# taz.de -- Kolumne: Durch die Nacht: Ein Aufreger jagt den nächsten | |
> Ob Hundescheiße, Airbnb, Drogendealer – gegen alles und jeden regt sich | |
> inzwischen Protest, gehen Bürger auf die Barrikaden. Über das neue | |
> Wutbürgertum. | |
Bild: Gegen Straßenschilder kann man auch prima protestieren | |
Mir ist im Grunde genommen eigentlich alles egal, und inzwischen glaube ich | |
fast, ich bin damit der Letzte in Berlin, dem das so geht. Ob Hundescheiße, | |
Airbnb, Drogendealer – gegen alles und jeden regt sich inzwischen Protest, | |
gehen Bürger auf die Barrikaden, während es mir bei all dem nur so geht wie | |
dem Fahrkartenkontrolleur aus dem BVG-Werbespot: Mir doch egal! | |
Einer meiner Bekannte bestreitet inzwischen seinen gesamten Lebensunterhalt | |
damit, Wohnungen über Airbnb zu vermieten. Der macht das professionell und | |
finanziert so sein nicht unglamouröses Rumhängerleben. Soll ich da jetzt | |
wirklich derjenige sein, der ihm ins Gewissen redet, ihm den Begriff | |
„Zweckentfremdung“ nahebringt und ihm sagt: „Danke, dass du dazu beiträg… | |
meinen Kiez zu gentrifizieren?“ Bin ich etwa die Moralpolizei? | |
Illegalen Geschäften nachgehen und dabei ziemlich locker ein paar Euro | |
verdienen – das ist doch eigentlich ein ganz cooler Lebensentwurf, für den | |
man früher in Berlin gefeiert worden wäre! In seinem neuen Roman | |
„Fleischers Blues“ beschreibt Volker Hauptvogel, wie er Ende der 1970er | |
Jahre in Berlin allerlei krumme Dinger gedreht hat, um einigermaßen über | |
die Runden zu kommen. Davon war so einiges politisch unkorrekt, aber man | |
nannte es Punkrock, und niemand regte sich weiter drüber auf. | |
Heute aber wird sich in Berlin über alles aufgeregt. Die Friedrichshainer | |
Bürgerinitiative „Die Anrainer“ zum Beispiel findet sogar, sie habe sich | |
nun lange genug nur aufgeregt und will nun handeln: Mit einer | |
Onlinepetition gegen die Drogendealer auf der Partymeile RAW-Gelände. | |
## Verfehlte Sozial- und Drogenpolitik | |
Ich wohne auch in Friedrichshain, bin auch ein Anrainer, aber die Dealer | |
sind mir wirklich egal. Dass die da sind, hat bestimmte Gründe, die unter | |
anderem mit verfehlter Sozial- und erst recht dummer Drogenpolitik zu tun | |
haben. Darüber kann ich mich schon auch aufregen, aber doch nicht über die | |
Dealer. | |
Grotesk an der ganzen Sache ist, dass diese Bürgerinitiative ausgerechnet | |
im Friedrichshainer Stadtteilbüro angesiedelt ist, das sich damit schmückt, | |
für eine bürgernahe und sozial gerechte Kiezpolitik einzustehen. Eine das | |
Problem ziemlich unterkomplex beschreibende Petition gegen Dealer scheint | |
mir da jedoch nicht sehr sozial gerecht, sondern klingt eher nach Roland | |
Koch reloaded: Hallo, wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben? | |
Aber, wie gesagt, mir ist alles egal, auch die Bürgerinitiative. Sollen die | |
das halt machen mit ihrem Miniaturvolksbegehren, interessiert sich | |
glücklicherweise eh kein Mensch dafür in Friedrichshain. Was allerdings | |
dann wieder dafür spricht, dass doch mehr Berlinern so einiges egal ist, | |
als ich eigentlich dachte. | |
Das Schlimmste am neuen Berliner Wutbürgertum ist aber, dass bei all der | |
permanenten Aufregerei über alles, was einen im Ausleben seines gewohnten | |
Trotts beeinträchtigt, langsam der Blick fürs Wesentliche abhanden kommt. | |
Seit ein paar Tagen hängt direkt an der Warschauer Brücke ein riesiges | |
Plakat, das damit wirbt, dass direkt neben der sogenannten | |
Mercedes-Benz-Arena bis 2018 eine riesige Shoppingmall entstehen soll. | |
Dieses Projekt müsste doch der eigentliche Albtraum des Friedrichshainer | |
Stadtteilbüros sein und nicht die paar Drogenverkäufer ums Eck. | |
Hallo, Friedrichshain!? Da müsste doch eigentlich sofort jemand die | |
Werbetafel beschmieren, verunstalten, verschönern, zerstören, denke ich | |
jedes Mal, wenn ich an dieser vorbeifahre. Aber es passiert gar nichts. Ja, | |
ist denn euch wirklich alles so scheißegal? | |
24 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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