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# taz.de -- Kolumne Eben: Baseballschläger unter den Wörtern
> Wenn und Aber sind berüchtigt für rhetorische Wirkung. Mit dem
> Intensitätspartikel „so“ lässt sich unauffälliger rechtspopulistisch
> sprechen.
Bild: Man muss nicht jeden Ball, der einem zugeworfen wird, mit dem Baseballsch…
Wenn und aber gelten als klein, aber oho. (“Wenn weiter so viel Flüchtlinge
kommen, dann...“, „Ich hab nichts gegen das Asylrecht, aber...“). Dabei
gibt es im Deutschen ein noch viel kleineres Wörtchen, um das kaum oho
gemacht wird, dass diese Behandlung aber dringend nötig hätte. Das So.
Von alters her mit unbefristeter Aufenthaltsgenehmigung für die deutsche
Sprache ausgestattet, hat es dieses kleine Graue unter den kleinen
Schwarzen zu einem unumstrittenen Status gebracht, von dem die Wenns und
Abers nur noch träumen können.
Und das, obwohl es derart rumkommt, dass die schwindende europäische
Freizügigkeit klaustrophobisch wirkt. So ist das Wort der Stunde. Es wird
in der Grammatik als Funktionswort geführt. Und auch der Politik dient es
als solches. Es erfüllt die Funktion, das als diffuse Angst beschriebene
Ressentiment gegen Flüchtlinge zu bestärken.
Ohne Geschlecht und Geschichte führt das So ein Leben wie ein unauffälliger
Staubfänger. Es ist einfallsloses Adverb, faule Kon- und Subjunktion,
dahergelaufene Interjektion und oberflächliches Intensitätspartikel. Seine
Rolle als subtiles Propagandainstrument erfüllt es immer dann, wenn es wie
beiläufig Nebulöses, Spekulatives, Uneindeutiges ausdrückt. Schon in
vermeintlich naiven Begrüßungsfragen wie „Und du so?“ schimmert das
Unheimliche durch. So was?
Es sollte Schluss sein mit der Schläferexistenz des So. So sollte ab sofort
in die Liste der gefährlichsten Wörter der Welt aufgenommen werden. Fotze,
KZ oder Kohlenhydrate sind ein Witz dagegen. Diese und andere
geschäftsüblichen Aufreger können längst nicht mehr ungestört ihr Unwesen
treiben. Wer hingegen So sagt, darf dies unhinterfragt tun und ist noch
lange nicht am Ende.
## Mit So wurde der Holocaust eingeleitet
Mit So beginnt alles Übel. Mit So wurde der Holocaust eingeleitet: „So weit
also ist es in Europa schon gekommen, daß man eine Gefahr nicht mehr eine
Gefahr nennen darf, wenn sie eben vom Judentum ausgeht“ (Sportpalast,
18.2.1943, Joseph Goebbels). Dass das So gerne „generell-hypothetische
Verbindungen“ eingeht, darauf haben schon die Brüder Grimm in ihrem
[1][Wörterbuch] hingewiesen.
Wenn es um die Flüchtlingspolitik geht, wird in den vergangenen Wochen von
SPD bis AfD immer wieder diese eine Satz hofiert und der geht so: „So kann
es nicht mehr weitergehen“, zuletzt zig fach wiederholt vom Passauer
Landrat (CSU) in der Talkshow von Günther [2][Jauch]. Umso breiter sich
diese Aussage macht, umso weniger Platz meint man dem Recht auf Asyl und
die europäische Freizügigkeit geben zu können.
Hinter dem So steckt nichts als leere Drohung beziehungsweise
Hypothetisches. Es sind Zahlen, die aus hypothetischen Verbindungen wie die
des Passauer Landrats bestehen, der X plus X addiert und mit X
multipliziert und damit auf surreale 10 Millionen Flüchtlinge kommt, die
Deutschland kurzfristig aufnehmen müsse, wenn es so weiterginge.
Mit „So kann es nicht weitergehen“ spielen Politiker nicht auf die
Situation an, dass Flüchtlinge mit Baseballschlägern und Böllern
angegriffen werden. Mit „So kann es nicht weiter gehen“ geben Regierende
nicht zu verstehen, dass sie an einer Lösung für die Ursachen von Flucht
und Vertreibung arbeiten. Das So ist der Baseballschläger unter den kleinen
Wörtern.
Die SPD sollte den vom Rechtspopulismus in die Manege geschlagenen Ball ins
Aus gehen lassen. Wenn sie aber in den nächsten Tagen „Sodele“ sagen wird,
dann wissen wir, dass sie daran arbeitet, dass es mit dem rechten
Populismus so weitergehen wird.
3 Nov 2015
## LINKS
[1] http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GS30…
[2] http://www.ardmediathek.de/tv/G%C3%BCnther-Jauch/Seehofers-Ultimatum-Begren…
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Deutsche Sprache
Schwerpunkt Rassismus
Willkommenskultur
Schwerpunkt Meta
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Rechtsextremismus
Günther Jauch
Heidenau
Michel Houellebecq
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