# taz.de -- Gipfeltreffen EU-Türkei: Erdoğan gewinnt, Merkel verliert | |
> Das Treffen in Brüssel brachte keine festen Zusagen zur Begrenzung der | |
> Flüchtlingszahlen. Die EU-Staaten streiten um eine Milliardenhilfe für | |
> Ankara. | |
Bild: Vertrat Ankara in Brüssel: der türkische Premierminister Ahmet Davutoğ… | |
BRÜSSEL taz | Die Flüchtlingskrise lösen, neue europäische Kontingente für | |
legale Zuwanderung schaffen: Diese Ziele hatte sich Bundeskanzlerin Angela | |
Merkel (CDU) für den EU-Türkei-Gipfel gesetzt. Damit die Türkei weniger | |
Syrer übers Mittelmeer nach Griechenland und Deutschland schickt, war sie | |
sogar eigens zu Staatschef Recep Erdoğan gereist. | |
Doch Erdoğan blieb dem Gipfeltreffen am Sonntag fern. Er schickte seinen | |
Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu vor, um den nach Ansicht vieler | |
Kritiker „schmutzigen Deal“ zu besiegeln. Milliardenhilfen gegen Ruhe an | |
der Flüchtlingsfront – so hatten sich Merkel und EU-Kommissionschef | |
Jean-Claude Juncker die Einigung vorgestellt. | |
Auf den ersten Blick ist diese Rechnung auch aufgegangen. Die EU sagte der | |
Türkei mindestens 3 Milliarden Euro zu, die den geschätzt 2,5 Millionen | |
syrischen Flüchtlingen im Lande zugute kommen sollen. Wenn es den Syrern in | |
der Türkei besser geht, so das Kalkül, werden sie sich nicht mehr so | |
schnell auf die Reise nach Europa machen. | |
Im Gegenzug soll die Türkei verstärkt gegen „illegale Migration“ übers | |
Mittelmeer vorgehen. Ab Sommer 2016 soll sie zudem zurückgewiesene | |
Asylbewerber aus Europa zurücknehmen. „Die Türkei muss ihr Äußerstes tun, | |
um illegale Einwanderung nach Europa aufzuhalten und die Zahl der | |
Flüchtlinge muss erheblich zurückgehen“, sagte Marc Rutte, Regierungschef | |
der Niederlande. | |
## Keine Garantien für Abschottung | |
Doch der „Aktionsplan“, der am Sonntagabend verabschiedet wurde, bietet | |
keinerlei Garantien für die geforderte Abschottung. Er bindet beide Seiten, | |
nicht nur oder vor allem die Türkei. Und für die Begrenzung der | |
„Flüchtlingsströme“ bietet er nur vage Kann- und Soll-Formulierungen. Wie | |
es weiter geht, bleibt jedoch unklar. | |
Muss die Türkei nun die Flüchtlinge von der Überfahrt über die Ägäis nach | |
Griechenland abhalten, zur Not auch mit Gewalt? Oder muss die EU zuerst die | |
zugesagte Finanzhilfe leisten? Selbst Kanzlerin Merkel konnte dies nicht | |
sagen. Es müsse noch darüber diskutiert werden, wer „den ersten Zug macht�… | |
sagte sie nach dem Gipfel. | |
Offen ist auch, wie die EU die zugesagten drei Milliarden finanziert. Aus | |
dem EU-Budget stehen nur 500 Millionen Euro bereit. Über den Restbetrag | |
müssen sich die 28 Staats- und Regierungschefs noch einigen. Auch | |
Deutschland habe noch keine Zusagen gemacht, sagte Merkel. Offenbar will | |
sie die Unklarheit nutzen, um Druck auf die widerstrebenden Osteuropäer zu | |
machen und ihnen mit einem Stopp von EU-Mitteln zu drohen. | |
Und was wird mit den Kontingenten? Darüber will Merkel beim nächsten | |
regulären EU-Gipfel kurz vor Weihnachten reden. [1][Dazu hat sie eine | |
„Koalition der Willigen“ gebildet], der neben Griechenland und Italien auch | |
die Benelux-Staaten, Schweden und Finnland angehören. Bei einem eigens | |
angesetzten Treffen vor dem EU-Gipfel konnte sich der Merkel-Freundeskreis | |
aber auf keine Beschlüsse einigen. | |
## Misserfolg für Merkel und Juncker | |
Selbst das zunächst geplante Kontingent von 400.000 Flüchtlingen, die legal | |
aus der Türkei nach Europa kommen könnten, fand keine Mehrheit. Die | |
Niederlande stellten sich quer, Belgien meldete Sicherheitsbedenken an. „Es | |
wurden keine Zahlen genannt“, betonte Merkel nach dem Treffen. Für sie und | |
Kommissionschef Juncker, der den deutschen Vorstoß unterstützte, war es ein | |
Misserfolg. | |
Feierlaune kam dagegen bei den Türken auf. „Dies ist ein historischer Tag“, | |
sagte Davutoğlu, denn zum ersten Mal in den seit 2005 laufenden | |
Beitrittsverhandlungen sei die Türkei zu einem Gipfel eingeladen worden. | |
Künftig werde sein Land zweimal im Jahr an EU-Spitzentreffen teilnehmen. | |
Große Hoffnungen setzt Davutoğlu zudem in den Beitrittsprozess, der nun | |
„wieder mit Energie geladen“ werde. | |
Bereits im Dezember soll ein neues Verhandlungskapitel geöffnet werden. | |
Dabei geht es um Wirtschaft und Finanzen. Ab Oktober nächsten Jahres | |
könnten türkische Staatsbürger zudem von Visaerleichterungen bei der | |
Einreise nach Europa profitieren. Beides waren zentrale Forderungen von | |
Staatschef Erdoğan, der bereits im Oktober mit großem Pomp in Brüssel | |
empfangen worden war. | |
Nun hat sich Erdoğan weitgehend durchgesetzt. Dass er gerade erst [2][einen | |
russischen Kampfjet über Syrien abschießen ließ] und [3][prominente | |
oppositionelle Journalisten wegen Landesverrats anklagen lässt], wollten | |
ihm die EU-Chefs nicht vorwerfen. Darüber könne man künftig viel besser | |
sprechen als bisher, so Merkel, schließlich werde der Dialog ja nun | |
intensiviert. | |
30 Nov 2015 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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