# taz.de -- Ein Schallplattenladen auf dem Land: Rillen wie Ackerfurchen | |
> Schallplatten gelten in Großstadt-Boutiquen als heiße Ware. Aber die | |
> richtigen Nerds treffen sich auf einem Bauernhof im Allgäu zum | |
> Fachsimpeln. | |
Bild: Dieser Bauerhof ist ein Ort, an dem Schallplatten und Hifi-Equipment verk… | |
ALTUSRIED taz | Die Zahlen sprechen für sich: 2014 wurden in Großbritannien | |
das erste Mal seit den Neunzigern wieder mehr als eine Million Tonträger | |
verkauft. Auch anderswo sind Presswerke mit Aufträgen für Vinyleditionen | |
auf Monate hinaus ausgebucht. An Weihnachten verkaufte ein großer | |
britischer Equipment-Hersteller im Durchschnitt einen Plattenspieler pro | |
Minute. Der Schallplattenspieler, so verkündete der Chef des Unternehmens, | |
sei das definitive Geschenk. Musikzeitschriften veröffentlichen pralle | |
Revival-Geschichten. Nur Neil Young mosert: Alles Quatsch! | |
Wie dem auch sei, Vinyl ist wieder in aller Munde. Die Industrie reagiert, | |
veröffentlicht überteuerte Nachpressungen und bietet sie in schicken | |
Boutiquen feil. Die Schallplatte ist wieder zu einem lukrativen | |
Geschäftsmodell geworden. | |
Es gibt einen Ort, der sich nicht weniger für die Hipness seiner Klientel | |
interessieren könnte. Ein Ort, an dem Schallplatten und Hifi-Equipment | |
verkauft werden, Musik- und Filmabende stattfinden – inmitten der | |
dörflichen Peripherie. Ein Bauernhof mit Blick auf die Felder des Illertals | |
im bayerischen Allgäu. Enten schnattern, manchmal schaut die Hauskatze | |
vorbei. Ansonsten läuft laute Rockmusik. | |
Man könnte den Hof leicht übersehen, weiterfahren ins Schwäbische | |
Bauernmuseum, wo es Ausstellungen zu „Tierglocken aus aller Welt“ gibt. Der | |
Bauernhof gehört zum Markt Altusried, eine kleine Marktgemeinde im | |
Oberallgäu mit Blick auf die verschneiten Berggipfel der Alpen. In der | |
Dorfwirtschaft gibt es Schnitzel, die vom einen Tellerrand über den anderen | |
ragen, am Nebentisch stammtischlern Männer über Flüchtlinge, kerniger | |
Dialekt. | |
Kirchenglocken statt Verzerrer. Es ist eine Umgebung, die nicht weiter | |
entfernt sein könnte von Schweiß und Dreck aus 50 Jahren Popmusik. Wie | |
kommt man auf die Idee, genau hier ein Geschäft aufzumachen, das | |
Schallplatten anbietet? Wer kommt zu den Musik- und Filmabenden, auf denen | |
der Besitzer Dietmar Sutter erst unbekannten Psychedelikrock aus den | |
Sechzigern, dann Jazz, schließlich mexikanische Barockmusik auflegt? | |
## Übertrifft jedes Bescheidwissen-Gespräch in den Kneipen | |
Ein Abend im Winter. Die Stuhlreihen in einem Raum des Hifi-Bauernhofs sind | |
belegt, etwa 20 Menschen sind gekommen. Sutter legt auf, was ihm spontan in | |
den Sinn kommt. Garagerock, Klassik, Jazz. Alles Preziosen, eine | |
körperliche Erfahrung. Die Musik wird an diesem Abend auf einer | |
riesenhaften, zentral aufgestellten Anlage gespielt, die wie ein Altar | |
anmutet. Im Moment, in dem die Plattennadel aufgesetzt wird, herrscht | |
Stille. Dann läuft die Platte und die Hörer lauschen auf den Sitzen, | |
aufgeregt oder ganz versunken. | |
Wäre man nicht dabei, man könnte nicht glauben, was sich hier gerade | |
abspielt. Der Musiktreff auf einem Allgäuer Bauernhof übertrifft die | |
Nerdigkeit jedes Bescheidwissen-Gesprächs in den Kneipen der Großstädte um | |
ein Weites. Zwischen den Songs diskutieren die Besucher über Details: Wann | |
das Stück wo von wem aufgenommen wurde, was es für Pressungen gibt. Es sind | |
hauptsächlich Männer mittleren Alters, sie tragen Funktionskleidung, | |
arbeiten als Zimmerer und Ingenieure. | |
Schallplattenhören macht süchtig. Sutter selbst benutzt immer wieder diese | |
Terminologie, spricht davon, wie er von einem Freund mit 12 Jahren | |
„angefixt“ wurde, Schallplatten zu sammeln. | |
Hängt man einmal an der Nadel, gibt es kein Zurück mehr. Der beste Stoff | |
ist der, den man sofort haben muss. Sutter meint etwa „L. A. Woman“ von den | |
Doors. Er spielt den Song in unterschiedlichen Versionen vor. Die Single | |
mit 45 Umdrehungen klingt weitaus besser als die Aufnahme auf der LP mit | |
33. 45er werden mit deutlich größerem Rillenabstand geschnitten, was mehr | |
Raum für Dynamik lässt, erklärt Sutter. Wie es in seinem Dialekt heißt: | |
„Rillen wie Ackerfurchen, da koscht die neiflacka (da kannst du dich | |
reinlegen)!“ | |
## Kräutertee statt Bier | |
Sutter entspricht nicht dem Klischee vom angejahrten Rockmusikfan. In einem | |
Raum des Hifi-Bauernhofs wurde er geboren, mehrere Jahre hat er den | |
angrenzenden „richtigen“ Bauernhof geführt. Statt Bier trinkt er | |
Kräutertee. Und belegt detailliert, warum er den Klang von Schallplatten | |
bevorzugt: „Der Mensch hört analog. Umso weniger du dazwischenspeicherst, | |
desto besser klingt es. Ein analoges Signal ist das Beste, das | |
Natürlichste. Ein digitales Signal wird in Plus und Minus zerstückelt. | |
Während dieser Zerstückelung der Klangwelle in Einzelsignale geht in der | |
Wiedergabe viel kaputt.“ | |
Wer ein digitales Signal so gut klingen lassen will wie ein analoges, muss | |
mit mindestens 32 Bit rechnen. „Das ist schon ein richtig großer Server“, | |
erklärt Sutter, „und den kann sich kein Mensch leisten.“ Inzwischen lassen | |
sich zwar hochwertige digitale 24-Bit-Kopien kaufen, aber die Musik liegt | |
dann irgendwo auf einem Server in den USA. Bis die Musik zu Hause auf dem | |
Router ist, ist schon viel verloren gegangen. Der Datenweg ist lang. Und | |
wenn die Musik endlich auf dem Computer ist, spielt sie immer noch nicht | |
auf der Stereoanlage. „Da gibt’s auch wieder Verluste.“ In der Theorie al… | |
kann ein digitales Signal ebenso gut klingen wie ein analoges. Praktisch | |
gesehen seien Schallplatten aber die bessere Lösung. | |
Trotzdem ist Plattenhören vor allem eine optische, haptische und emotionale | |
Angelegenheit. Es ist schön, der Intimität des Plattenspielens nachzuspüren | |
und damit einer Zeit, in der Musikhören noch der Lebensmittelpunkt aller | |
Jugendlichen war. Sutter erzählt, wie er früher zusammen mit seinen | |
Freunden alte Radios von der Müllhalde geholt hat, um daraus Verstärker und | |
Lautsprecher zu bauen. Wie er nach der Schule die Schallplattenläden | |
abgeklappert hat und jedes verdiente Geld in Neuerwerbungen steckte. | |
„Wenn du die Platte auflegst und es anfängt zu knistern, steigt das Gefühl | |
deiner Jugend in dir hoch“, erklärt mir ein anderer Schallplattenliebhaber, | |
der gerne 60 Kilometer aus einem kleinen Dorf für die Musikabende nach | |
Altusried fährt. Er ist wie Sutter Mitte 50. Auf ihn trifft zu, was Sutter | |
als einen Grund für das Vinyl-Revival nennt. Leute, die in den siebziger | |
Jahren Schallplatten gesammelt haben, haben inzwischen oft erwachsene | |
Kinder und können sich wieder alten Interessen widmen. Viele entdecken ihre | |
Liebe zur Musik wieder. Und geben sie an ihre Kinder weiter. | |
## Es geht ums Verkaufen | |
Frage an eine junge Frau, die in einer Altusrieder Dorfwirtschaft arbeitet. | |
Ob sie den Hifi-Bauernhof kennt? „Klar, den kennt jeder. Die leihen meinen | |
Freunden oft Anlagen für Partys aus.“ Sie mag den Laden, auch wenn sie | |
selbst noch nie da war. | |
Der Hifi-Bauernhof existiert seit 1979, das Geschäft lief immer gut, auch, | |
als Mitte der Neunziger die Plattenverkäufe einbrachen. Sutter und seine | |
Kollegen haben sich schließlich nie speziell auf den Plattenverkauf | |
fokussiert. Konzeptionell bedient der Hof eine Leerstelle. | |
Hifi-Zeitschriften lesen sich wie Werbeprospekte, deren Besprechungen sich | |
nach den Werbekunden richten. Objektive Beratung gibt es nicht. Viele | |
Hifi-Läden fokussieren sich wiederum vor allem auf den technischen Aspekt. | |
Die meisten haben vielleicht 20 Vorführplatten, „und die werden dann halt | |
jeden Tag ragnudlat (heruntergenudelt)“, wie Sutter sagt. | |
Es geht ums Verkaufen. Schallplattenhändler versuchen, billig Sammlungen | |
aufzukaufen und sie für übertriebene Einzelpreise wieder auf den Markt zu | |
bringen. Einen Laden, der gleichzeitig Beratungszentrum und | |
Kulturinstitution mit Wissensaustausch ist, gibt es in Deutschland kein | |
zweites Mal. Es ist witzig, dass er sich nicht in Berlin oder Köln | |
befindet, sondern zwischen Kuhherden im Allgäu. | |
Man befindet sich hier auf einer kleinen Insel. Wo keine Verkaufszahlen | |
dominieren, sondern die Begeisterung zählt. Wo einem noch ein bisschen | |
klarer wird, warum die Schallplatte gerade eine Renaissance erlebt. Und | |
warum es unzählige Gründe gibt, sich darüber zu freuen. | |
14 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Lisa forster | |
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