# taz.de -- Heute ist Record Store Day: Die Welt ist eine Scheibe | |
> Ihr Tod galt als sicher. Doch die Schallplatte feiert Renaissance. Darum | |
> gibt es weltweit den Record Store Day. Auch in Berlin beteiligen sich | |
> viele Läden. | |
Bild: Hier läuft alles rund: Schallplatten sind wieder gefragt. | |
Es muss knistern. Wenn der sanfte Gesang Paul McCartneys, das vorsichtige | |
Zupfen der Gitarre und die Streicher einsetzen, dann muss sich die Nadel | |
langsam durch den zarten Staub hindurcharbeiten und dieses unnachahmliche | |
Geräusch erzeugen. Höre ich den Song „Yesterday“ oder irgendein anderes | |
Stück der Beatles oder Stones, gehört dieses Knistern zum Sound einfach | |
dazu. Die Lieder hören sich falsch an – und es ist geschichtsvergessen –, | |
wenn man sie nicht auf Vinyl hört. | |
Die historische Bedeutung des Mediums Schallplatte als wichtigstes Medium | |
der frühen Rock- und Pop-Ära ist einigermaßen klar. Hört man jedoch | |
aktuelle Hit-Alben, etwa von Kendrick Lamar oder dem Berliner Rapper | |
Marteria, so geht es auch dort los mit typischem Schallplattenknistern und | |
Musikzitaten aus Vinylepochen – auf Alben, die überwiegend digital | |
konsumiert werden. Das Sampeln der altmodischen Plattengeräusche gehört | |
hier dazu. | |
Und nun feiert das Vinyl als aktuelles Medium seit geraumer Zeit ein | |
Comeback. Jahr für Jahr steigen in diesem Segment die Umsätze und Auflagen, | |
wenn auch die Schallplatte immer noch weniger als drei Prozent des | |
Tonträgermarkts ausmacht und zweifelsohne ein Nischendasein führt. Ja, | |
selbst die Musikkassette wird wiederentdeckt. | |
Was finden wir nur an den vergleichsweise umständlichen, sperrigen | |
Formaten? Ist es bloß Nostalgie? | |
Die hat sicher ihren Anteil. Begreift man die Digitalisierung als ähnlich | |
große Zäsur wie den Buchdruck oder die Industrialisierung, könnte man | |
sagen: Wir leben in einem Zeitalter so drastischer Umbrüche, dass das | |
Vergangene in besonderem Maße anziehend auf uns wirkt. Vielleicht so wie | |
vor mehr als 500 Jahren nach der Gutenbergschen Erfindung des Buchdrucks: | |
Beschriebenes Papier oder Papyrusrollen mögen auf damalige Zeitgenossen | |
„echter“ gewirkt haben als diese modernen Bücher. | |
## Haptischer Vorteil | |
„Die Schallplatte ist ein sinnliches Objekt“, sagt Labelbetreiber Maurice | |
Summen im Interview (siehe Interview mit dem Staatsakt-Gründer auf Seite | |
44, 45). Damit ist ein weiterer wichtiger Punkt angesprochen: Wir empfinden | |
Vinylveröffentlichungen – wie Bücher – als schützenswertes Kulturgut, we… | |
man sie anfassen kann und weil sie mit Cover und Booklet eine kohärente | |
Geschichte erzählen. Weil sie überhaupt greifbar sind. | |
„MP3 hat keine Seele“, ist ein anderer Satz, den man häufig hört. Gemeint | |
ist damit nur: Da ist kein abgewetztes Cover, das man betatschen kann, kein | |
leicht modriger Geruch des Covers, man hört nicht das Aufsetzen der Nadel | |
auf die Platte – es gibt nichts, was man anfassen kann. | |
Anlässlich des Record Store Day, bei dem am heutigen Sonnabend kleine | |
Schallplattenläden in den Mittelpunkt gerückt werden und es Extraprogramm | |
und -releases gibt, widmen wir uns dem Thema Vinyl in der Berliner | |
Musikszene. Wir haben jüngst eröffnete Secondhandplattenläden genauso | |
aufgesucht wie Shops, die frisch gepresstes Vinyl unter die Leute bringen. | |
Wir haben mit den Machern – in diesem Fall kaum Macherinnen (siehe Seite | |
13) – gesprochen. Denn auch die Vinylkultur lebt nicht nur von Aktionstagen | |
wie dem heutigen – inzwischen gibt es gar noch eine Plattenladenwoche im | |
November –, sondern von all denen, die Schallplatten lieben. Weil die Welt | |
ohne Knistern ein Stück trister ist. | |
## | |
Dies ist ein Teil des aktuellen Wochenendschwerpunkts in der taz.berlin. | |
Darin außerdem: Ein Rundgang durch die besten Plattenläden Berlins und ein | |
Interview mit dem Chef des Labels Staatsakt. In Ihrem Briefkasten und am | |
Kiosk | |
18 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Schallplatten | |
Vinyl | |
Berlin | |
Plattenladen | |
Schallplatten | |
Vinyl | |
Vinyl | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abschied eines Berliner Plattengeschäfts: Ein Laden in der Auslaufrille | |
Nicht nur Vinylnerds kennen den Plattenladen Mr. Dead und Mrs. Free in der | |
Berliner Bülowstraße. 1983 wurde er eröffnet, nun macht er zu. | |
Berliner Label für Unerschrockene: Riskante Musik | |
Mit Corvo Records betreibt Wendelin Büchler ein echtes Liebhaberlabel für | |
Experimentelles – aus dem eigenen Wohnzimmer heraus. | |
Neues Magazin „Mint“: Vinylporn für die Freaks | |
Mit „Mint“ will Herausgeber Michael Lohrmann vom großen Schallplattenboom | |
profitieren. Das Musikblatt dreht sich um Fetisch und Männer. | |
Kalifornischer Indie-Plattenladen Amoeba: „MP3s klingen einfach scheiße“ | |
Vor 25 Jahren eröffnete der erste Amoeba Store in Kalifornien. Mitgründer | |
Marc Weinstein über Schatzsuchen, iTunes und die Liebe zum Vinyl. | |
Comeback der Schallplatte: „Heintje ist voll nach hinten losgegangen“ | |
Christoph Wohlfarth ist Chocolatier. In seiner Manufaktur in Prenzlauer | |
Berg stellt er auch Schokoladen-Schallplatten her. Die sind | |
selbstverständlich abspielbar. | |
Liedermacher Reinhard Mey: "Waldeck war Sehnsucht" | |
Lieder, die nicht so piefig waren wie Schlager, wurden in den Sechzigern | |
auf einer Burg im Hunsrück gespielt. Als die Politik kam, war alles aus. | |
Reinhard Mey erinnert sich. |