Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Popfestival in Frankfreich: Liberté, egalité, diversité
> „Trans Musicales“ in Rennes ist das wichtigste Festival in Frankreich –
> das erste große nach den Anschlägen. Es kontert Angst mit Vielfalt.
Bild: Pop lässt sich auch im Ausnahmezustand den Spaß nicht verderben.
Lange her, dass beim Frühstück die Rede auf die Blow Monkeys und Wet Wet
Wet kam. Solche britische Popbands also, die selbst bei der gefühlten
750-Jahr-Feier des Achtziger-Revivals keine Berücksichtigung finden werden,
weil sie irgendwie zu cheesy waren und sind. Aber genau diese peinsame
Reinkarnation von blässlicher Cheesyness erklingt am Donnerstagabend, als
die französische Band Her beim Festival „Trans Musicales“ auf dem
Expo-Gelände in Rennes konzertiert. Niemand von der anwesenden
internationalen Journaille und Musikwirtschaft kann sich am nächsten Morgen
die Vorschusslorbeeren erklären, mit denen das Quartett aus Paris bedacht
wurde.
Aber der Reihe nach. Das Festival „Trans Musicales“ geht in die 37.
Ausgabe, es ist immer noch das wichtigste seiner Art in Frankreich. Man
sieht das etwa daran, dass das französische Kulturmagazin Les Inrockutibles
in seiner aktuellen Ausgabe Künstlern, die in Rennes auftreten, Porträts
widmet. Vier Tage Anfang Dezember schaut die Grande Nation in die
bretonische Universitätsstadt. Das Besondere an „Trans Musicales“: Es
treten weithin unbekannte Künstler auf, und die Zuschauer lassen sich
darauf ein. Dieses Jahr gebührt dem Festival besondere Aufmerksamkeit,
schließlich ist „Trans Musicales“ das erste kulturelle Großereignis nach
den Terroranschlägen des 13. November.
Die Zuschauerzahlen sind zwar im Vergleich zu den vergangenen Jahren
zurückgegangen – ein drastischer Einbruch, wie man ihn nach den Anschlägen
bei Veranstaltungen in Paris derzeit erlebt, ist nicht feststellbar. Und so
viel lässt sich sagen, auch das Sicherheitskonzept ist aufgegangen. Wenn
man bedenkt, was es braucht, um bis zu 8.000 Feierwütige zu schützen, dann
funktionieren die Leibesvisitationen an gleich mehreren
Sicherheitsschleusen so dezent wie eben möglich. Auch in den Hallen selbst
patrouillieren Securitys. Und es passt zum Ausnahmezustand im Land, dass in
Rennes am Eingang von Einkaufszentren Taschenkontrollen durchgeführt
werden.
Anders als in Paris, wo anlässlich des Klimagipfels COP21 das
Demonstrationsrecht erschwert wurde, was radikale Umweltschützer auf die
Barrikaden brachte, murren die Festivalbesucher in Rennes nicht über
präventive Maßnahmen. Gleichwohl versucht Béatrice Macé, Koleiterin des
Festivals, in ihrem Grußwort eine Verbindung zum Klimagipfel herzustellen.
Biodiversität sei genauso wichtig wie kulturelle Vielfalt, schreibt sie da.
## Von Neo-Krautrock bis Grime
Mit der Band Her hat jene kulturelle Vielfalt wohl kaum zu tun. Die beiden
Bandlenker Victor Solf und Simon Carpentier wirken in ihren schwarzen
Smokings und Yuppie-Hosenträgern wie Personal aus Bret Easton Ellis’ Roman
„American Psycho“, dazu trägt der Bassist ganz besonders schlimm
anzusehende Haarextensions und ausrasierte Seitenhaare. Und seine
exaltierte Körpersprache passt so gar nicht zum relaxten Lounge-Funk, den
Her darstellen möchten. „Sensuelle Chansons“ sollen die Songs sein, mit
Anleihen bei Frank Ocean. Und nicht mal im Bandnamen steckt ein Hauch von
Subversion.
Etwas subversiver – und sehr viel origineller – geht Klaus Johann Grobe zu
Werke. Das ist kein des Lebens überdrüssiger Sturm-und-Drang-Dichter,
sondern der Name eines Duos aus Zürich, das am Donnerstag im Theater „Ubu“
in der Innenstadt gastiert. Sturm und Drang passt aber insofern zu Klaus
Johann Grobe, weil sich die Musiker mit fliegenden Hallfahnen dem Krautrock
verschrieben haben: Seine prismatischen Psychedelika und der schnurgerade
Motorikbeat bestimmen den Bandsound, der live von einem Gitarristen
unterstützt wird.
Mit der Farfisa-Orgel erzeugt Sevi Landolt Horrormovie-artige Klanggemälde,
dazu singt er zusammen mit dem Drummer Daniel Bachmann lakonische
deutschsprachige Texte. „Baby, lass uns sein“ heißt einer dieser
runtergestrippten Rockpop-Tracks. Erstaunlich, dass Neo-Krautrock
inzwischen besser klingt als die Originale aus den Siebzigern.
Wie schwierig es Talenten fällt, sich zu behaupten, zeigt dagegen am späten
Donnerstagabend das Konzert der Londoner Künstlerin Georgia Barnes. Was war
nicht alles über die 21-Jährige zu lesen gewesen: Begleitmusikerin von Kate
Tempest, Tochter des britischen Dancefloor-Produzenten Neil Barnes
(Leftfield), ehemalige Profifußballspielerin von Queens Park Rangers. Und
jetzt setzt sie zu einer Solokarriere an. Allerdings legt sie in Rennes
beim Versuch, den Stil Grime mit tribalistischen Beats und clubbigen Vibes
zusammenzubringen, eine Bruchlandung hin: All die Euphorie, all die Wucht
gehen ins Leere. Georgia und ihre Begleiter wirken beim Vortrag auf der
Bühne tapsig. Beats und Keyboards bollern, große Gesten misslingen.
Stilwillen bekundet am Freitag das Pariser Trio Camp Claude im „1988 Live
Club“. Wenn die Sängerin und Gitarristin Diane Sanier „Trouble is having
fun“ singt oder „We’re lost and found“ und dazu verschmitzt lächelt, k…
zur Geltung, was bei vielen anderen Künstlern des Festivals gefehlt hat:
Eleganz. Und dann ist da noch Saniers zu kurze schwarze Röhrenjeans und der
weiße Mohair-Pullover, der ihr ein bisschen Flair verleiht. Und wenn man
sich fragt, wo Popmusik mit postkolonialen Wurzeln bleibt: Das Quartett
Midnight Ravers aus Lyon, das später am Freitagabend im Club Le Kenland
auftritt, hat reichlich davon.
## Wenig Popdiskurs, viel Party
Drei der vier Musiker kommen aus der malischen Hauptstadt Bamako, der
Kora-Spieler Madou Diabaté, der Perkussionist Soungallo Diarra und die
Sängerin Fatima Kouyaté. Als „Electro-Mandingue“ bezeichnen Midnight Rave…
ihren Sound, der Lyoner Dominik Peter mischt Beats und flächige
Effektpad-Soundscapes unter die Folk-Klänge der malischen Bandkollegen. Mit
State of the Art hat sein Klangkonzept nichts zu tun, eher wirkt Peter wie
DJ Shadow oder einer jener Beatschmiede der Neunziger. Zum Kern der Band
gehört auch ein bildender Künstler: Beim Konzert zeichnet Emmanuel Prost
Silhouetten der Bandkollegen, die via Kamera auf einer Leinwand gezeigt und
überblendet werden, was den Vocals und den ausschweifenden Sounds
zusätzliche Magie verleiht.
In Zeiten wie diesen freue sie sich über jede positive Nachricht, erklärt
Aude Tillette, Projektmanagerin des französischen Exportbüros in Paris kurz
zuvor bei einem Speed-Dating ihrer Organisation im Kulturzentrum Liberté.
Promoter, Tourveranstalter und Labelmanager sind gekommen, um
Business-Kontakte zu knüpfen. Tillette berichtet, wie die französischen
Unterhaltungsindustrie seit den Anschlägen zu kämpfen hat. Die ersten Clubs
in Paris haben Staatshilfen beantragt. Zudem geht die Angst vor einem
Rechtsruck um, und wie sich am Sonntag bei der ersten Runde der
Regionalwahlen gezeigt hat, nicht unbegründet. Tillette erklärt, die
Anschläge vom 13. November hätten die Menschen gelähmt, das spiele den
Rechtsextremen in die Karten.
Dem Autor und seiner deutschsprachigen Begleitung entbieten am Freitagabend
nahe der Markthalle am Place des Lices zwei Männer den Hitlergruß. Zum
Glück ist auf dem Expogelände am nächsten Abend das Gegenteil zu erleben:
drei junge Frauen, die dringend Tipps brauchen, wie sie beim nächsten
Berlin-Besuch am besten am Türsteher vorbei ins Berghain kommen. Später in
der Samstagnacht tauchen die drei im Green Room, dem Ravezelt auf dem
Expogelände, im Pulk mit anderen Youngstern auf.
Die Crowd geht steil zum Sound der belgischen DJ Raving George (Charlotte
de Witte): Die 25-Jährige aus Brüssel legt ein mit Industrialmusic
angehauchtes Peakhour-Geboller auf, das an die große Benelux-Tradition
zwischen Electronic Body Music (EBM) und Rotterdam-Gabber anknüpft. Wenn
das Festival „Trans Musicales“ 2015 manchmal den Bezug zu aktuellen
Popdiskursen vermissen lässt, so ist hier im Green Room am Samstagnacht die
Party-Gegenwart zu erleben, die die Besucher zum Tanzen bringt.
8 Dec 2015
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Pop
Terroranschlag
Synthesizer
Kate Tempest
Kate Tempest
Popmusik
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Vinyl
Schwerpunkt Rassismus
taz.gazete
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Klaus Johann Grobe: Verdaue den Zeitgeist
Motorisch und kosmisch begabt: Das Schweizer Krautrock-Duo Klaus Johann
Grobe kommt mit dem Album „Du bist so symmetrisch“ auf Tour.
Kate Tempest über HipHop und die Welt: „Das Beste ist, dich zu organisieren�…
Die britische Rapperin genießt die Ruhe der frühen Morgenstunden. Die
Fähigkeit zu Liebe und Empathie führt für sie aus der gesellschaftlichen
Isolation.
Britische Musikerin Kate Tempest: An der Tür zum Ausweg kratzen
Gelegentlich überladen, immer intensiv: Kate Tempest tobt sich richtig aus
– als Rapperin, Lyrikerin und als Romanautorin.
Israelische Popband Cut Out Club: Einzelgänger auf Klassenreise
Die 80er im Blick und auf dem Weg nach vorn: Die zufällig entstandene
israelische Band Cut Out Club hat ein grandioses Debüt vorgelegt.
Nach den Anschlägen in Paris: Razzia und Festnahmen in Brüssel
Von dem mutmaßlichen Paris-Attentäter Salah Abdeslam fehlt weiterhin jede
Spur. Die belgische Polizei nahm jedoch fünf andere Verdächtige fest.
Kalifornischer Indie-Plattenladen Amoeba: „MP3s klingen einfach scheiße“
Vor 25 Jahren eröffnete der erste Amoeba Store in Kalifornien. Mitgründer
Marc Weinstein über Schatzsuchen, iTunes und die Liebe zum Vinyl.
Front National bei den Regionalwahlen: Neues Image für Rassismus
Front-National-Chefin Marine Le Pen hat ihre Partei aus der rechtsextremen
Isolation herausgeführt, ohne deren Ideologie zu verändern.
Musikfestival in Frankreich: Der Sound des Prekären
Musik hören und über das französische Kulturprekariat diskutieren: Zum 36.
Mal traf man sich in Rennes zu den Rencontres Trans Musicales.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.