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# taz.de -- EU-Türkei-Gipfel in Brüssel: Die „Koalition der Willigen“
> Einige EU-Staaten wollen 400.000 Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen –
> und so Osteuropas Widerstand gegen Kontingente überwinden.
Bild: Angela Merkel und Beata Szydlo: Die Kontingent-Frage sorgt weiterhin für…
Berlin/Brüssel taz | Von Kontingenten sprach Angela Merkel nicht. Es gehe
darum, „möglichst schnell illegale Migration durch legale zu ersetzen“,
sagte die Kanzlerin bei ihrer Ankunft zum EU-Türkei-Gipfel am Sonntag in
Brüssel. Doch der Plan, den Merkel und eine Handvoll Staats- und
Regierungschefs bei einer Sondersitzung noch vor dem Gipfel besprachen, ist
nichts anderes als eine Kontingentlösung.
Bis zu 400.000 Flüchtlinge wollen Deutschland, Schweden, die Beneluxstaaten
und wohl auch Frankreich aus der Türkei aufnehmen, hieß es in Brüssel. Die
Idee sei von Merkel gemeinsam mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
entwickelt worden, meldete die [1][Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung].
Die „Koalition der Willigen“ wolle den Widerstand der Osteuropäer
überwinden, die gegen verbindliche Quoten und Kontingente sind.
Dementiert wurde dieser Bericht nicht, im Gegenteil: Juncker sagte am
Sonntag vor Beginn der Beratungen, er sei „sehr dafür“, mit der Türkei ei…
„Umverteilung“ von Flüchtlingen zu vereinbaren. Denn nur so lasse sich die
illegale Einwanderung „maximal stoppen“. Im Gegenzug solle die Türkei, die
2,5 Millionen Flüchtlinge beherberge, mit drei Milliarden Euro entlastet
werden. Allerdings sind sich die 28 EU-Staaten nicht einig, wie diese
Riesensumme finanziert werden könnte. 500 Millionen Euro sollen aus dem
EU-Budget kommen, bestätigte Juncker. Über den Rest, immerhin 2,5
Milliarden Euro, werde man sich aber möglicherweise nicht schon am Sonntag,
sondern erst später einigen.
Merkel könnte diese Verzögerung nutzen, um Druck auf die Osteuropäer
auszuüben. Denkbar wäre, das Geld aus einer Notfall-Reserve des EU-Budgets
zu nehmen. Dies würde zulasten von Strukturfonds und Agrarsubventionen
gehen, die vor allem den Osteuropäern zugute kommen. Möglich ist allerdings
auch, dass die EU den üblichen Verteilschlüssel für die EU-Beiträge nutzt
und eine Art Solidarzuschlag erhebt. Dann müsste Deutschland am tiefsten in
die Tasche greifen.
## EU-Milliarden und Visaerleichterungen
Und die Türkei? Sie wäre die große Gewinnerin dieses Deals. Die Regierung
von Recep Erdoğan könnte neben den EU-Milliarden auch Visaerleichterungen
bei Reisen nach Europa sowie die Öffnung von bis zu fünf Kapiteln für die
EU-Beitrittsverhandlungen bekommen. Merkel und die anderen Staatschefs
wissen, dass sie Erdoğan weit entgegenkommen müssen.
In Deutschland ist „Kontingente“ inzwischen ein Zauberwort, auf das sich
alle verständigen können. Von der Union über die SPD bis zu den Grünen sind
alle dafür. Selbst die Hilfsorganisation Pro Asyl begrüßt die Aufnahme von
Flüchtlingen per Kontingent, weil sie Familien mit Kindern davon abhalte,
sich auf die gefährliche Flucht über das Mittelmeer zu machen. Die
Vorstellungen aber, wie Kontingente aussehen sollen, gehen dann doch
auseinander.
Schon Anfang November vereinbarten die Spitzen der Großen Koalition, mit
der Türkei über Kontingente für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien zu
verhandeln, um diese zu entlasten. Für viele in der Union wäre damit
allerdings Schluss: „Und dann gehört die Einsicht dazu, dass das Kontingent
abschließend ist, also wenn es erfüllt ist, gibt es keine weitere Aufnahme
mehr in dem jeweiligen Jahr“, [2][sagte Innenminister Thomas de Maizière
(CDU) dem österreichischen Standard.]
## Nicht die Zahl, sondern das Tempo ist problematisch
Ist „Kontingent“ also nur ein anderes Wort für die magische Obergrenze,
welche die CSU und Teile der CDU der Kanzlerin seit Wochen abzuringen
versuchen? Die CSU sieht das so. Aus Flüchtlingskontingenten ergäben sich
zwangsläufig Obergrenzen, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Die SPD sieht das anders. Auf eine Abschaffung des Asylrechts, das keine
Obergrenze kennt, liefe eine Kontingentlösung nicht hinaus, sagte
Parteichef Sigmar Gabriel. „Geschlossene Außengrenzen in Europa heißt nicht
Festung Europa“, betonte er. Viele erhofften sich von Kontingenten und
einer stärkeren Sicherung der Außengrenzen dennoch eine „Atempause“. Das
Problem sei nicht die Zahl der Flüchtlinge, sondern das Tempo, in denen sie
derzeit nach Deutschland kämen, sagte Gabriel. Die Frage wird also sein, ob
sich die Koalition darauf verständigt, dass es neben den Kontingenten
weiter eine Aufnahme von aussichtsreichen Asylbewerbern gibt oder eben
nicht.
Die Kontingentlösung ist in Deutschland nicht neu. Der Bund hat in den
vergangenen Jahren bereits 20.000 Syrer auf diesem Wege nach Deutschland
geholt. Fast genauso viele kamen zusätzlich über Aufnahmeprogramme der
Bundesländer nach Deutschland. Doch parallel dazu haben sich syrische
Flüchtlinge auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer oder den Balkan
nach Deutschland gemacht. Das wird sich auch in Zukunft wohl nicht ändern.
Nur ihre Zahl könnte wieder abnehmen, je besser die Abriegelung der EU
funktioniert. Jene ist auch ein erklärtes Ziel von Merkel.
29 Nov 2015
## LINKS
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/fluechtlingskrise-kont…
[2] http://derstandard.at/2000026420139/De-Maiziere-fordert-fixe-Kontingente-fu…
## AUTOREN
Daniel Bax
Eric Bonse
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