# taz.de -- Ein Label nur für Singles: Alles, was Radau macht | |
> Auf seinem Label Troglodyt veröffentlicht Olé Verstand ausschließlich | |
> Lieblingsstücke auf Vinyl-Singles in 500er-Auflage. | |
Bild: Cover von Rocket/Freudentals Single „Ich bau Scheiße“. | |
Die meisten Plattenfirmen, die irgendwann richtig groß und millionenschwer | |
wurden, haben mal klein angefangen und waren da noch weniger am Geld denn | |
an guter Musik interessiert. Selbst Virgin, längst ein Riese in der | |
Branche, wurde mal geleitet von der Idee, ein Zuhause für interessante | |
Musiker zu sein. Dann kamen Mike Oldfield und der gigantische Erfolg, und | |
irgendwann galt auch dort als gut, was viel einbrachte. | |
Eine derartige Entwicklung ist bei dem kleinen Berliner Label | |
[1][Troglodyt] nicht zu befürchten, zumindest deutet derzeit wirklich | |
nichts darauf hin. Denn verschrobener und am Markt vorbei operierender | |
könnte eine Plattenfirma kaum sein als der Laden, den sich Olé Verstand | |
aufgebaut hat, der auch einen bürgerlichen Namen hat, aber meint, der tue | |
eigentlich nichts zur Sache. | |
Er empfängt in den Räumlichkeiten des Berliner Labels Staatsakt in | |
Prenzlauer Berg, das eigentlich auch nur eine Klitsche ist, aber mit | |
Hausacts wie Ja, Panik! oder Isolation Berlin gegenüber Troglodyt wie eine | |
Super-Major-Plattenfirma wirkt. Olé Verstand hat bei Staatsakt seinen | |
Laptop aufgebaut und darf von deren Büro aus sein eigenes kleines Imperium | |
leiten. Was er sonst bei Staatsakt macht, wird nicht ganz klar, er läuft | |
dort als „ehrenamtlicher Mitarbeiter“. | |
## Nicht im Laden | |
Obwohl Olé Verstand eigentlich Psychologe ist, macht er seit einer Weile | |
als Familienvater auf Hausmann und wollte es nebenbei eben mal mit einem | |
eigenen Label versuchen. Deswegen habe er als Mittvierziger ein Praktikum | |
bei Staatsakt gemacht, erzählt er, wobei man sich kaum vorstellen kann, | |
dass ihm dort ernsthaft beigebracht wurde, ein Label so zu führen wie er | |
das nun tut. Denn Troglodyt, was so viel wie Höhlenmensch heißt, | |
veröffentlicht ausschließlich Vinyl-Singles. Erhältlich sind diese nicht im | |
Plattenladen, sondern über die Internet-Plattform Bandcamp. | |
Auf den Singles landen auch keine unveröffentlichten Stücke hoffnungsvoller | |
Nachwuchsacts, sondern bereits erschienene, aber eben nicht auf dem Format | |
Vinyl-Single, sondern etwa auf CD oder Online, was für einen beinharten | |
Vinyl- und Single-Fan wie Olé Verstand gleichbedeutend ist wie | |
unveröffentlicht. Eine weitere Spezialität des Hauses ist, dass auf jeder | |
Seite der Singles zwei unterschiedliche Acts zu hören sind. Außerdem können | |
die Stücke gern aus Berlin und gern auch deutschsprachig sein. | |
Das ergibt zusammengenommen ein ziemlich schrulliges Labelprofil, was Olé | |
Verstand wahrscheinlich nicht so sieht, denn dieses ist eben ganz auf | |
seinen Geschmack zugeschnitten. Da er selbst Kneipen-DJ ist, der bevorzugt | |
Singles auflegt, war es ihm ein Bedürfnis, bestimmte Lieblingsstücke für | |
den Eigengebrauch auf eine Single zu packen. Von diesen Singles ließ er | |
einfach ein paar mehr pressen – 500er-Auflagen, um genau zu sein – und | |
schon hatte er ein Label. | |
## Subkultureller Irrsinn | |
Vier dieser sogenannten Split-Singles hat er bereits veröffentlicht. Zu | |
hören sind auf diesen Stücken von Acts wie Electronicat, Doc Schoko, | |
Rocket/Freudental oder Ill Till &Xberg Dhirty6 Cru, einem Projekt des | |
Berliners Patric Catani. Musikalisch geht es also von Wumms-Electronic über | |
Neo-Punk bis hin zu verstrahltem HipHop. Olé Verstand steht auf alles, was | |
irgendwie Radau macht und lustig ist. Das Programm für die nächsten | |
Veröffentlichungen steht schon. Stücke von den Duisburger Satire-Punkern | |
Eisenpimmel und den NDW-Dadaisten Der Plan warten darauf, endlich auf | |
Singles von Troglodyt zu landen. | |
Was Olé Verstand mit seinem Label macht, ist letztlich die Fortführung | |
seiner früheren Aktivitäten im Kontext Musik und subkultureller Irrsinn. | |
Anfang der nuller Jahre war er einer der Mitbetreiber des sagenumwobenen | |
Mitte-Clubs Bad Kleinen, einem der wildesten Ausgehschuppen, die Berlin je | |
hatte. Das Bad Kleinen war „ein Laden, bei dem die Leute fragten: Ist das | |
jetzt ernst gemeint?“, so formuliert es Olé Verstand. | |
Im Bad Kleinen, das ein Nomadenclub war, sah es immer so aus, als würde man | |
eine Abrissparty feiern, leere Bierflaschen lagen auf dem Boden rum, und | |
niemand machte die Toiletten sauber, hier gab es Berlin-Chic von der | |
allerkaputtesten Sorte. Und statt Techno spielten meist irgendwelche | |
krawalligen Rockbands. 2004, nach drei Jahren, war dann Schluss mit dem | |
Laden, „auch weil uns allen die Idee gefehlt hat, das Ganze auf | |
wirtschaftlich tragfähige Beine zu stellen“, so Olé Verstand. | |
Wobei das nun wirklich nach einer fadenscheinigen Ausrede klingt. Mit | |
Troglodyt habe er bislang nur Miese gemacht, erzählt der Labelbetreiber | |
durchaus glaubhaft, und trotzdem zieht er die Sache weiter durch, | |
„zumindest so lange, wie ich das Geld dafür übrig habe“. | |
7 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.troglodyt-schallplatten.bandcamp.com | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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