# taz.de -- Kolumne Eben: Seid endlich dankbar! | |
> Der „Rheinneckarblog“ hat einem syrischen Praktikanten alles gegeben – | |
> und was macht der böse Junge? Nichts als Ärger. | |
Bild: Bitteschön. | |
Ich, ich, ich, schrie es überall nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo, ich | |
bin Charlie! Ich, ich, ich, schrie es den Flüchtlingen entgegen, ich habe | |
geholfen!Ich, ich, ich, schreit es jetzt den deutschen Helfern entgegen, | |
ich hab es schon immer gewusst. Undankbar sind die Flüchtlinge, gewalttätig | |
und unbelehrbar. Ihr anderen wart so naiv zu glauben, die Flüchtlinge seien | |
harmlose Opfer. Dabei sind sie nicht nur kriegstraumatisiert, sondern | |
ziehen dem Problemgespräch immer den Messerkampf vor. Am schlimmsten aber | |
ist, dass sie undankbar sind. | |
„So nicht!“, sagt nun eine deutsche Onlineregionalzeitung, der | |
Rheinneckarblog, die einen syrischen Flüchtling als Praktikanten | |
beschäftigte und nun gekündigt* hat. „Wir haben unserem Praktikanten über | |
Wochen eine offene, demokratische und gewaltfreie Kultur geboten und sehr | |
viele stundenlange Gespräche dazu geführt. Gestern mussten wir diese Person | |
mit einem Messer in Kampfhandlungen in einem Video sehen.“ | |
Da haben wir ihm einen Job, fast eine Wohnung und voll fett öffentliche | |
Reputation besorgt, und was macht böser Junge? Er dreht ein Video, in dem | |
ein paar Jungs mit Messern kämpfende Syrer in einem deutschen | |
Flüchtlingsheim parodieren. Satire kann die Lokalzeitung nicht entdecken. | |
Besser: will sie nicht entdecken. | |
Wer aber in diesem Video das Absurde nicht erkennt, der erkennt auch nicht, | |
wie absurd es ist, einem Praktikanten öffentlich zu kündigen, weil er | |
weniger als einen dummen Jungsstreich begangen hat. „Wir lassen uns nicht | |
auf den Arm nehmen“, begründet der Blog sein Vorgehen. | |
Sosehr das Video der Syrer im Flüchtlingsheim Parodie ist, so wenig ist es | |
diese öffentliche Kündigungsbegründung. Wäre es eine Satire auf die | |
Volksseele der neuen Willkommensdeutschen, sie wäre gelungen. Die zuhauf | |
Beifall klatschenden rechten Kommentatoren unter dem Text wären hübsch | |
blamiert. So nicht. | |
So nicht! Das sagt auch der türkische Präsident. Auch er ist einer von | |
denen, die man lieber als Satiriker am Werk sehen würde. Er erstattet | |
persönlich Strafanzeige gegen Journalisten, von denen er sich beleidigt | |
fühlt. Quasi täglich werden unter seiner Regierung Journalisten verhaftet | |
oder aus ihrem Job entlassen, weil sie nicht dankbar sind für das, was die | |
Regierung für dieses Land getan hat. | |
An dem Tag, als die deutsche Lokalzeitung ihre öffentliche | |
Kündigungsbegründung im deutschen Internet verbreitete, demonstrierten in | |
Istanbul Journalisten gegen die Verhaftung und Kriminalisierung zweier | |
prominenter Journalisten. | |
In der ersten Reihe liefen andere prominente Journalisten, einige von ihnen | |
seit mehreren Monaten arbeitslos. Gekündigt, weil die Regierung sagte: So | |
nicht! Mit diesem „So nicht!“ werden die Journalisten zu Symbolen | |
diktatorischer Herrschaftskultur. | |
Auch eine deutsche Lokalzeitung ist ein Tendenzbetrieb und hat das Recht, | |
jeden rauszuwerfen, der ihr nicht passt. Mit der öffentlichen Begründung | |
des Rausschmisses aber hat ihr „So nicht!“ ein Symbol paternalistischer | |
Willkommenskultur geschaffen. | |
*Nachtrag der Redaktion, 5. Januar 2016: | |
In seiner [1][Replik] auf die Kolumne schreibt Hardy Prothmann, Autor und | |
Redaktionsleiter des Rheinneckarblogs: „Der Praktikant wurde nicht | |
‚gekündigt‘. Das Praktikum war vorbei.“ Und: „Der Artikel ist keine | |
‚öffentliche Kündigungsbegründung‘. Niemand wurde gekündigt. Wir haben … | |
‚verkündet‘, dass wir mit einer Person, die durch uns ‚bekannt‘ geword… | |
ist, nicht mehr zusammenarbeiten.“ | |
29 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.rheinneckarblog.de/29/liebe-taz-wir-eine-deutsche-onlineregional… | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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