| # taz.de -- Kolumne Eben: Vom Barometer geschubst | |
| > Die Stimmung ist eine Borderlinerin und kippt gerne um. Wäre sie nicht so | |
| > profitabel, wäre sie längst im Heim für Schwererziehbare. | |
| Bild: Die gute Stimmung hat sich im Zaun verheddert. | |
| Bis kurz vor Ende letzter Woche hatte sich die Stimmung halbwegs unter | |
| Kontrolle. Sie war etwas ermüdet von ihrer sommerlichen Ausgelassenheit und | |
| hätte mal ein bisschen ausspannen sollen. Aber die Stimmung wäre nicht die | |
| Stimmung, wenn sie einfach mal cool an der Bar rumstehen und einen | |
| Afterwork-Drink nehmen würde. | |
| Nein, mit der Stimmung ist nicht gut Kirschenessen. Entweder ist sie | |
| euphorisch, aufgeheizt oder am Nullpunkt. Gerne kippt sie oder schwingt um. | |
| Manche verbinden mit ihr Kerzenschein und romantisches Dinner. Manche eine | |
| Bombe. Aber in diesen Rollen fühlt sie sich selten wohl. Wenn sie mal ein | |
| kurzes Hoch hat, geht sie schnell zurück in den Keller, wo sie sich am | |
| liebsten aufhält. Sie ist ein empfindlicher Charakter, labil, | |
| betreuungsintensiv und ein besonders schwerer Fall eines | |
| Borderline-Patienten. | |
| Wäre sie nicht so einflussreich und profitabel, man hätte sie längst in ein | |
| Heim für schwer erziehbare Kinder gesteckt. Am besten sollte man sie | |
| sowieso alleine lassen, wenn sie einen Lauf hat. Stattdessen wehrt sie sich | |
| nicht dagegen, ständig nach ihrem Befinden gefragt zu werden, lässt sich | |
| von Günther ob-der-Staat- das-noch-wuppen-kann Jauch als Zaungast aufs Sofa | |
| setzen und von Barometern und Umfragen durch die Gegend schubsen. | |
| So wie bei den meisten tut auch der Stimmung so viel Aufmerksamkeit nicht | |
| gut. Sie nimmt sich selbst wichtig und anderen übel. Kaum lässt man sie mal | |
| eine Zeit unbeaufsichtigt, wird sie bockig und geht wieder in schwarz. Man | |
| redet dann von ihr als gedrückt. | |
| Alle waren heilfroh, dass sie diesen Sommer endlich mal in kein Loch | |
| gefallen war. Ihre Verfassung wurde von allen Experten als jahrhunderthoch | |
| beschrieben. Und das, obwohl an Europas Grenzen geschossen und geschubst | |
| worden war. | |
| Nun aber, heißt es, steht die gute Stimmung selbst vor einer Grenze, die | |
| sie nicht dahin gehen lassen will, wo sie vielleicht doch mal gern länger | |
| geblieben wäre, weil man sich dort ganz gut um sie gekümmert hat. | |
| „Man muss sich vor allem darum kümmern, dass die deutsche Gesellschaft | |
| nicht vernachlässigt wird. Am Ende entscheidet ja nicht die Verfassung oder | |
| wir Politiker über die Höhe der Aufnahme [der Flüchtlinge], sondern die | |
| Bürger hier im Land“, sagte Sigmar Gabriel, nachdem bekannt wurde, dass | |
| sich die Stimmung wieder verschnupft hat. | |
| Wo und wann der Vizebundeskanzler dieses Ende sieht, hat er nicht gesagt. | |
| Ist das Ende dann erreicht, wenn genügend Wohnungen abgefackelt werden, in | |
| denen Flüchtlinge leben, leben sollen oder in denen ihnen geholfen wird? | |
| Oder ist es erreicht, wenn genügend Leute vorm Brandenburger Tor gegen den | |
| Untergang des Abendlandes demonstrieren? | |
| Bislang war der Vizekanzler noch nicht als Fan der direkten Demokratie | |
| bekannt. Nie hat man ihn sagen hören, dass am Ende der Bürger entscheidet, | |
| wie hoch der Hartz-4-Satz, der Mindestlohn, der höchste Steuersatz ist oder | |
| dass am Ende der Bürger entscheidet, wie viel Millionen die | |
| öffentlich-rechtlichen für die Bundesligarechte zahlt. | |
| Warum auch, dann könnte er die Stimmung vielleicht mal nicht auf seine | |
| Seite ziehen. | |
| 6 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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