie angeht. Jeder
liebt Platten, also die Idee des Vinyls, aber auch das Produkt selbst.
Das ist auch der Grund, warum ich nun seit zwei Jahren auch selbst in L. A.
lebe, vorher war ich 32 Jahre lang in der Bay Area. Ich wollte hier unten
sein, wo die ganze Action ist.
Wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag für Sie aus?
Ich bin schon immer der Käufer gewesen, ich ziehe also seit Jahren durchs
Land und schaue mich nach Plattensammlungen um. Ich versuche aber, zwei bis
drei Tage pro Woche in einem der drei Läden zu sein, damit mich alle meine
Mitarbeiter kennen und jederzeit ansprechen können.
Ich bin schon eher der soziale Typ, mein Partner Dave hat seine Stärken
eher in den Zahlen und beim Rechtlichen. Keiner von uns beiden ist wirklich
ein Unternehmertyp, aber wir ergänzen einander ganz gut.
Wo finden Sie die gebrauchten Platten, die bei Amoeba erhältlich sind?
Ich bin überall in den Staaten unterwegs, um mir das Inventar schließender
Läden anzuschauen oder den Nachlass von verstorbenen Sammlern. Oder von
Sammlern, die sich entschließen, in ihrem Leben einen neuen Weg
einzuschlagen.
Ich fliege morgen früh zum Beispiel nach New York, um mir etwa 6.000
Platten anzuschauen, unter denen es sicher viele Raritäten geben wird. Der
Vater des Sammlers war nämlich ein sehr berühmter Labelchef. Aber seine
Frau will die Dinger einfach aus dem Haus haben, also muss er sie
loswerden. Es gibt eine Zeit und einen Ort für die große Sammlerphase, bei
vielen endet sie irgendwann.
Haben Sie eigentlich einen iTunes-Account?
Nein, das Zeug fasse ich nicht an. Es ist natürlich eine
Prinzipienangelegenheit, aber um ehrlich zu sein, geht es auch darum, dass
ich nicht noch stärker abgelenkt sein will, als ich es ohnehin schon bin.
Für mich ist es eine der größten Herausforderungen des modernen Lebens,
sich darauf zu konzentrieren, was einen glücklich macht.
Ich habe gar nichts gegen den Computer, meine 17-jährige Tochter hängt auch
ständig am Smartphone. Aber MP3s klingen für mich einfach scheiße. Das
Einzige, was ich verwende, ist YouTube, weil es dort sehr viele rare
Konzertausschnitte gibt.
14 Dec 2015
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
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